zum Hauptinhalt

Ausstellung im ZZF Potsdam: Aus Kraut wird Kunst

Holger Herschel zeigt „Leergut“ aus der DDR.

Potsdam - Sie haben ein Volk ernährt: Aufgereiht wie eine Heilsarmee präsentiert Holger Herschel in seiner Ausstellung „Leergut“ Fotografien von Konservengläsern und Flaschen. Jedes Foto die Frontalansicht eines Gefäßes, das zu DDR-Zeiten Sauerkraut, Kondensmilch oder Marmelade enthielt. Die eingestaubten und verdreckten Gläser aus dieser längst versunkenen Zeit hat Herschel nochmal zurückgeholt. Aus der Vergangenheit, aus dem Müll, aus dem Vergessen. Aus den Fotos ist eine Ausstellung geworden, die jetzt das Zentrum für Zeithistorische Forschung zeigt. Am Dienstag wurde sie unter großer Anteilnahme eröffnet.

Die Laudatio hielt Ralph Hammerthaler, Schriftsteller und Freund von Herschel. Hammerthaler zitiert Heinrich von Kleist: „Es kommt nicht auf den Gegenstand an, sondern auf das Auge.“ Herschels Auge ist die Kamera, eins zumindest. Denn diese komische Bildauswahl – wer holt schon Konservengläser aus dem Müll und fotografiert sie? – provoziert gleich eine Handvoll Assoziationsebenen.

Da wäre die ihrer eigenen Geschichte, eine beinahe archäologische Ausgrabung. Herschel zieht Ende der 1980er Jahre in ein altes Bauernhaus in der Uckermark. Beim Entrümpeln entdeckt er zahlreiche leere Flaschen und Gläser. Er will sie zum Recyclinghof bringen, der in der DDR Sero-Annahmestelle heißt, packt sie in Körbe und lagert sie im Stall – wo er sie vergisst. Als er 20 Jahre später darüber stolpert, nimmt er sie plötzlich ganz anders war. Nicht als Abfall, sondern als historisches Dokument mit eigener Ästhetik.

Die Sammlung erzählt etwas über die Ernährungs- und Trinkgewohnheiten der früheren Hausbewohner und ebenso der ganzen DDR. Sie erzählt von Mischgemüse und Schnaps, Babysaft „Apfel-Früchte-Mischung ab 6. Woche“ und „Mischsirup aus Zorbig. Hergestellt aus Kristallzucker unter Zusatz von Stärkesirup, Zuckerkulör und Sahnearoma“. Gemischt und verlängert war offenbar manches in der DDR. In Zeiten des heutigen Überflusses ist es somit auch eine Rückschau auf eine Zeit, in der man trotz allem nicht verhungerte. Oder Schaden nahm, weil die sparsam beschrifteten Etiketten keine genauen Zutatentabellen enthielten. Immerhin, auf dem Mischgemüse heißt es: „Energiegehalt in 100g: 190 kj.“

Dass viel und gerne getrunken wurde in der DDR, zeigt auch Herschels Flaschenfund. Mit dabei Goldbrand, Klarer, Eggvocaat – Schriftsteller Hammerthaler findet die Wortschöpfung auch unter heutigen Ansprüchen durchaus gelungen – und D’Artagnant Cremant, süßer Sekt und offenbar ein seltenes Schnäppchen. „Ich wusste gar nicht, dass es das bei uns gab“, sagt Herschel.

Die Fotos kann man genauso gut unter gestalterischem Blickwinkel betrachten. Das Design der Etiketten, die knappe Farbigkeit, der eine oder andere Anflug individueller, unverordneter Kreativität sind typisch 70er Jahre, in denen man in der DDR offenbar stecken blieb. Einmal fertig, blieb das Etikett. Lust machen auf den Inhalt musste es sowieso nicht, es gab nur den einen Rotkohl. Und Hammerthaler entdeckt beim lauten Vorlesen des Textes sogar eine besondere Poesie in der sozialistisch rumpelnden Sachlichkeit.

Während sich Ausstellungsbesucher in Ulm, auch dort wurden die Bilder gezeigt, vor allem für die Gestaltung interessierten, finden Ostdeutsche hier ein Stück ihrer Vergangenheit. „Die Gläser bekommen hier ein Stück Wert und Würde zurück“, sagt eine Besucherin. „Das ist ein Effekt, den ich so gar nicht erwartet habe.“ In Potsdam wunderte man sich bei der Vernissage zudem, warum das Haltbarkeitsdatum, das in eine Zahlenreihe am Rand des Etiketts eingeritzt wurde, stets nur ungerade Zahlen enthielt. 

„Leergut“ im Zentrum für Zeithistorische Forschung, Am Neuen Markt 9d, bis 5. Oktober. Geöffnet Montag bis Donnerstag 10 bis 17 Uhr, Freitag bis 15 Uhr

Zur Startseite