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Szene aus "Jibril" von Henrika Kull.

© Filmuniversität Potsdam

Berlinale-Filme aus Potsdam: Sehnsucht aus Babelsberg

„Das schweigende Klassenzimmer“, „Jibril“, „Rå“: Ein Besuch in Babelsberg, wo einige Festivalfilme entstanden. Auch am Eröffnungsfilm ist das Studio beteiligt.

Potsdam - Am Anfang ist die Leidenschaft. Die ungehemmte, hingebungsvolle Lust am eigenen Körper, der eigenen Befriedigung. Henrika Kull zeigt diese Leidenschaft in ihrem Film „Jibril“, der am Freitag im Panorama Weltpremiere feiert, gleich doppelt. In zwei parallel angelegten Masturbationsszenen bringt sie ihre beiden Protagonisten symbolisch zueinander. Denn Maryam und Jibril sind räumlich getrennt. Jibril sitzt im Gefängnis, die beiden sehen sich nur einmal in der Woche. Dazwischen liegt viel Sehnsucht. Sehnsucht, die Maryam beflügelt und Jibril einschränkt. Diese Spannung entlädt sich schließlich in einer realen körperlichen Begegnung, die mit Erotik nicht viel zu tun hat. Die erträumte Sinnlichkeit zerfällt im ernüchternden Sex. Was bleibt, ist nur eine Idee von Erfüllung und Romantik.

Henrika Kull, Regiestudentin an der Filmuniversität Babelsberg, fand diese Konstellation spannend – aus persönlicher Sicht, wie sie sagt, aber auch aus soziologischer. Die 33-jährige Berlinerin ist studierte Soziologin, irgendwann stellte sie jedoch fest, dass die filmische Bearbeitung soziologischer Themen sie mehr interessiert, als Tabellen zu erstellen. Einem Produktionsstudium in Berlin folgte 2014 das Studium in Potsdam, „Jibril“ ist ihr Abschlussfilm. Er spielt im deutsch-arabischen Berlin, Hauptdarstellerin Susana Abdulmajid wechselt mühelos zwischen den Sprachen. „Sie fasziniert mich einfach als Mensch und die arabische Kultur interessiert mich eh sehr“, sagt Kull über ihre Hauptdarstellerin. Gerade deshalb spielt sie mit den Erwartungen an ihre Figuren, dreht die Geschlechterrollen um. „Jibril erträgt das Ausgegrenztsein nicht, die fehlende Kontrolle“, sagt Kull. Maryam hingegen – geschiedene Mutter dreier Kinder – genießt die Freiheit der Beziehung, in der Jibril nicht in ihren Alltag eingreifen kann. Weil er mehr eine Sehnsuchtsprojektionsfläche als ein Partner ist.

Auch Sophia Böschs „Rå“ erzählt von einer Sehnsucht – wenn auch von einer vollkommen anderen. In ihrem Film, der am 22. Februar in der Perspektive Deutsches Kino Weltpremiere feiert, geht es um den Wunsch einer jungen Frau sich in der Männerwelt zu behaupten. Ein Thema, das die 30-jährige Regie-Masterstudentin der Filmuniversität Babelsberg umtreibt, wie sie sagt. Auch bezogen auf die Filmbranche. „Wir brauchen mehr Frauen vor und hinter der Kamera“, betont sie. Dennoch möchte sie sich nicht auf Gender-Themen festlegen lassen. Vielmehr interessieren sie kleine Momente zwischen Menschen und Orte. Vor allem die Auswirkungen von Orten auf Personen.

Drei Wochen Dreh in Schweden

In „Rå“ ist es die schwedische Wildnis, die Böschs Protagonistin in den Bann zieht. Die 16-jährige Linn darf endlich mit ihrem Vater auf die Jagd gehen und erreicht einen ersten scheinbaren Erfolg: Linn schießt einen Elch. Doch ihr Stolz wird gebrochen als sich herausstellt, dass sie ein Muttertier getötet hat. Nun muss sie auch das Kalb finden, damit es nicht qualvoll verendet. Gegen den Rat ihres Vaters schlägt sich Linn allein in die Wildnis, um ihren Fehler wieder gut zu machen.

Drei Wochen hat Bösch mit ihrem Team in Schweden gedreht. Mit dem Land ist die Regisseurin vertraut, sie hat dort Familie, lebte und studierte in Stockholm. Schwedisch spricht sie fließend. Daher auch der Titel ihres Films: „Rå“ kann je nach Wortart, rau, beherrschen oder nichts dafür können bedeuten. „Als Substantiv bezeichnet es außerdem einen weiblichen Waldgeist, die Hüterin des Waldes “, erklärt Bösch. Die Wildnis als Mysterium, die Jagd als Ritual zwischen Tradition und Emanzipation.

Wes Anderson arbeitet gern mit Babelsberg zusammen

Während die Filmuniversität Babelsberg außerdem mit mehreren Alumni- Beiträgen auf der Berlinale vertreten ist, ist das Filmstudio Babelsberg im Vergleich zu den Vorjahren nicht ganz so prominent vertreten. Immerhin: am Eröffnungsfilm, Wes Andersons Stop-Motion-Werk „Isle of Dogs“ ist das Studio beteiligt. Die eigentlichen Dreharbeiten fanden zwar in London statt, die Babelsberger Studiochefs Christoph Fisser, Henning Molfenter und Carl L. Woebcken sind aber Executive Producer. Nach Andersons oscarprämiert „Grand Budapest Hotel“ war das die zweite Zusammenarbeit des Regisseurs mit Babelsberg. Während damals fast alle Kulissen in Potsdam entstanden, wurden für „Isle of Dogs“ nur einige Miniaturmodelle gebaut. Verantwortlich dafür ist der Berliner Modellbauer Simon Weisse, der auch Minilandschaften für „Grand Budapest Hotel“ erschuf.

Tatsächlich im Studio Babelsberg gedreht wurde das Drama „Das schweigende Klassenzimmer“ von Lars Kraume, der seine Weltpremiere im Berlinale Special haben wird. Er erzählt die auf wahren Ereignissen beruhende Geschichte einer DDR-Abiturklasse, die im Jahr 1956 durch eine Schweigeminute zu Ehren der Opfer des Ungarnaufstandes einen aufsehenerregenden Akt des Widerstandes leisteten. In einem West-Berliner Kino hatten die Schüler von den Ereignissen in Budapest erfahren. „Es ist eine zeitlose Geschichte über Freundschaft“, sagte Lars Kraume während der Dreharbeiten vor einem Jahr am Babelsberger Außenset in der Neuen Babelsberger Straße. Die Filmhandwerker mussten einige Anpassungen vornehmen. So wurden unter anderem die Laternen ein bisschen verändert, Schaufenster umdekoriert und die Häuser hinterher digital verkleinert. Auch der Eingang der „Capitol Lichtspiele“ – dort sehen die Schüler die Nachricht vom Aufstand – wurde auf dem Studiogelände nachgebaut. Ausgestattet wurde die Kulisse mit zeittypischen Glasschaukästen und Kinoplakaten – darunter „Liane, das Mädchen aus dem Urwald“.

Sarah Kugler

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