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Kultur: Berlin. Alexanderplatz

Die Brandenburger Lotto GmbH überreichte drei Kunstpreise für Literatur und Fotografie

Es sind zumeist junge Frauen und Männer vom sogenannten Rand der Gesellschaft, manche ohne Wohnung, die meisten arbeits- und perspektivlos. Göran Gnaudschun gelang es, das Vertrauen dieser Menschen zu gewinnen, was nicht nur seiner Biografie als ehemaliger Punkmusiker und Hausbesetzer geschuldet ist. Der Potsdamer Fotograf hat sich ihnen sensibel mit seiner Kamera genähert und viel Zeit in den verschiedenen Gruppen am Alexanderplatz verbracht. Von den Gesprächen, die er mit seinen Protagonisten zwischen 13 und 30 Jahren führte, schrieb er akzentuierte Notate.

Göran Gnaudschun gehört zu den diesjährigen Kunstpreisträgern der Brandenburger Lotto GmbH, die am Donnerstagabend für Literatur und Fotografie vergeben wurden. Für jede der beiden Kunstformen hatte die Lottogesellschaft wieder Preisgelder im Gesamtwert von jeweils 10 000 Euro ausgelobt, die an drei Künstler vergeben wurden, von denen sich wiederum zwei mit Berlin und insbesondere dem Berliner Alexanderplatz textlich und fotografisch auseinandergesetzt haben.

Der Potsdamer Fotograf Göran Gnaudschun, der vor zehn Jahren schon einmal Stipendiat der Lotto GmbH war, zeigt im Kunsthaus „sans titre“ Porträts von Menschen vom Berliner Alexanderplatz, die er in den vergangenen zwei Jahren begleitet und fotografiert hat. Und so kann man in der Ausstellung und im Katalog ausschnitthaft verstörende und berührende Momentaufnahmen aus dem Leben von Alex und Carra, Mika und Streuner finden, die den Betrachter nicht zum Voyeur machen, sondern oft mit Erstaunen und Empathie zurücklassen. Denn Göran Gnaudschun ist es gelungen, so die Jurorin Christiane Stahl, „Porträts zu schaffen, die in ihrer offenkundigen Verletzlichkeit eine Schönheit offenbaren, die man nicht für möglich gehalten hätte“.

Die Preisträgerin des diesjährigen Literaturpreises, die Berliner Autorin Annett Gröschner, bekam 10 000 Euro für ihren 2011 erschienenen Roman „Walpurgistag“, dessen Handlung an einem Tag des Jahres 2002 in Berlin spielt. Die temperamentvolle Autorin las auf der gut besuchten Preisverleihung im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte einen skurrilen Dialog dreier alter Damen, die erst vor Kurzem ihre jahrzehntelang angestammten Wohnungen verlassen mussten und sich jetzt an dem Hausbesitzer rächen, indem sie spontan sein Cabriolet anzünden.

In ihrem polyphonen Roman, der in der Tradition des berühmten Vorgängers von Alfred Döblin steht, porträtiert Annett Gröschner pointiert und humorvoll jede Menge Berliner Sonderlinge, Abenteurer und solche aus dem sogenannten Prekariat mit vorwiegend ostdeutschem Hintergrund. Und beide – Gröschner und Gnaudschun – zeigen in ihren Arbeiten einmal mehr die „boulevardabgewandte Seite des Lebens“, die Perspektive von unten, und sie haben ihr textlich-fotografisches Zusammenspiel bereits in der Theaterproduktion „Kind ohne Zimmer“, die am Deutschen Theater in Berlin zu sehen ist, erprobt.

Beatrice Minda, die zweite Preisträgerin im Bereich Fotografie, lebt ebenfalls in Berlin und fotografiert vorzugsweise private Innenwelten. Mit ihrer jetzt prämierten Serie „Tea Time in Teheran“ setzt sie ihre fotografischen Erkundungsreisen durch Privathäuser – so in Rumänien, Frankreich und Deutschland – fort und erkundet Geschichten und Geschichte eines ehemaligen Patrizierhauses im Zentrum Teherans.

Mindas Serie untersucht subtil einen privaten Mikrokosmos, der Rückschlüsse über den Makrokosmos Iran zulässt und ihre Bilder verweisen auf die Epochenwechsel des von Islamischer Revolution, Irak-Krieg und neuerlichen Repressionen Ahmadine-schads geprägten Landes. Die Intensität, die ihre Bilder im Lotto-Katalog erreichen, vermochte man in der Ausstellung im „sans titre“ leider nicht zu erspüren, da die Fotos dort in ihren (zu) kleinen Formaten nicht sonderlich in den Bann zogen.

Die drei Kunstpreisgewinner, die zwischen 41 und 48 Jahre alt sind, wurden aus über 350 Einsendungen von jeweils dreiköpfigen Jurys, zu denen unter anderem die Schriftstellerin Antje Ravic Strubel gehörte, ausgewählt. Man kann gespannt sein auf weitere Arbeiten der Preisträger. Göran Gnaudschun plant, die Bilder und Texte von „Berlin Alexanderplatz“ in Buchform zu veröffentlichen und von Annett Gröschner erscheint im Oktober 2012 ein neuer Band mit dem Titel „Mit der Linie 4 um die Welt“, ein dokumentarisches Bus- und Straßenbahnlinienprojekt in verschiedenen Städten der Welt, wie in Warschau und Buenos Aires.

Die Gewinnerarbeiten werden bis 30. September im Kunsthaus „sans titre“, Französische Straße 18, präsentiert. Das Kunsthaus ist täglich von 14 bis 18 Uhr geöffnet

Astrid Priebs-Tröger

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