zum Hauptinhalt
Sahra Wagenknecht und Regisseurin Sandra Kaudelka.

© Britta Pedersen,dpa

Berlinale-Kolumne „Im Film“: Von roten Socken und Bohnerwachs

Zwei Jahre Berliner Republik und Sahra Wagenknecht in der Hauptrolle. Die Berlinale-Kolumne für den neunten Tag.

Im Berlinale-Shop verkaufen sie rote Socken. Die Linke scheint auf dem Vormarsch. Außer im Bundestag.

Sahra Wagenknecht steht auf dem Mont Ventoux, sie hat den Berg der Kelten per Rad erklommen. Allein da oben atmet sie rastlos ein, aus. Als Linke-Fraktionschefin rüttelten viele an ihrem Sattel. Ihre Parteifreunde ließen sie nicht vorfahren. Runter vom Rad, Rücktritt.

Sie zieht Massen auf die Marktplätze. Aber als Kind liest sie lieber, anstatt mit anderen zu spielen. So erzählt es der rastlose Dokumentarfilm „Wagenknecht“. Er zeigt zwei Jahre der Berliner Republik, die politisch noch oft die Bonner Republik ist und keine Ahnung hat, wie sie mit roten Socken in Thüringen umgehen soll. Zumal es da auch kackbraune gibt.

Vorm silbernen Vorhang

Im Kino International rieche ich das Bohnerwachs aus meinem DDR-Kindergarten. Vorm silbernen Vorhang an der Karl-Marx-Allee spielten sich Dramen ab: Erich Honecker beklatschte sozialistische Premieren. Lakaien der Staatspartei SED, Vor-Vor-Vor-Vorgängerin der Linke, buhten kritische Beiträge aus. Der erste schwule Film der DDR feierte Premiere, am Abend fiel die Mauer. Und Ostdeutschland hatte sein Coming-out. Der Westen kam damit nicht gut klar. In einer Filmszene irrt Wagenknecht durch den Reichstag, landet im Westflügel, ist aber im Ostflügel verabredet. „Osten ist das Gegenteil von Westen“, ruft ihr ein Mitarbeiter zu. Da lacht das International.

Mehr Artikel zum Thema:

Hillary Clinton. Sahra Wagenknecht. Politikerinnen, die alles geschafft haben. Fast. Bei der Berlinale schaffen sie Emotionen. Zeigen das Hamsterrad, das von innen wie eine Leiter aussieht. Sie rennen darin ohne Rast – nur einmal öffnet Wagenknecht ihre akkuraten Haare. Reden, Reisen, Interviews, die Gründung einer Bewegung, die „Ahoi“ heißen soll, und dann als „Aufstehen“ nicht auf die Füße kommt. Wagenknecht sagt Ahoi. Wurde sie von Parteifreunden gemobbt? „Nennen Sie es, wie Sie wollen“, sagt sie. Der Vorhang fällt, das Kino jubelt ihr zu.

Als alle rausströmen über die Bohnerwachs-Treppen, gehe ich zu Sahra Wagenknecht. Ob sie es noch einmal versuchen will, alleine nach ganz oben? „Das kommt auf die Umstände an.“ Neben ihr steht Oskar Lafontaine, ihr Mann, auch er hatte es fast an die Spitze geschafft. Wie weh tut dieses Fast? „Ach“, sagt er, „der Mont Ventoux ist auch ganz schön.“ Dann schreiten sie davon, Seit’ an Seit’.

Zur Startseite