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Ausstellung in der Villa Schöningen: Es blaut in Potsdam

Er ist einer der wichtigsten Künstler der Gegenwart: Neo Rauch. Mit seiner Frau Rosa Loy setzte er in Bayreuth Richard Wagners „Lohengrin“ ins Bild, in der Villa Schöningen ist jetzt eine Ausstellung darüber zu sehen - ab Mittwoch in der Villa Schöningen.

Blau ist keine Farbe, blau ist eine Welt. Vom hellen Fast-Weiß über etliche Nuancen des Graublau, diesiges Taubenblau bis hin zum zutiefst nächtlichen Fast-Schwarz: in der Villa Schöningen blaut es gewaltig. Schuld daran ist Neo Rauch. 

Der Leipziger Künstler und seine Frau Rosa Loy sind derzeit in Potsdam zu Gast, sie zeigen hier ihr gemeinsam gestaltetes Bühnenbild für Richard Wagners „Lohengrin“, der im Sommer in Bayreuth Premiere feierte. Viel Lob hat die Inszenierung nicht abbekommen, aber dieses alles dominierende Blau, das Rauch und Loy für die Bühne entwickelt hatten, dem konnte sich niemand entziehen. Schon Friedrich Nietzsche soll Wagners Musik als blau beschrieben und ihr eine „opiatische, narkotische Wirkung“ attestiert haben.

Der titelgebende „Lohengrin“ ist der Sohn des mythischen mittelalterlichen Königs Parzival. Bei Wolfram von Eschenbach taucht er nur am Rande mit auf, bei Wagner ist er Titelheld, ist Rettergestalt. Es gilt, eine Dame zu retten, Elsa von Brabant, die zu Unrecht des Mordes an ihrem Bruder angeklagt ist und dafür hingerichtet werden soll. Lohengrin stürmt heran, gezogen von einem Schwan, so sah es Wagner vor. Er tötet Elsas Peiniger im Zweikampf und nimmt sie zur Frau – unter einer Bedingung: Sie darf nie nach seiner Herkunft fragen. 

Sechs Jahre arbeiteten sie an dem Bühnenbild

Kurz gesagt: Elsa hält durch, bis kurz vor Schluss. Dann will sie es wissen und verliert alles – oder gewinnt, je nach dem. Man könnte auch sagen: Sie bringt Licht ins Dunkel, befreit sich vom Diktat der Hörigkeit. So in etwa haben Rauch, Loy und der Regisseur Yuval Sharon ihre Elsa in Interviews beschrieben. Wie in der Villa Schöningen zu entdecken ist, ist das auch farblich nachzuvollziehen: Wo es um Elsa geht, im Schlafzimmer, im Innenfutter ihres Umhangs, kriecht ein glühender Rostton in das dominante Blau des Bühnenbilds.

Wagners märchenhafte, im 10. Jahrhundert im Herzogtum Brabant angesiedelte Oper bevölkern Rauch und Loy in ihrem Bühnebild mit Elementen, die auch sonst durch Rauchs Bilder geistern: ein Trafohaus, ein bedrohlich umwölkter Himmel, das kalte Licht von Sonnenstrahlen, die sich hierdurch Bahn brechen, düster aufragende Pappeln. Und natürlich der Strommast. Der war schon in Neo Rauchs Gemälde „Der Former“ von 2015 im Hintergrund zu sehen. Die Arbeit am Bühnenbild für den „Lohengrin“ war damals schon in vollem Gange: Sechs Jahre arbeitete das Künstlerpaar daran. Dann war die Inszenierung von Yuval Sharon sieben Mal zu sehen, jetzt ist Pause bis zur nächsten Festspielsaison in Bayreuth. Nicht umsonst gilt die Bühne als die flüchtigste aller Künste. 

Die Schau zeigt auch die Entstehungsgeschichte des Bühnenbilds

Die Schau in der Villa Schöningen will dieser Flüchtigkeit eine kleine Atempause verschaffen und zeigt Elemente des abgetragenen Bühnenbildes – und vor allem blickt sie zurück und zeigt die Genese des Großevents. „Der Former“ gehört dazu. Er hängt als Ausgangspunkt der Schau gleich im ersten Raum. Der Himmel, die Pappeln, das Blau, alles ist schon da. Im Mittelpunkt, wie oft bei Neo Rauch, eine Gruppe von arbeitenden Menschen, konzentriert bei einer Tätigkeit, die sich nicht wirklich entschlüsseln lässt. Vorne links steht, in Stiefeln und mit in die Hüften gestützen Armen, ein Bebobachter, ein Aufpasser vielleicht. Lange Insektenflügel hängen von den Schultern herab.

Ein Bühnenbild-Modell des "Lohengrin" in der Villa Schöningen.
Ein Bühnenbild-Modell des "Lohengrin" in der Villa Schöningen.

© Manfred Thomas/PNN

Im gleichen Raum gegenüber von Rauchs „Der Former“ hängt Rosa Loys Gemälde „Mansarde“ von 2012. Drei Frauen in nächtlichem Licht, auch hier ist das Blau die dominierende Farbe. Und: Auch hier ist schon ein Falter zu sehen, fast flattert er aus dem linken Bildrand. Korrespondierend dazu werden in Vitrinen spätere Skizzen von Insekten zu ausgestellt: Käfer, wie sie sich in den ebenfalls ausgestellten Kostümen wiederfinden werden. Im Raum nebenan trifft man auf das lebensgroße Kostüm der Ortrud, deren Wams mit Nachtfaltern bedruckt ist – und mit  Mistkäfern. 

Ortrud, das ist die Verräterin im „Lohengrin“ – die, die der gutgläubigen Elsa den Zweifel einflüstert. Man kann Ortrud auch anders beschreiben: als eine, die Elsa zu Freidenkerin machen, zum Nachfragen und Zweifeln bringen will. So beschreibt sie Regisseur Yuval Sharon in einem Text, der auch in der Ausstellung zu lesen ist: als „Freiheitskämpferin“, die sich gegen die Heuchlerei der Brabanter wendet, als „Revolutionärin mit matriarchalischen Wurzeln“. Eine Kostümskizze von Rosa Loy zeigt sie mit kurzem Haar und überkniehohen Stiefeln.

Kostüme des Chores aus dem "Lohengrin", ausgestellt in der Villa Schöningen.
Kostüme des Chores aus dem "Lohengrin", ausgestellt in der Villa Schöningen.

© Manfred Thomas/PNN

Richard Wagner, der Revoluzzer

Überhaupt lohnt es sich, sich in der Villa Schöningen nicht nur in die unzähligen Facetten des Blaus zu vertiefen, den Blick durch die großen Fenster in Richtung Glienicker Brücke streifen zu lassen oder, bei wagnerischen Klängen mit denen der geschichtsträchtigen Havelgewässer draußen vorm Fenster abzugleichen. Vielmehr sollte man, wie so oft, auch das Kleingedruckte an den Wänden lesen. Die Ausführungen zu Wagners Revoluzzertum zum Beispiel, das seinen Höhepunkt erreichte, als er gerade dabei war, den „Lohengrin“ zu schreiben. Ende der 1840er Jahre war das, das Textbuch zu „Lohengrin war bereits 1845 fertig. Im April 1848 schrieb Wagner in den „Volksblättern“: „Ja, wir erkennen es, die alte Welt, sie geht in Trümmer, eine neue wir aus ihr entstehen, denn die erhabene Göttin Revolution, sie kommt dahergebraust auf den Flügeln der Stürme ... das Schwert in der Rechten, die Fackel in der Linken.“ 

Als Funken einer solchen Fackel kann also auch der als Orangeton gelesen werden, der durch diese dunkelblaue Ausstellung flimmert. Ob das Lohengrin gleich zu einem Bruder Lenins macht, wie es Regisseur Yuval Sharon gern sähe, mag jeder selbst beurteilen. Das Schöne an den Werken von Rauch und Loy bleibt ja, und das zeigt auch diese Schau: Sie formulieren die Dinge nicht aus. Sie bewegen sich auf dem Terrain der erdachten, erträumten Realität, und die bleibt gnadenlos subjektiv.

"Rosa Loy und Neo Rauch: Lohengrin", bis 13. Januar in der Villa Schöningen, Berliner Straße 86.

Lena Schneider

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