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Barbara Raetsch, geboren 1936 in Pirna, lebt seit 1958 in Potsdam. Jetzt zeigt sie im Offenen Kunstverein die Schau "Heimspiel".

© Ottmar Winter PNN

Barbara Raetsch im Kunstwerk Potsdam: Sonnen, Kräne, Warnsignale

Die MalerinBarbara Raetsch begleitet seit übervierzig Jahren die Umbrüche in Potsdam. „Heimspiel“ zeigteine Stadt im Wandel. 

Potsdam - Wer den Spätsommer vermisst, dessen sattes Roggengelb, das hitzeflirrende Licht über den abgeernteten Feldern, der sollte die neue Ausstellung von Barbara Raetsch besuchen. Wer den Wandel der letzten dreißig Jahre in Potsdam verstehen will, sollte sowieso einen Besuch einplanen. Hat man im Kunstwerk die Treppen geschafft, den ersten, wütenden Raum mit den düsteren Kränen und dem schreienden Rot durchquert, stürzt einem im zweiten die Sonne geradezu entgegen. Etwa zehn Jahre lang, zwischen 2005 und 2010, hat Barbara Raetsch die Facetten des Sommerlichts entblättert: mal in einem Meer aus Sonnenblumen, mal in einer fast monochromen Farbfläche als gleißendes Licht, das sich zwischen Wolken Bahn bricht. 

Der Sonnen-Zyklus ist eine von mehreren neuen Facetten aus dem Werk von Barbara Raetsch, mit denen die Ausstellung „Heimspiel“ überrascht. Auch Landschaften sind zu sehen, und sogar Porträts: die jüngsten aus dem Jahr 2020. Die Schau will Barbara Raetsch selbst nur zögerlich Retrospektive nennen - dafür fehlen dann doch einige Aspekte, sagt sie, etwa die Arbeiten, die außerhalb Potsdams, in Tagebauen in der Lausitz in den 1980er Jahren entstanden. Und dennoch: So umfassend wie hier waren ihre Bild-Zyklen selten zu sehen. Ein Versuch zum 80. Geburtstag der Künstlerin, eine Schau im Haus zum Güldenen Arm, war die Ausnahme.  

Bis in das Jahr 2020 hinein beschäftigte Barbara Raetsch ein Zyklus mit Potsdamer Kränen - Sinnbild für eine Stadt im Umbruch. 
Bis in das Jahr 2020 hinein beschäftigte Barbara Raetsch ein Zyklus mit Potsdamer Kränen - Sinnbild für eine Stadt im Umbruch. 

© Ottmar Winter PNN

Ein ganz und gar nicht altersmildes Werk

„Heimspiel“ umspielt, der Name sagt es, Raetschs Heimat seit 1958: Potsdam. Rund zwanzig Jahre später begann sie, selbst zu malen. „Du kannst das“, hatte ihr Mann, der Maler Karl Raetsch, gesagt. Der wesentliche Impuls.  Die Schau beginnt im Heute und arbeitet sich zurück zu früheren Phasen von Raetschs Malerei. Es beginnt mit dem ganz und gar nicht altersmilden Werk der letzten Jahre und führt, über den Umweg der Sonne, zurück in die 1990er Jahre: in ockerfarbene dörfliche Landschaften - und, durchzogen von bunten Farbtupfern, die unsanierten Häuserfassaden aus dem holländischen Viertel der 1990er Jahre.  

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Im Umkehrschluss könnte man sagen: „Heimspiel“ zeigt den Weg einer Künstlerin auf, die sich freigemalt hat. Frei von Erwartungen, Zwängen, Vorgaben.  

In den jüngeren Arbeiten am Anfang der Schau ist die Künstlerin zu sehen, die heute von sich sagt: „Ich male, was ich will. Ich lasse mich durch gar nichts bevormunden.“ Auch nicht durch den eigenen Anspruch der Wiedererkennbarkeit. Früher, sagt sie, war sie noch mehr der Idee eines Realismus verschrieben, sollte man die Potsdamer Orte, die sie festhielt, hausnummerngenau zuordnen können. Die Arbeiten jüngsten Datums könnten kaum weiter davon entfernt sein: abstrakt wirkende Studien zu weißleuchtenden Farbexplosionen auf rotschwarzem Grund. Sie wollte einfach mal ausprobieren, wie das aussieht, wenn so ein Silvesterfeuerwerk detoniert, sagt sie. Auf der Leinwand. 

Im ersten Raum tut sich zunächst mit großer Geste der fahnenrote Bauzaun an der Fachhochschule auf: als scharfkantiges, flächiges Element, das das marode Gebäude dahinter beinahe völlig verdeckt. „Ein Warnsignal“, sagt Barbara Raetsch. „Oder eine Frage: Musste das sein?“ Im Jahr 2018, dem Abrissjahr der Fachhochschule, wurde sie auf das Gebäude erst so richtig aufmerksam. 

Gemälde von Barbara Raetsch von 2018, das den feuerroten Bauzaun zeigt, hinter dem das mittlerweile abgerissene FH-Gebäude steht.
Gemälde von Barbara Raetsch von 2018, das den feuerroten Bauzaun zeigt, hinter dem das mittlerweile abgerissene FH-Gebäude steht.

© Ottmar Winter PNN

Die leeren Fenster des Hauses erinnern an die leeren Fenster, die sie in den 1990er Jahren in der Gutenbergstraße festgehalten hatte. An einem der leeren Häuser, das völlig ausgebrannt war. Das Brüchige, Abbruchreife zog sie an, hier wie dort. Beide Resultate sind in „Heimspiel“ zu sehen. Das Holländische Viertel konnte damals vor dem Abriss gerettet werden und ist heute hübsch wie nie. Für die Fachhochschule fand sich keine Lobby, die stark genug war: Das Gebäude wurde im Sommer 2018 abgerissen.  

Auch wenn Barbara Raetsch keine Lust hat, sich an politischen Debatten explizit zu beteiligen: mit ihren Bildern tut sie es doch. Mit dem Warnsignalrot um die Fachhochschule, und auch mit dem Zyklus zu Potsdamer Baukränen, der jetzt abgeschlossen ist, sie aber bis in das Jahr 2020 begleitete. Wie riesige schwarze Kreuze beherrschen sie die Bilder, in der Ferne ahnt man die Silhouette der Nikolaikirche. Mal ist der Hintergrund grell weiß, mal orangerot. Dann wirken die Kräne, als stünden sie in einem Meer aus Flammen. Die Baustellen sehen aus wie Friedhöfe.

Marode Fassade. Auf dem Gemälde von 1992 zeigt Barbara Raetsch ein Haus in der Gutenbergstraße im heute hübsch sanierten Holländischen Viertel.
Marode Fassade. Auf dem Gemälde von 1992 zeigt Barbara Raetsch ein Haus in der Gutenbergstraße im heute hübsch sanierten Holländischen Viertel.

© Ottmar Winter PNN

"Sehe immer vor allem das Hier und Jetzt"

Wie sehr Barbara Raetsch der architektonische Umbruch in Potsdam beschäftigt, sieht man auch daran, dass sie die Kräne wieder und wieder übermalt hat. Der Farbauftrag gleicht bei näherem Hinsehen einem Gebirge, die Bilder sind so schwer, dass sie sie nur noch ziehen kann, sagt die 85-Jährige. Tut das denn nicht weh, eigene Arbeiten durch neue zum Verschwinden zu bringen? Ja, schon, sagt Barbara Raetsch, „aber ich kann gar nicht anders“. 

Sentimentalität ist nicht ihre Sache. Deswegen konnte sie auch mit der Einheitsfeierei, die Potsdam jüngst umtrieb, wenig anfangen. Natürlich sei es gut, dass dieser „unnormale Zustand“ von zwei getrennten Staaten vor 30 Jahren beendet worden sei. Aber sich deswegen immer wieder an der Vergangenheit festhalten? „Ich sehe immer vor allem das Hier und Jetzt. Das war schon immer so.“ 

- „Heimspiel“, Offener Kunstverein, Hermann-Elflein-Str. 10, bis 22. November, mittwochs bis sonntags von 15 bis 19 Uhr 

Lena Schneider

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