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Kultur: "Berlin is in Germany": Biberkopf ist überall

Auf diese Idee muss man erstmal kommen! Der 30-jährige DFFB-Absolvent Hannes Stöhr hat im heutigen Berlin einen Science-Fiction-Film gedreht, ohne die Wirklichkeit auch nur im Geringsten zu verändern.

Auf diese Idee muss man erstmal kommen! Der 30-jährige DFFB-Absolvent Hannes Stöhr hat im heutigen Berlin einen Science-Fiction-Film gedreht, ohne die Wirklichkeit auch nur im Geringsten zu verändern. Wie macht man das? Ganz einfach, Stöhr übernimmt die Perspektive von Martin Schulz (Jörg Schüttauf), der im Juli 1989 wegen Mordes zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt worden war und erst elf Jahre später aus der JVA Brandenburg entlassen wird. Martin fühlt sich wie ein Außerirdischer. Zum ersten Mal sieht er Menschen mit Handy. Überall sind Baustellen zu sehen. Und die Leute gebrauchen andere Wörter als früher. Das einzige vertraute Zeichen aus der Vergangenheit ist der Fernsehturm.

Hannes Stöhr bringt seine Zuschauer dazu, die Welt von heute mit den Augen eines Mannes zu sehen, der die Wende nicht erlebt hat. Was Martin widerfährt, erinnert stark an Alfred Döblins "Berlin Alexanderplatz" - und zeigt doch, wie sehr sich unsere Welt seitdem verändert hat. Martin muss nicht, wie einst Franz Biberkopf, auf der Straße Krawatten verkaufen. Er bekommt ein komfortables Zimmer, seine besten Freunde sind noch für ihn da, und obwohl seine Ex-Frau Manuela (Julia Jäger) einen neuen Lebensgefährten hat, fühlt sie sich Martin immer noch verbunden. Zwar gerät Martin wieder ins Visier der Polizei und infolge eines Missverständnisses sogar zurück hinter Gitter. Aber der Moloch Großstadt existiert nicht mehr. Martin fühlt sich unsicher in neuen Berlin. Doch verloren fühlt er sich nicht.

"Berlin is in Germany" hätte leicht einer jener ressentimentgeladenen Anti-Wiedervereinigungs-Filme werden können, in denen hilflose Ossis von geldgierigen Wessis und angepassten Ex-Stasi-Offizieren unterdrückt werden. Martins Ex-Frau ist mit einem unfreundlichen West-Lehrer verheiratet. Doch der erste Eindruck täuscht. Wolfgang (Robert Lohr) ist nicht wirklich unsympathisch, er hat nur Angst, seine Frau zu verlieren. Diese Angst kann man gut verstehen. Und Jörg Schüttauf wirkt als Martin so unwiderstehlich, dass wir schon früh ahnen: Dieser Mann wird am Ende seine Ex-Frau zurückgewinnen, und mit ihr den gemeinsamen Sohn.

Jörg Schüttauf ist der bessere Ben Becker. Nie übertreibt er das sensible Kraftpaket, das er darstellen soll. Allein die Musik von Florian Appl hindert den Film daran, ein Meisterwerk zu sein. Der Komponist hat sich zu viel Mühe gegeben. Da steht das Waldhorn für die Freiheit, die Bassklarinette für die Unfreiheit und die Oboe für die Liebe. Appl glaubt, jeden Augenaufschlag kommentieren zu müssen.

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