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Heiko Wennesz hat sich von Hundebildern aus den Siebzigern inspirieren lassen.

© Andreas Klaer

Ausstellung im Potsdamer Kunstraum: Schattenwürfe und ein blutrünstiger Pudel

Eine Schau macht zeitgenössische Kunstproduktion in Potsdam erlebbar. Mit Arbeiten der Ateliergemeinschaft „Laboratorium“.

Von Helena Davenport

Potsdam - „Die Dinosaurier haben das gleiche Wasser getrunken wie wir“, steht in Großbuchstaben auf einem Spiegel, der aktuell in einer hinteren Ecke des Kunstraums zu finden ist. Jemand hat die Worte mit seiner Fingerspitze auf der beschlagenen Oberfläche geformt – diesen Eindruck erweckt Marie Busses Kunstwerk zumindest. Sie macht damit wunderbar leicht und dennoch präzise auf den Wasserkreislauf aufmerksam, der für Leben auf dem Globus sorgt. Dabei hebt sie die Kostbarkeit jedes einzelnen Tropfens hervor – denn es könnte ja sein, dass einst ein hundert Tonnen schwerer Argentinosaurier diesen einen Wassertropfen auf seiner Zunge zergehen ließ, der heute aus dem Hahn fließt. Bei solch einem Gedanken kann man nur demütig werden.

Durch den Schattenwurf im Raum nehmen die Arbeiten Kontakt miteinander auf.
Durch den Schattenwurf im Raum nehmen die Arbeiten Kontakt miteinander auf.

© Andreas Klaer

Busses Arbeit können Besucher gerade im Rahmen der Ausstellung „Befunde“ begutachten, die vergangene Woche zum Auftakt des Festivals „Made in Potsdam“ eröffnet wurde und noch bis zum 2. Februar zu sehen ist. Mit der Schau möchte Kurator Mike Geßner Einblicke in das Schaffen der Potsdamer Kreativszene bieten, weswegen er als Beispiel Ergebnisse der Ateliergemeinschaft „Laboratorium“ präsentiert, die im Kulturzentrum Freiland beheimatet ist. Ein übergeordnetes Thema gibt es nicht. Stattdessen soll die zeitgenössische Kunstproduktion erlebbar werden, weswegen die Ausstellung in drei Bereiche aufgeteilt ist.

Der "Aktionsraum" soll Werkstatt bleiben

Im größten Abschnitt, wo auch Busses Arbeit hängt, hat Geßner Werke von aktiven und ehemaligen „Laboratorium“-Mitgliedern bunt zusammengestellt. Im vorderen Bereich mit Glasfront zur Straße präsentiert sich die Untergruppe „Bako“, bestehend aus sechs Künstlern, mit einem eigenen Ausstellungskonzept, während im „Aktionsraum“ regelmäßig Kurse der Gruppe stattfinden, unter anderem Aktzeichenkurse. Erste Skizzen – solche, die mit Kohle angefertigt wurden, farbenfrohe, abstrakte, große und kleine – zieren bereits die Wand. Und Utensilien bleiben liegen bis zum nächsten Termin, denn dieser Ausstellungsbereich soll für die Dauer der Schau Werkstatt bleiben.

Ein Bereich bleibt während der Ausstellung öffentlich zugängliche Werkstatt.
Ein Bereich bleibt während der Ausstellung öffentlich zugängliche Werkstatt.

© Andreas Klaer

Er habe immer vom „Laboratorium“ gewusst, erzählt Geßner, dabei habe er die Gruppe dennoch nie richtig wahrgenommen. Ein Grund mehr, den Künstlern, die sich bereits mit der Gründung des Freilands vor elf Jahren zusammenschlossen, nun Raum zu geben. Im „Bako“-Bereich fällt sofort die Präsentation auf. Jeder der sechs Künstler bespielt ein eigenes, je unterschiedlich konstruiertes Holzgerüst mit seinen Bildern. Sichtachsen gleich ragen die Latten einiger Gerüste in die Mitte des Raums hinein und bauen so Verbindungen zueinander auf. Wenngleich jeder Künstler hier einen eigenen Kosmos präsentiert, so sorgen die einfallenden Sonnenstrahlen doch dafür, dass sich die Welten durch den Schattenwurf im Raum überschneiden. Und warum diese Präsentation? „Damit der Raum seine eigene Klarheit behält“, sagt Heiko Wennesz, einer der hier ausstellenden Künstler.

In Verbindung mit Abstraktem

Wennesz’ Gerüst schmückt zum Beispiel das Porträt eines Königspudels, rosafarbene und graue Farbtupfer geben dem Tier vor schwarzem Hintergrund Gestalt. Die gelben Augen und das dunkelrote Näschen machen deutlich, um wen es sich hier eigentlich handelt: nicht um einen Schoßhund, sondern um einen Jäger. Neben die Hundebilder hat Wennesz Abstrakteres platziert. Formen wiederholen sich, bedingen einander, lösen Bewegung aus. Ihn hätten Hundefotos aus den 1970ern, die die menschlichen Begleiter wie Kunstwerke präsentieren, inspiriert, sagt Wennesz. Er möchte die Motive mit Abstraktem kombinieren, um sie zur Natur zurückzuführen.

Das "Generative Klavier" von Udo Koloska.
Das "Generative Klavier" von Udo Koloska.

© Andreas Klaer

Lydia Müller malt erst Landschaften, um diese anschließend zu zerschneiden, die Geschichte quasi in Stücke zu reißen. In der „Bako“-Schau hängen Scherenschnitte, die an die Elemente eines Stilllebens erinnern – eine Tasse, zwei Becher, Vögel auf einem Tellerrand, ausgefüllt von Landschaft. Allerdings lässt sich beispielsweise der Teller nur erahnen. Müller hat das Motiv abrupt in seiner Mitte enden lassen. Die Künstlerin, die unter anderem Tanz und Choreografie studiert hat, spielt mit der Les- und Deutbarkeit.

Die Werke bauen Beziehungen zueinander auf

Es macht Spaß, dem Potsdamer „Laboratorium“ näherzukommen, die eigene Imagination von seinen verschiedenartigen und sich überlagernden Befunden anregen zu lassen. In dem größeren Bereich der Ausstellung ist Müller mit einer Videoarbeit vertreten: Während man ihrer Performance auf der Documenta 14 zusieht, dringen die Klänge von Udo Koloskas „Generativem Klavier“ ins Ohr. Die Bewegungen im Video werden von den Tönen des Klaviers untermalt, auch hier bauen zwei Kunstwerke eine Beziehung zueinander auf. 

Tritt man näher an das Klavier heran, erblickt man einen alten Bildschirm, der fremdkörperhaft aus dem Inneren des hölzernen Instruments ragt und das veranschaulicht, was hier passiert: Das Klavier ist zu einem Resonanzraum für eine elektronisch und algorithmisch erzeugte Komposition geworden. Kabel verlaufen in den Hohlraum. Musikliebhaber wissen, dass elektronisch erzeugte Klänge auch zusammen mit akustischen funktionieren, dass das Hoch des einen nicht das Aus des anderen bedeuten muss. Dennoch fühlt man einen kleinen Stich – als müsste man zusehen, wie ein Parasit seinen Wirt von innen heraus zerstört.

„Befunde“, Ausstellung im Kunstraum, Schiffbauergasse 4D, bis 2. Februar

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