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Costantino Ciervos Arbeit "Sew in the Sea I" von 2019 im Museum Fluxus+.

© Museum Fluxus+

Ausstellung im Potsdamer Museum Fluxus: Poesie mit Knalleffekt

Das Museum Fluxus+ zeigt neue Arbeiten des italienischen Künstlers Costantino Ciervo, der sich mit Missständen in seinem Land auseinandersetzt.

Potsdam - Costantino Ciervo ist ein feingliedriger Intellektueller mit sensibel anmutenden Gesichtszügen. Der Italiener, der seit 30 Jahren in Berlin lebt, zeigt seit gestern im Museum Fluxus+ eine neue Auswahl seiner Kunstobjekte. Die teils performativen, teils installativen Werke entfalten bei näherer Betrachtung eine immanente Kraft, die sich jedoch nicht auf den ersten Blick erschließt. So beispielsweise eine Fotoserie zu von Terroristen ermordeten Politikern. „Liberateli Tuttu“, was in etwa „befreit alle“ bedeutet, lautet der Titel der Fotoarbeit von 2012. Sie zeigt den 1961 geborenen Künstler in einer Pose, die auch der entführte italienische Politiker Aldo Moro auf einem Bild von 1978 einnahm, welches die Terroristen der Roten Brigaden von ihm machten.

Aldo Moro wurde ermordet wie auch der deutsche Arbeitgeberpräsident Hans Martin Schleyer. Auch von Schleyer gibt es ein Foto, das seine Entführer aufnahmen und der Öffentlichkeit zugänglich machten. Ciervo hatte sich ebenfalls in der Pose Schleyers inszeniert und die Fotoarbeit vor einigen Jahren auf der Kunstmesse Art Cologne gezeigt. „Das war natürlich eine Provokation“, sagt Ciervo. Kunst, Politik, Wirtschaft, das alles hänge zusammen. Ein Künstler, der auf dem Kunstmarkt agiere, von Wirtschaftskreisen gekauft werde, laufe Gefahr, zum Aushängeschild zu werden. Mit den provokanten Fotos hinterfrage er die Rollen von Täter und Opfer, die Spirale von Gewalt und Gegengewalt, und die Wirkung von Propaganda und Inszenierung.

Der Kreislauf von Geld und Macht

Der Kreislauf von Geld und Macht und die Möglichkeiten, der Kunst eine andere soziale und vielleicht utopische Perspektive aufzuzeigen, interessieren den Italiener auch in anderen Werken. Beispielsweise bei dem Projekt „Sendprotest.com“. Der Name des Werkes ist zugleich eine Aufforderung an den Betrachter, an dem „partizipatorischen Kunstwerk“ teilzuhaben. An einer Wand in der Potsdamer Schau ist der QR Code zu finden, der eingescannt zu einer gleichnamigen App führt. Bei stabiler Internetverbindung kann der User mittels App Fotos von sozialen Missständen auf ein Portal laden, diese also mit anderen teilen. „Ich habe die App zusammen mit Internetspezialisten entwickelt. Wir wollen hier Rassismus, Sexismus, Gewalt, Umweltverschmutzung und dergleichen dokumentieren“, so Ciervo. Auf dem Mobiltelefon des Künstlers taucht bei der Anwahl der Website unmittelbar ein Bild von einem mit Plastikmüll verschmutzten Strand in Afrika auf. Kunst kann auch eine revolutionäre Komponente haben, sagt Philipp John, Kurator der Ausstellung.

Ciervo inszeniert auch Performances, bei denen er jedoch meist nicht selbst als Akteur auftritt. Bei „Nationen und Grenzen sind langweilig“ beispielsweise ließ er einen Sänger und eine Sängerin einerseits den Namen einer Nation, andererseits die Zahl der Einwohner singen. Parallel dazu zerschnitten Akteure eine Installation aus Grenzbändern. Zum Schluss blieb der Klang der Namen und Zahlen. Die Grenzen hatten sich als sinnlose Schemen verflüchtigt. Hierzu ließ der Künstler auch entsprechende Kleidungsstücke mit Titel und Thema der Aktion bedrucken. Die Dokumentation der Aktion sowie die Kleidungsstücke sind nun in der Ausstellung zu sehen.

Unerwartet poetisch

Abgesehen von ihrem politischen Gehalt, erscheinen Ciervos Objekte zunächst einem surrealen Geist verhaftet, dann unerwartet poetisch. Eine alte Singer-Nähmaschine etwa kombiniert der Künstler mit einem modernen Tablett, auf dem Wellen hin- und herschaukeln. Die poetisch anmutende Optik wird konterkariert durch Zahlen, bestehend aus roten Fäden. Sie werden auf das Wasser gestickt. „Das sind die Daten des Todes von Flüchtlingen“, erklärt der Künstler.

Eine weitere Arbeit allerdings ist gewissermaßen reine Poesie, aber mit Knalleffekt. Auf eine Briefwaage hat Ciervo einen Monitor montiert, der eine herabfallende Feder zeigt. Nach einer Minute stoppt die Feder, sie trifft auf einen Widerstand: eine Glasscheibe. Diese zerspringt. Ein elektrischer Impuls sorgt im gleichen Moment dafür, dass der Zeiger der Waage ausschlägt. Federleicht sind die Werke von Ciervo selten. 

>>Costantino Ciervo: „Out – Look“, Ausstellung bis 19. April, Museum Fluxus+, Schiffbauergasse

Richard Rabensaat

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