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Düstere Magie. Köpfe werden rollen, verspricht Unidram in Bezug auf die diesjährige Eröffnungsinszenierung „Cutting Edge“ von Kalle Nio. Der Finne hat sich für seine Nouveau-Cirque-Performance mit Gemälden von Enthauptungen auseinandergesetzt.

© Kalle Nio

Kultur: Bloß keine Metaebenen

Dauerperformance und Kunst aus dem Iran: Unidram macht 2017 einiges neu. Und bleibt sich doch treu

Im vergangenen Jahr flossen bei Unidram Milch und Blut. Das russische Performer-Duo Akhe zeigte in vier Stücken körperlichen Höchsteinsatz, und es zeigte ihn ohne Schummelei. Es wurde geackert und geschwitzt, vor Anstrengung geächzt, und geblutet wurde auch. Der Zauber von Akhe hatte nichts mit herkömmlichem Bühnenzauber zu tun, es waren die Faszination an minutiös tüftelnden Forschern und deren unerbittliche Selbstversuche, die in den Bann zogen. In diesem Jahr wird nun wohl wieder mehr gezaubert werden. Unidram 2017 steht im Zeichen des Nouveau Cirque, der Neuen Magie – Spielarten der Performancekunst, die sich besonders für die Mittel des Zirkus interessieren. Und was wäre mehr Zirkus als Zauber und Staunen?

Statt der Tüftler von Akhe stehen in diesem Jahr die Magier von Kalle Nio/WHS im Mittelpunkt des Festivals. Kalle Nio, Jahrgang 1982, ist ein finnischer Künstler, der im Graubereich zwischen visueller Kunst und Zauberei arbeitet. Ein Bühnenmagier, einer, der in seinen Performances Wände verschiebt und Körperteile verschwinden lässt. Thematisch geht es in „Cutting Edge“, der Eröffnungsinszenierung in diesem Jahr, nicht weniger blutig zu als bei Akhe. „Es werden Köpfe rollen!“, freut sich das Programmheft in der Ankündigung zu „Cutting Edge“ – und das ist wohl wörtlich zu nehmen, so wörtlich wie das eben nur mit Zauberei möglich ist. „Cutting Edge“ hat sich historische Gemälde von Enthauptungen vorgenommen. Die Gruppe will untersuchen, was an körperlichen Verstümmelungen die Menschen seit Jahrhunderten so fasziniert. Nicht zuletzt bei Zauberern bekanntlich, die mit dem Zersägen von Körperteilen auch heute noch Säle füllen. Ob Kalle Nio auf diese Schaulust aufspringt oder doch noch eine weitere Dimension aufmacht, wird sich bei der Eröffnung am Dienstag zeigen.

„Wir konzentrieren uns wieder ganz auf unsere Themen Multimedialität und visuelle Bilderwelten“, sagt Jens-Uwe Sprengel, der gemeinsam mit Franka Schwuchow und Thomas Pösl auch dieses Unidram-Festival kuratiert hat. Es ist das 24. Seit der Gründung des Festivals sichten und diskutieren sie zu dritt die Auswahl des jährlich stattfindenden Festivals, immer auf der Suche nach „Stücken fürs Publikum“, wie Sprengel sagt. Nichts Elitäres, bloß keine Metaebenen, das ist Unidram-Credo. „Wie sehen uns nahe am Volkstheater“, sagt Sprengel. Soll heißen: Was hier gezeigt wird, soll nicht unbedingt leicht verdaulich sein – aber es soll von allen verstanden werden. Wenn auch sicher von allen anders.

Dabei sucht das Unidram-Team eine Mischung aus „Gruppen, die man kennt“ und Neuentdeckungen. Kalle Nio gehört zu Ersteren, vor zehn Jahren war er schon einmal bei Unidram zu Gast. Zu Letzteren gehört in diesem Jahr die Amata Theatre Group, eine studentische Gruppe aus dem Iran, die sich wie etwa 300 andere Künstler beim Festival beworben hatten. Es ist das erste Mal, dass Künstler aus dem Iran bei Unidram dabei sind – etwas, das Jens-Uwe Sprengel stolz macht. „Agha Mohammad Khan“ heißt das Stück, mit dem die Amata Theatre Group das Unidram-Team überzeugen konnte. Benannt nach einem persischen Schah, der, so deutet das Programmheft an, Männer Frauen vorzog. Ein sehr reduziertes Stück, sagt Sprengel, eines, das entfernt an das japanische Butoh-Theater erinnern könne. „Ein Stück über die arabische Welt, das aber viel über allgemein gültige Mechanismen von Krieg und Gewalt erzählt.“

Wie eine Schutzhütte gegen Stürme und Strömungen der kalten Welt dagegen dürfte die Holzhütte wirken, die die spanische Kompanie Ponten Pie im Schirrhof errichten will. Drinnen aber gibt es keine schummrige Wärme, sondern gegen die Kälte Pelzmäntel für jeden Besucher. Und in den Pelzmänteln „Erinnerungsfäden“ derer, die diese Mäntel einst trugen. „Artica“ heißt die Performance, für jeweils nur 20 Zuschauer. Noch exquisiter ist der „Theaterautomat“, der im Museum FluxusPlus aufgestellt wird: Hier kann ein einzelner Besucher für zehn Minuten digitales Objekttheater im Alleingang erleben.

Neu in diesem Jahr ist nicht nur der Iran, neu ist der Mut zum langen Atem bei Unidram. Für gewöhnlich haben Unidram-Stücke die gut verdauliche Dauer von 60 Minuten. „Black Black Woods“ von der tschechischen Kompanie Cirk La Putyka dauert viermal so lang. So lang wie kein Stück bei Unidram je zuvor. Der Performancekünstler Rostislav Novak, in Tschechien eine große Bekanntheit, steht hierin mit seinem Sohn auf der Bühne – als Vater und Sohn. Als Jung und Alt. Was machen die beiden, vier Stunden lang? „Man muss sich das ein bisschen vorstellen wie Akhe, nur viel länger – und dass dabei viel weniger passiert“, sagt Sprengel. Es wird Farbe geben, es wird Schrift geben, und es wird Post-Rock-Livemusik geben. Und am Ende dann offenbar doch noch eine Art Showdown: Bis 20.30 Uhr dürfen Zuschauer nach Belieben kommen und gehen. Danach bleiben die Türen zu.

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