zum Hauptinhalt
Ruhig und tröstlich. Björn O. Wiede bei der Uraufführung.

©  Manfred Thomas

Kultur: Beeindruckende Totenklage Björn O. Wiedes „Potsdam Requiem“

in der Nikolaikirche uraufgeführt

Ein geschichtsträchtiges Datum in Potsdams Annalen ist dieser 14. April. An jenem Tag anno 1745, so Oberkirchenrat Martin Vogel in seinen Gedenkworten, erfolgte die Grundsteinlegung von Schloss Sanssouci, genau 100 Jahre später die der Friedenskirche. Und ein Säkulum später legte das Bombardement der Royal Air Force das historische Zentrum Potsdams in Schutt und Asche. Zur mahnenden Erinnerung an diese „Nacht von Potsdam“ vor 68 Jahren fand am Sonntag in der Nikolaikirche die Uraufführung des „Potsdam Requiems“ von Nikolaikantor Björn O. Wiede statt. Es entpuppt sich als ein beeindruckendes, gefühlsintensives, in einprägsame und schlichte Melodien gegossenes Erinnerungszeichen. Kurzum: ein dem Anlass würdiges und die Seele bewegendes Gebrauchswerk mit formalen Anleihen aus Brittens „War Requiem“.

Als inhaltliche Klammer aller acht Teile dient Wiede das Wort „Herr, lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf das wir klug werden“. Gleich dem symbolträchtigen Alpha und Omega beginnt und endet Wiedes zeitgenössische, sich weitgehend modernistischer Zutaten versagende Totenklage mit dem Geläut der Kirchenglocken. Sie ist für ein kammermusikalisch besetztes Instrumentalensemble geschrieben und überaus farbig instrumentiert (Mitglieder der Neuen Potsdamer Hofkapelle), aus dem Orgel (Mirlan Kasymalijew), Klavier (Christian Deichstetter) und Schlagzeug (Adam Weisman) wichtige emotionsgeladene Akzente setzen. Doch bis auf solche leidenschaftlich erregte Impulse geht es ruhig, tröstlich, bittend und klagend zu. Die prunklosen Chorsätze werden vom teilweise im Raum verteilten Nikolaichor prägnant, innig, stimmlich sehr sauber und auswendig vorgetragen. Kompliment!

Auch wenn die Bezeichnungen der einzelnen Abschnitte der katholischen Liturgie gleichen (wie etwa Introitus, Offertorium oder Benedictus), sind sie mit lutherischen Betrachtungen angefüllt, deren allgemeingültigen Botschaften auch Atheisten Herz und Sinne öffnen können. So beschwört Wiede im traditionellen „Dies irae“-Satz keine Höllenqualen des Jüngsten Gerichts, sondern lässt sie als Schrecknisse des Bombardements per schlichtem Verlesen von Zeitzeugenberichten durch Harald Geywitz überzeugend wirken. Dabei ist das Klagelied des Jeremias „Wie ist mir so weh!“ als ein erschütterndes Melodram vertont. Die erwartungsfrohen Bibelpassagen trägt Martin Vogel in sanfter Diktion vor. Nicht weniger ergreifend gerät das Verlesen der Bombenopfer mit Name, Straße und Hausnummer durch die Chorsänger, deren Weggehen die Lücken in den Reihen auf sinnbildhafte Weise verdeutlichen. Auch weitere solcher choreografischen Zutaten sind Gesten, die mehr aussagen als manche klanggewaltige Zutat.

Statt derer bevorzugt Wiede allerlei Effekte der minimal music, greift zu einer Sequenz aus Mozarts „Requiem“, hat Takte aus Bachs „Musikalischem Opfer“ improvisatorisch zu kanonischem Chorgesang verarbeitet. Originell die jazzige Verarbeitung des Textes „Ich steh vor dir mit leeren Händen“ mit dem singenden Komponisten am Klavier, unterstützt vom Saxophonisten Georg Raphael und einem ungenannten Kontrabassisten. Den gesangssolistischen Part, beispielsweise in der Vertonung des 84. Psalms, hat Altus Moritz von Cube übernommen, dessen markante Stimme sich höher und höher schraubt, bis sie in Sopranregionen angelangt ist. Des Publikums ergriffene Einkehr löst sich in zaghaftem Beifall. Vielleicht hätte man doch in Stille auseinandergehen sollen? Peter Buske

Peter Buske

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false