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Das Plakat von Anke Feuchtenberger entstand für die Wahlen 1990 für den Unabhängige Frauenverband.

© Andreas Klaer

Ausstellung zur Potsdamer Frauenbewegung: „Wer sich nicht wehrt, kommt an den Herd“

Die Wende setzte 1989 viele Hoffnungen frei – auch in der Potsdamer Frauenbewegung. Die Schau „Wir dachten, wir können die Welt aus den Angeln heben“ zeichnet diese eindrucksvoll nach.

Potsdam - Die Gedenkstätte in der Lindenstraße ist gemeinhin nicht als Ort der Hoffnung bekannt. In dem Gefängniskomplex saßen von 1933 bis 1945 politisch und rassistisch Verfolgte ein, danach Menschen, die der sowjetischen Geheimpolizei oder der Stasi zum Opfer fielen. Das „Lindenhotel“, Ort der Verzweiflung. Und doch ist da jetzt auf einer Litfaßsäule im Treppenhaus ein Plakat der Künstlerin Anke Feuchtenberger zu sehen, das von einer sorgenfreien Zukunft kündet. „Alle Frauen sind mutig! stark! schön!“, ruft es.

Die umfangreiche, sehenswerte Sonderausstellung, die ab dem heutigen Freitag zu erleben ist, behandelt das hellste, am wenigsten bekannte Kapitel der Lindenstraße 54: Die Zeit ab Januar 1990, als die Mauer offen war, und die Zukunft auch. Im ehemaligen Untersuchungsgefängnis des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) zogen Gruppen und Parteien ein, die sich für die Neugestaltung des noch existierenden Staates DDR starkmachten. Der SPD-Vorgänger SDP war dabei, das Neue Forum. Und auch die Unabhängige Initiative Potsdamer Frauen. Um die geht es hier.

Jeanette Toussaint kuratierte die Ausstellung

Der Titel der Schau gibt die Richtung an: „Wir dachten, wir könnten die Welt aus den Angeln heben“. Das Zitat der Zeitzeugin Heiderose Gerber umreißt das Selbstvertrauen, das der Bewegung 1990 innewohnte – und auch eine gewisse Portion der Vergeblichkeit. Heute weiß man: Die Welt wurde damals nicht aus den Angeln gehoben. Aber sie wurde um viele Impulse und Initiativen reicher. Einige davon, wie der Mädchentreff „Zimtzicken“ oder der Verein Autonomes Frauenzentrum Potsdam, bestehen noch heute. Viele der Probleme von damals aber auch.

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Kuratiert hat die Ausstellung eine, die Innen- und Draufsicht auf die Potsdamer Frauenbewegung in sich vereint. Jeanette Toussaint ist freiberufliche Kuratorin und studierte Soziologin – und sie zählte zu den Frauen, die am 10. Dezember 1989 erstmals in der Ausbildungsstätte für Gemeindepädagogik zusammenkamen. Sechs Tage später gründen 33 von ihnen die parteiübergreifende Unabhängige Initiative Potsdamer Frauen. Bis April 1990 wächst der Kreis auf 150 Mitglieder an.

Zum Potsdamer Kreis gehörte auch Jeanette Toussaint, die Kuratorin der Sonderschau. 
Zum Potsdamer Kreis gehörte auch Jeanette Toussaint, die Kuratorin der Sonderschau. 

© Andreas Klaer

Viele Frauen in der DDR hegten eine zentrale Befürchtung

Die Potsdamer Initiative war kein Alleingang. Am 3. Dezember bereits hatte sich in Berlin der Unabhängige Frauenverband (UFV) gegründet, dessen Credo auf einem großen Banner an der Berliner Volksbühne hing: „Wer sich nicht wehrt, kommt an den Herd.“ Die zentrale Befürchtung vieler Frauen in der DDR damals: Aus der Berufstätigkeit heraus- und in „klassische“ Familienverhältnisse hineingedrängt zu werden. Der UFV zählt bald 3000 Mitglieder, er nimmt am Zentralen Runden Tisch teil, wo über die Neuordnung der DDR nachgedacht wird. Er kandidiert auch für die Volkskammerwahl – für den Wahlkampf entsteht Anke Feuchtenbergers Plakat. Zwei Mitglieder werden 1990 in die Übergangsregierung der DDR und den Bundestag gewählt.

Im Dezember 1989 wurde der dazugehörige Potsdamer Zweig gegründet, der durch Aktionen mehr Gleichberechtigung einforderte.
Im Dezember 1989 wurde der dazugehörige Potsdamer Zweig gegründet, der durch Aktionen mehr Gleichberechtigung einforderte.

© Andreas Klaer

In Potsdam sind rund 25 Frauen aktiv, ihr Büro haben sie im ersten Stock des ehemaligen Gefängnisses, Blick auf die Straße. Ein Frauencafé wird gegründet, zu den Initiatorinnen gehört auch Jeanette Toussaint. Sie ist eine von den acht lachenden Frauen, die im Juli 1990 vor dem neuen Frauenzentrum fotografiert werden. Toussaint engagiert sich damals auch im FrauenGesundheitsZentrum, einer weiteren Initiative der Potsdamerinnen. Der Frauenpolitische Rat wird gegründet, der bis heute weit über Potsdam hinaus in das Land Brandenburg strahlt. Der 8. März wird entstaubt und wiederbelebt, die Frauen nutzen ihn auch in Potsdam, um ihre Forderungen auf selbstgestalteten Flugblättern zu verteilen: „Gleichstellung von Frauen, Männern und Kindern!“, steht da. „Reale Gehälter für frauentypische Berufsgruppen!“ Und, ganz groß: Nicht gegen Männer, aber für Frauen!“

Die Frauenbewegung war keine Massenbewegung

Einige der Frauen arbeiten damals auch in der neuen Verwaltung des Landesministeriums mit. 1990 ist Brandenburg das einzige ostdeutsche Bundesland mit einem Ressort für Frauen und Gleichstellung. Die erste Gleichstellungs- und Frauenministerkonferenz findet im November 1991 statt, im Schloss Cecilienhof.

Schon in den Anfängen war die Frauenbewegung keine Massenbewegung gewesen – viele, so sagt es Jeanette Toussaint, glaubten, „dass sich die Frauenprobleme mit der Zeit von alleine erledigen würden“. Mit der Zeit ermüdet auch der Elan der aktiven Frauen. Schon 1991 engagieren sich nur noch wenige in Potsdam. 1995 wird das Büro aufgelöst. Der UFV nimmt nach 1990 nicht mehr an Landtags- oder Bundestagswahlen teil. Die Frauenbewegung nach 1990 – letztlich die Geschichte einer Enttäuschung?

Nein, sagt Jeanette Toussaint bestimmt. „Es war eine wichtige Zeit, eine Zivilgesellschaft im Prozess.“ Dass dieser Prozess nicht zu Ende, die Gesellschaft noch nicht am Ziel ist, zeigt der letzte Raum der Schau. Eine Tafel erinnert hier daran, dass Frauen pro Stunde im Schnitt 18 Prozent weniger als Männer verdienen, dass sie weniger in politischen Gremien sind, viel mehr Erziehungsarbeit leisten. Hier steht auch ein nachgebauter Laternenpfosten, auf den Besucher:innen Forderungen kleben können. Eigene oder vorgedruckte. Ein Sticker heißt: „Power to the Parität“.

Bis 8. Januar 2023 in der Lindenstraße 54. Am 27. August, 11 Uhr, führt die Kuratorin durch die Schau, Anmeldung unter info@gedenkstätte-lindenstrasse.de

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