zum Hauptinhalt
Oft verleiht Schnee Landschaften etwas Tröstliches. Die Fotos aus Aleppo zeigen etwas anderes. 

© Marwan Tahtah

Ausstellung in Potsdam: Nach der Apokalypse

Der Fotograf Marwan Tahtah war 2016 in Aleppo unterwegs. Die Potsdamer AE Galerie in der Charlottenstraße zeigt nun seine schwarz-weißen Bilder.

Auf keinen Fall sollten die Fotos noch weiter bearbeitet werden. Darauf hatte Marwan Tahtah bestanden. Seine eindrucksvollen Schwarz-Weiß-Fotografien zeigen die syrische Stadt Aleppo. Derzeit sind sie unter dem Titel „Aleppo in Black and Snow“ in der AE Galerie zu sehen. Als der Fotograf die Bilder entwickelte, hatte ihn die Galeristin Angelika Euchner darauf hingewiesen, dass es durchaus möglich sei, die Bilder aufzuhellen und somit auch Details sichtbar zu machen, die nun im Dunkel verschwinden. Aber Tahtah wollte die Fotos genau so, wie sie nun zu sehen sind. Nur so würden sie der Stimmung in Aleppo gerecht.

Die Potsdamer Galerie von Angelika Euchner war mit der Ausstellung beim European Month of Photography (EMOP) 2018 vertreten, was durchaus eine Auszeichnung ist. Über 120 Museen, Galerien und Projekträume nehmen an diesem Festival für zeitgenössische Fotografie teil, das als das größte Deutschlands gilt. Marwan Tahtah, dessen Bilder der Galerie diese Auszeichnung verschafft haben, zeigt Fotos aus Aleppo, die er dort Ende 2016, Anfang 2017 aufgenommen hat. 

Es sind auch Bilder von Menschen, die zurück ins Leben wollen

Es sind Bilder einer zerstörten, von einem Krieg verwüsteten Stadt. Aber es sind auch Bilder einer Bevölkerung, die nach der Apokalypse nach einem Weg zurück ins Leben sucht – und kaum findet. Was die Bevölkerung von Aleppo hier während des Krieges um die Stadt jahrelang erlebte, ist mit einem Weltuntergang zu vergleichen. 2016 endete dieser Krieg mit der Niederlage der Rebellen.

Die Islamwissenschaftlerin Kathleen Göbel hielt sich ebenfalls im Dezember 2016 in Aleppo auf – zufällig zeitgleich mit Tahtah. In einem Gastvortrag in der AE Galerie erläuterte sie, was sie dort erlebte. Göbel ist für Kultureinrichtungen und Nichtregierungsorganisationen tätig und war damals mit einem Filmteam in Aleppo. Entstehen sollte eine Fernsehdokumentation. Arte hatte sich durchaus interessiert gezeigt. Als der Film jedoch fertig gestellt war, schwand das Interesse der Sendeanstalt nach einer ersten Sichtung rapide. 

"Auch Assad ist nicht so, wie er im Westen dargestellt wird"

Denn die Aussagen und Interviews in dem Film stimmten nicht mit dem Bild überein, das der Sender im Einklang mit den weiteren öffentlichen Medien vom Krieg von Aleppo vermitteln wollte. „Es ist nicht alles Schwarz und Weiß, auch Assad ist nicht so, wie er im Westen immer dargestellt wird“, sagt Göbel.

Die Kulturmanagerin versuchte sich während ihrer Reise in die zerstörte Stadt ein Bild von der Situation und den Möglichkeiten dort zu machen. Sie sprach mit Einwohnern, die in die vormals evakuierte Stadt zurückkehren wollten, aber auch mit Bischöfen und Milizen. „Bleibt einfach weg, alle. Wir wollen eure Hilfe nicht. Wir kommen alleine klar und wollen das Land auch alleine wiederaufbauen“, hatte einer der Zurückgekehrten in die Kamera gesagt. Das missfiel dem Sender offenbar. Das offizielle Bild Syriens wollte es, dass lediglich Assad, der Diktator, jeden konstruktiven Dialog mit möglichen westlichen Alliierten ausschloss – damit aber in Widerspruch zur Bevölkerung handelte.

Die Alternative zu Assad wäre der "Islamische Staat" gewesen

Auf einem der Fotos von Marwan Tahtah findet sich ein Fahrzeug, in dessen rückwärtiger Fensterscheibe ein Foto prangt. Es ist Assad, der Vater des gegenwärtig regierenden Alleinherrschers. Die Mitglieder der Familie, die seit mehreren Jahrzehnten das Land regiert, werden nicht nur als die grausamen Despoten gesehen, als die sie in der hiesigen Berichterstattung erscheinen, erläutert Kathleen Göbel. Zudem, sagt sie, wäre die Alternative bei einem Sieg der Aufständischen in Aleppo gewesen, dass die Stadt zu einer Enklave des sogenannten „Islamischen Staates“ geworden wäre. 

Was das bedeutet hätte, ist in Aleppo zu besichtigen. Die Aufständischen zerstörten den historischen Basar, der zum Unesco Weltkulturerbe gehörte und nun vollständig ausgelöscht ist. Ebenso wie die 500 Jahre alte Chusrawiyya Moschee.

Tahtah zog mit der Kamera durch die verlassene Stadt

In dem Film von Kathleen Göbel sind Kinder zu sehen, auf die auch der Fotograf Tahtah gestoßen war, als er mit der Kamera durch die verlassene und zerbombte Stadt zog. Einzelne Gesichter sind nicht zu erkennen, teils weil die Knaben ihr Gesicht hinter einem Schal verbergen oder die Mütze wegen der Kälte tief ins Gesicht gezogen tragen, teils wegen der sehr dunklen Stimmung der Bilder. Schnee liegt auf den Trümmern. Aber auch das friedliche Weiß vermag es nicht, die zerschundene Stadt in einem versöhnlichen Licht zu zeigen.

Auf den Bildern der Serie „Behind the Veil“ ist eine rückwärtig fotografierte Frau zu sehen, die der 37-jährige Marwan Tahtah in seinem Studio in der libanesischen Hauptstadt Beirut, seinem Geburtsort, aufgenommen hat. Erkennbar ist die Frau nicht, denn der Betrachter sieht nur ihre langen, dunklen Haare. Auf weiteren Fotos ist der Schleier zu sehen, den sie abgenommen hat. Viele Frauen zeigten sich derzeit im vertrauten Kreis oder in anderen nicht-öffentlichen Situationen ohne Schleier, erklärte Marwan Tahtah der Galeristin Euchner. Es sei der Versuch eines, wenn auch verhaltenen, Ausbruchs. Zu sehen sind kunstvoll arrangierte Schleier und auch die Nadeln, mit denen er normalerweise an den Haaren festgemacht wird.

Sich vorzustellen, wie der Schleier mit den zahlreichen Nadeln, die dann nicht mehr zu sehen sind, auf dem Kopf fixiert und dann den ganzen Tag getragen wird, weckt unmittelbar Unbehagen. Dennoch entspricht das Tragen des Schleiers nun der offiziellen Doktrin in Syrien. Es drängt sich unmittelbar die Frage nach dem Unterschied des herrschenden Regimes zu dem verhinderten Islamischen Staat auf.

Marwan Tahtah: „Aleppo in Black and Snow“ und „Behind the Veil“, noch bis 15. November mittwochs bis freitags 15 bis 19 Uhr sowie samstags 12 bis 16 Uhr in der AE Galerie, Charlottenstraße 13

Richard Rabensaat

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false