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"Aus der Wunderkammer" heißt die gemeinsame Installation von Sandra Riche und Ilse Winckler.

© Andreas Klaer

Ausstellung in der Potsdamer Galerie M: Mit Haut und Haaren

In der Galerie M beschäftigen sich zwei Künstlerinnen mit Sinnlichkeit – und lassen die Gefühle walten. Der Besucher fühlt sich in einen Film noir versetzt.

Von Helena Davenport

Potsdam - Sandra Riche liebt Geschichten, und sie liebt es, diese Geschichten mit ihrer Kunst anzudeuten. Aus zweckentfremdeten Alltagsgegenständen – Schuhen, Strümpfen, Wäsche – setzen sich ihre Assemblagen zusammen, die gerade in der Produzentengalerie M zu sehen sind. Und die dort wie die Hinterlassenschaften an einem Tatort nach Deutung verlangen. Was ist geschehen? Was haben ihre ursprünglichen Besitzer zu verbergen? Wer hat die schwarzen Krawatten abgeschnitten? Wofür wurde das schwere Werkzeug gebraucht, dessen Umrisse sich auf der übrig gebliebenen Verpackung abzeichnen? In ein daneben hängendes Notizbuch hat jemand wieder und wieder den Satz „Sie ist gegangen, ohne sich zu verabschieden“ geschrieben. Manie? Hass? Häusliche Gewalt?

Hier liegt der Witz verborgen

Bei einem genaueren Blick, wird deutlich, dass es sich niemals um Werkzeug gehandelt haben kann, viel eher um Besteck, harmlose Kuchenheber und Löffel. Und eine plausible Geschichte wird sich ohnehin nie konstruieren lassen. Es ist vielmehr ein Gefühl, das Sandra Riche mit der Art und Weise ihrer Bearbeitung und Zusammenstellung von Objekten erzeugt. Und diese eine Arbeit verbreitet so ein Gefühl, dass hier Zwang und rohe Gewalt stattgefunden haben müssen. Etwas Brachiales geht von den Objekten aus. Von dem gehärteten schwarzen Bustier, versehen mit den Zahlenrädern eines Nummernschlosses, von den kofferartigen schwarzen Plastikverpackungen. Und hier liegt der Witz verborgen, der feingeistige Humor, der mitschwingt. Wie in einem Film noir sind es vor allem die Gedankenkonstruktionen des Betrachters, die die Geschichte ausgestalten. Denn eigentlich geht es der Künstlerin eher um die kleinen Unfälle im Alltag, um Absurditäten. „Ich spiele gern mit Ironie“, sagt sie.

"Sie ist gegangen, ohne sich zu verabschieden" von Sandra Riche.
"Sie ist gegangen, ohne sich zu verabschieden" von Sandra Riche.

© Andreas Klaer

Mit dem Thema Sinnlichkeit beschäftigt sich die Ausstellung, die den Titel „À fleur de peau“ trägt, was nicht direkt ins Deutsche übersetzt werden kann, aber im Grunde jemanden beschreibt, der extrem reizbar ist. Der quasi an die Decke geht, wenn die Spitzen eines Blütenblatts ihn berühren. Die französische Künstlerin Sandra Riche, die in Berlin lebt und arbeitet, hat sich für die Schau mit Ilse Winckler zusammengetan, die im Groß Glienicker Künstlerhaus Panzerhalle ihr Atelier hat. Bis 2016 war auch Riche dort untergebracht. „Wir sind Aktivistinnen für Sinnlichkeit in der Kunst“, sagt Riche – nicht ohne hierbei ihr sympathisches, verschmitztes Lächeln zu lächeln.

Die Schau vereint viele Facetten

Die beiden Künstlerinnen des Brandenburgischen Verbands Bildender Künstler haben ihre Ausstellung mit Raffinesse konzipiert. Nicht nur, dass sie sich dem Thema in mehrerer Hinsicht nähern – es geht nämlich nicht ausschließlich um die sinnliche Erfahrbarkeit von Kunst, sondern auch um die Hingabe zweier Menschen. Die Ausstellung mit Riches rätselhaften Assemblagen passt auch so perfekt in die teils niedrigen, gewölbten Räumlichkeiten. Obendrein weist die Schau zahlreiche Facetten auf, die den Besucher auf verscheidene Weisen herausfordern.

"Sie übte jeden Tag, um ihn nicht zu vergessen" von Sandra Riche.
"Sie übte jeden Tag, um ihn nicht zu vergessen" von Sandra Riche.

© Andreas Klaer

Da wäre zum Beispiel „Das Wesen“ von Ilse Winckler, das einem zum ersten Mal gleich am Anfang im Flur begegnet. Besser gesagt seine Umrisse – die Künstlerin hat es aus Spiegelfolie herausgeschnitten, ein amorphes Ding, das scheinbar ein Eigenleben entwickelt hat, jedenfalls ist es nicht mehr an Ort und Stelle. Blickt man nach oben, fallen Reflektionen an der Wand auf, die wie Wasser wabern. Das silberne Wesen thront weiter oben an der Wand und fängt Sonnenstrahlen.

Ein weiteres Mal begegnet es einem in den unteren Räumen der Galerie als Collage, ausgefüllt von gedärmartigen Schlingen. Ebenfalls Sujet der Ausstellung: das Verhältnis von Innen und Außen, von Hülle und Kern. Man suche als Künstler immer nach der Essenz, sagt Riche. In ihren Installationen und auch in einem Film von 2006 spielen deswegen Haut und Haare eine große Rolle – unter anderem ihr eigenes „echtes Künstlerhaar“ und Latex, das nicht nur wie Haut aussieht, sondern auch genauso altert: „Ein Horror für Kunstsammler“, kommentiert Riche. Diese Materialien stünden, so die Künstlerin, nicht nur für die Hülle, den Schutz, sondern seien gleichzeitig Offenbarung, nämlich entscheidend beim ersten Eindruck.

Ile Winckler hat Collagen mit Katalogseiten zu Kunstwerken von Marino Marini angefertigt.
Ile Winckler hat Collagen mit Katalogseiten zu Kunstwerken von Marino Marini angefertigt.

© Helena Davenport

Was die Künstlerinnen, die auch eine gemeinsame Arbeit präsentieren, verbindet, ist ihr Hang zum Sammeln und Entfremden. Während es bei der einen Gegenstände sind, die sie auf Flohmärkten findet, sind es bei der anderen alte Hefte und Magazine. Riche bezeichnet Winckler als „Königin der Collagen“. In ihren feinen Arbeiten baut die Brandenburger Künstlerin eine besondere, tatsächlich fühlbare Energie auf. Sie vereint mehrere Motive zu einem, wodurch sich eine Spannung aufbaut, die das neu entstandene Motiv aufzuladen scheint. Wieder schreibt das Gefühl die Geschichte – eine die nicht greifbar, aber dennoch da ist.

„À fleur de peau“, Ausstellung bis 8. Februar in der Produzentengalerie M, Charlottenstraße 122

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