zum Hauptinhalt

Kultur: Begeisterung und Ablehnung

Die 23. Potsdamer Tanztage gingen mit einem Besucherrekord zu Ende

Vierblätterige Kleeblätter sind selten in der Natur. Wer sie findet, dem soll das Glück lachen. Dieses hätte auch bei den vier belgischen jungen Männern der Companie EA EO zu Hause sein können, die am Samstagabend betont lässig auf ihr Publikum in der „fabrik“ warteten. Aber die menschliche Spezies scheint dafür nicht geeignet oder zumindest diese vier Typen hatten anderes vor.

Während sie zu Beginn ihrer Nouveau- Cirque-Performance „m²“ genauso akkurat wie ihre Requisiten – rote Tennisbälle und weiße Keulen zum Jonglieren – nebeneinander saßen, verwandelte sich ihre Bühne nach und nach in ein Schlachtfeld. Zu Beginn spielten sie mit viel Witz und Tempo eine originelle „Reise nach Jerusalem“, aber schon hier war klar – bei diesen Vieren ist immer einer zu viel. Denn anstatt als Team zu agieren, hatten sich diese „Vier Zirkustiere“ den Slogan „Einer gegen alle, alle gegen einen!“ auf die Fahnen geschrieben. Und den praktizierten die wunderbar wendigen Jongleure Eric Longequel, Jordaan De Cuyper, Sander De Cuyper und Bram Dobbelaere dann mit viel Sinn für originelle Details wie zum Beispiel ihre handgreiflichen Begrüßungsrituale oder die wunderbar komische „Kapuzenjackenchoreografie“.

Ja, bei EA EO kam vieles zusammen, was es unbedingt rechtfertigt, Nouveau Cirque bei den Potsdamer Tanztagen zu zeigen. Denn obwohl die vier Artisten – zwei von ihnen sind Autodidakten – keine ausgebildeten Tänzer sind, weist ihre Körperlichkeit und Körpersprache doch viele Parallelen zum modernen Tanz auf. Ihr Gespür für Rhythmus und Geschwindigkeit, Gleichgewicht und Fallen sucht seinesgleichen. Und wenn dann noch der Sinn für Komik und Dramaturgie eine solch großartige Beziehung eingeht, dann ist das fast nicht mehr zu toppen. Und: Es ist nicht nur Spaß, was dabei heraus- und rumkommt und vom sehr altersgemischten Publikum dankbar angenommen wird, nein, EA EO gelingt es, sinnfällige Metaphern für unser modernes Zusammenleben zu finden.

Und diese ungeheuer präzise Gratwanderung zwischen Spaß und Ernst, zwischen Verbundenheit und Aggression durchzog die gesamte Performance, die zuletzt, wie ihr Titel es vermuten ließ, auf einem einzigen Quadratmeter Bühne – nicht wirklich glücklich – endete. Minutenlanger Beifall, Trampeln und Bravorufe von einem Publikum, das sich von der ersten Minute, an allen Sinnen berührt und hundertprozentig mitgenommen fühlte.

Glücklich und geschafft wirkte auch Sven Till, künstlerischer Leiter der „fabrik“ und des Festivals, als er am Samstagabend nach der überaus schaumigen Aufführung von „Soapéra“ von Mathilde Monnier und Dominique Figarella dem Publikum ausdrücklich für seine Bereitschaft, sich auf das diesjährige Programm einzulassen, dankte. Denn auch im 23. Jahr der Potsdamer Tanztage herrschte, wie stets im Vorfeld, eine große Anspannung, ob und wie die Zuschauer das Gebotene an- und aufnehmen werden. Mit der diesjährigen ungemein vielfältigen Mischung sei es nicht nur quantitativ gelungen, die durchschnittliche Auslastung lag bei 82 Prozent und damit höher als im Vorjahr, breite Zuschauerschichten anzusprechen, sondern die Palette des Gebotenen erreichte dabei auch sehr unterschiedliche Publikumsgruppen.

Besonders angenehm findet Sven Till, dass es sich in der Stadt wirklich herumspricht, was das Festival zu bieten habe, und das sich gerade in der zweiten Woche eine Eigendynamik entwickelt habe, die die letzten vier Vorstellungen ausverkauft sein ließ. Aber nicht nur der zahlenmäßige Erfolg gibt dem Vorbereitungsteam recht. „Jeder will im Theater überrascht und gefordert werden“, so Sven Till, und Aufführungen wie die des Südafrikaners Boyzie Cekwana oder der finnischen Choreografin Eeva Muilu trafen den Nerv des Potsdamer Publikums. Und das, obwohl die Formensprache und die Erzählweise des Südafrikaners für Europäer sehr ungewöhnlich waren und die Offenheit und der nackte Mut der jungen und relativ unbekannten finnischen Compagnie sicher manchen Zuschauer vor eine Herausforderung stellte. Besonders überraschend für den Festivalleiter waren auch die starken und extrem gegensätzlichen Reaktionen auf die Arbeit von Frédéric Gravel – von absoluter Ablehnung bis hin zu „beste Show des Festivals“.

„Das Publikum gestaltet so ein Festival zum großen Teil selbst“, sagt Sven Till, und die „fabrik“ als Mittlerin will im kommenden Jahr – nach dem Festival ist vor dem Festival – noch mehr Augenmerk darauf richten, dass es insgesamt noch mehr Gestaltungsfreiräume bekommt. Formate wie „Le Sacre du Printemps“, das trotz Dauerregens in diesem Jahr erstmalig auf der Freundschaftsinsel stattfand, sollen dabei eine noch größere Bedeutung bekommen. Sven Till verspricht, dass Publikumsmagneten, wie in diesem Jahr Pierre Rigal mit „Standards“, wieder genauso einen Platz finden werden wie weitere Aufführungen des Nouveau Cirque. Bereits jetzt gibt es Gespräche mit Lia Rodriguez aus Brasilien, die bereits zum 20-jährigen Tanztage-Jubiläum begeisterte. Mit ihr wie auch mit vielen anderen Künstlern verbindet die „fabrik“ eine langjährige fruchtbare Zusammenarbeit, die den Nährboden für die immer weiter ausstrahlenden Potsdamer Tanztage bildet.

Astrid Priebs-Tröger

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false