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Kultur: „Ballett in Russland war immer billig“

Die schwedische Choreografin Gunilla Heilborn kommt mit „Gorkij Park 2“ zu den Tanztagen

Frau Heilborn, Ihr Stück „Gorkij Park 2“ spielt auf den Hollywoodthriller von 1983 an, in dem es um drei entstellte Leichen in einem Moskauer Vergnügungspark geht. Denkt man an den Mord an Boris Nemzow, scheint ihr Stück rasend aktuell.

Ja, das stimmt, obwohl mein Stück ja schon im vergangenen Jahr herauskam – und wir mit den Proben sogar schon 2013 begonnen hatten. Aber mich interessieren Russland und die frühere Sowjetunion einfach. Tatsächlich war ich aber vergangenes Frühjahr in Moskau, um für das Stück zu recherchieren, Interviews zu führen – genau zu der Zeit, als Russland die Krim besetzte.

Hat sich das auf das Stück ausgewirkt?

Der Film ist ja alt, spielt in der Sowjetunion – aber plötzlich fühlte sich die Gegenwart wieder so an. Einiges haben wir geändert, ein paar mehr Bezüge zu heute hergestellt. Es gibt etwa einen Monolog am Ende, in dem es um die Mitarbeiter des Moskauer Gorkij-Museums geht. Darum, wie herzlich sie sind. Was auch heißt: Egal, wie schlimm uns Russland als Staat gerade erscheint – sind die Menschen eben nicht der Staat.

Warum haben Sie gerade diesen Film als Ausgangspunkt gewählt?

Die Antwort ist eigentlich ziemlich banal: Mir gefiel die Idee, einen zweiten Teil von etwas zu machen, wir saßen in der Gruppe zusammen und alberten herum und irgendjemand warf das in die Runde. Und ich sagte: Das ist ein hervorragender Name – obwohl ich mir damals nicht einmal sicher war, ob ich den Film überhaupt gesehen hatte. In dem Originalfilm selbst gibt es eigentlich nichts, was mir so besonders wichtig war – außer meiner allgemeinen Faszination für Russland. Insofern war es wirklich nur ein Gedankenanstoß. Mein „Gorkij Park 2“ ist im Grunde etwas völlig Neues.

Ihr Stück ist also kein KGB-Thriller?

Nein. Aber es geht in den Interviews, die wir eingeflochten haben, schon viel um die Erinnerungen an diese Zeit. Und somit geht es zugleich natürlich auch um die Utopien. So schlimm es damals war – es gab doch einige Ideen, die mir gefallen. Ansätze, die Welt zum Besseren zu verändern, eine bessere Gesellschaft zu schaffen. Unter diesem Ansatz wurde ja auch der Gorkij Park in Moskau entworfen. Aber natürlich will ich diese Ära auch nicht romantisieren, insofern ist es ein wenig eine Gratwanderung.

Haben Sie bei Ihren Recherchen zu dem Stück denn für sich eine Antwort darauf gefunden, warum diese Utopien so grandios gescheitert sind?

Ich denke, es ist extrem schwer, das in einem so großen Maßstab umzusetzen. Das geht nicht, ohne über die Köpfe der Menschen hinweg zu entscheiden, was sie zu tun haben und was nicht. Eigentlich aber müsste es so sein, dass sich jeder von selbst damit identifizieren kann. Dazu kommt: Macht korrumpiert, immer. Darum ging es ja auch bei der Perestroika – die Leute, die daran geglaubt hatten, wollten einen besseren, einen freundlichen Sozialismus. Stattdessen bekamen sie den schlimmsten Kapitalismus von allen. Das ist die traurige Geschichte Russlands.

Lustig, dass auch Sie als Schwedin sagen, Sie können sich eine bessere Gesellschaft vorstellen. Hierzulande glauben viele, Schweden ist schon eine ziemlich ideale Gesellschaft.

Ich denke, es war gut bei uns, als ich ein Kind war. Damals hatten wir gute Schulen, alles war frei. Aber auch wir hatte eine rechte Regierung, und der Neoliberalismus, die Globalisierung, das hat auch uns verändert. Selbst die Sprache hat sich verändert. Wenn Politiker heute über die Gesellschaft sprechen, klingt das oft sehr unternehmerisch.

Das Thema Sozialismus scheint Sie nicht loszulassen – 2011 waren Sie schon einmal bei den Tanztagen, damals mit Ihrem Stück „A five year plan“ – dem klassischen Fünf-Jahres-Plan also.

Ja, da gibt es schon eine rote Linie. Mich interessiert, wie wir leben sollten, was wäre, wenn wir an anderen Orten geboren wären. Es ist, als wäre ich noch immer 20, weil ich all diese philosophischen Fragen stelle – aber ich gehe das immer sehr lustig an, mit Humor. Aber es geht mir oft um das Konzept der Freiheit, darum, was sie bedeutet.

Und, was ist Freiheit?

Ich denke, es gehört schon dazu, eine gute Grundlage an Ressourcen zu haben, ein gesellschaftliches Netz, das einen trägt, sodass man keine Angst haben muss. Ich denke auch, dass wir abhängig sind von anderen. An andere denken zu müssen bedeutet eben nicht, unfrei zu sein. Und immer genau das tun zu können, was man will, bedeutet nicht unbedingt Freiheit.

Neben all der Politik und den Interviews, die Sie geführt haben und die sich als Text im Stück wiederfinden – welche Rolle spielt der Tanz?

Desto mehr Text man hat, desto schwieriger ist es, den Tanz zu integrieren – weil man sich immer fragen muss: Warum sollten die Performer jetzt tanzen? Aber ich denke, hier funktioniert es wirklich gut – auch, weil wir fantastische Kostüme haben, einige sind Kopien aus dem russischen Ballett. Das ist ja überhaupt ein interessantes Phänomen: Im Westen war Ballett immer burgeois – in Russland, auch in der Sowjetunion war es billig, jeder konnte es sich leisten, dorthin zu gehen.

Würden Sie sagen, das Stück reiht sich logisch ein in Ihre anderen Arbeiten?

Ich denke schon, dass ich immer eine ähnliche Handschrift habe, meine Stücke sind oft langsam, ein wenig nachlässig getanzt. Diesmal gibt es aber einen Unterschied – ich wollte bestimmte Sounds wie Wind, Szenen, die filmisch, musicalhaft sind. Es hat insgesamt eine etwas größere Attitüde, was auch an den Kostümen liegt. Die sind schon sehr außergewöhnlich. Außerdem nutze ich zunehmend mehr Dialoge, was jedes Stück sofort mehr zum Theater macht.

Das Gespräch führte Ariane Lemme

Gunilla Heilborns Stück „Gorkij Park 2“ ist am heutigen Samstag um 20 Uhr in der „fabrik“, Schiffbauergasse, zu sehen

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