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Susanne Kraißers  "Mädchen mit Mini"

© Jäger

Ausstellung im Potsdamer Kunst-Kontor: Wie Susanne Kraißer ihr Leben in Plastiken fasst

Die Künstlerin Susanne Kraißer spiegelt in ihren Plastiken das eigene Leben: zwischen Verletzlichkeit und Zuversicht.

So viel gab Susanne Kraißer noch nie von sich preis. Ihre Plastik „Im Verborgenen“ zeigt eine am Boden liegende Frau, die sich wie ein Embryo einkringelt: schutzbedürftig, nach Nähe suchend. Die Hand des Betrachters streichelt wie von selbst über den gekrümmten Rücken, spürt der Wölbung und den Riefen des Materials nach. Sie rührt an: diese wohlgeformte und gefühlsdurchfurchte Arbeit, die auf dem breiten Fensterbrett in der großen Belziger Villa der Künstlerin Platz genommen hat.

Das Zugeben von Schwäche als großer Schritt

Die Bronze entstand im vergangenen Jahr, als Susanne Kraißer selbst am Boden war und um ihre Gesundheit rang. „Ich wollte meine eigene Schutzbedürftigkeit zeigen und sagen: Ja, man darf auch am Boden liegen und muss sich damit nicht verstecken. Es ist viel schwieriger, diese Verletzlichkeit zu zeigen als eine harte Schale.“ Für die aus dem bayerischen Rosenheim stammende Künstlerin, die derzeit in der Potsdamer Galerie Kunst-Kontor gemeinsam mit sechs weiteren Kollegen zum Thema „All you need is love“ ausstellt, war dieses Zugeben von Schwäche ein großer Schritt. „Ich bin so erzogen worden, dass man immer stark sein soll.“

Bislang balancierte die 1977 in Bayern geborene Künstlerin mit einer gewissen Leichtigkeit zwischen Stärke und Fragilität durch ihr Werk. Die große Schar junger zarter Bronze-Frauen, die gemeinsam mit der Künstlerin und ihrer Familie in den großen hohen Räumen leben, wirkt anmutig und kess und trotz ihrer schlanken Glieder durchaus kraftvoll. Die Figuren schmeicheln mit mädchenhafter Anmut und fraulichem Erblühen. Erst auf den zweiten Blick spürt man die mögliche Verletzung, die ihnen ebenfalls inne wohnt. Dieses Wegrutschen der Zuversicht.

Der Körper bäumt sich wieder auf

Während wir durch die geschichtsträchtige Villa gehen, die seit über zehn Jahren Kraißers Dauerbaustelle ist, erzählt die Künstlerin von der Zeit im Krankenhaus, wo sich ihre eigene lebensbedrohliche Situation in der Plastik „Das Verborgene“ Luft gemacht hat, aber auch wie kurz darauf schon ihr „Neumond“ darüber schien. Noch immer kauert der weibliche Körper hier am Boden. Doch er bäumt sich auf, wie eine Sprungfeder zum Start bereit. Diese Arbeit hat schon nicht mehr die große Verletzlichkeit. Inzwischen kehrt Susanne Kraißer auch zu ihren stehenden Figuren zurück, die größer, aufrechter werden. „Oft hatten sie einen leicht abgeknickten Hals. Der ist jetzt verschwunden.“

Es sind diese Feinheiten, an denen Susanne Kraißer so viel liegt und die sich allmählich aus ihr herauswinden. Sie formt ihre Arbeiten ohne Vorstudien. Die Kleineren entstehen in Wachs, die größeren lässt sie an Drahtgerüsten in Ton gedeihen: von innen nach außen. „Das erlaubt mir, die Arbeit im Entstehen zu suchen.“

Susanne Kraißer neben einer ihrer wichtigsten Arbeiten: die "Zweite Rauhnacht".
Susanne Kraißer neben einer ihrer wichtigsten Arbeiten: die "Zweite Rauhnacht".

© Heidi Jäger

Als sie noch in Holz arbeitete, war es umgekehrt: Span für Span nahm sie weg. Für diese Skulpturen musste sie vorher überlegen, was sie genau will. Jetzt arbeitet sie direkter, spielt so lange mit dem Material, bis sie die Seele in der Figur sieht. Alles ist sehr persönlich, ja autobiografisch, wie sie sagt. In einer großen Arbeit gerinnt schon mal ein halbes Jahr ihres Lebens. „Dabei entsteht auch viel Ausschuss, Figuren, die nicht funktionieren.“ Anatomisch stimmt natürlich alles: Hinter ihr liegt schließlich eine sehr gründliche Ausbildung. Erst wurde sie Holzbildhauerin, nahm zwei Jahre Unterricht in Schweden. Dann ging sie an die Akademie der Bildenden Künste Nürnberg und schließlich als Meisterschülerin an die Hochschule für Künste Bremen, wo auch ein Kurs in Anatomie dazugehörte. Aber das Körperliche sei das eine. „Wenn die Figuren nicht leben und nur Hülle sind, ist das für mich Ausschuss.“

Sie arbeitet nicht nach Auftrag

Susanne Kraißer ist keine Frau, die sich verbiegt, sich im Erfolg sonnt – auch wenn ihre Figuren auf dem Kunstmarkt gut nachgefragt sind. „Sobald eine Galerie aber sagt: ,Das verkauft sich gut, wir brauchen mehr’, dann mache ich genau das Gegenteil. Ich bin freie Künstlerin und arbeite nicht nach Auftrag.“ Da ist sie wie ein trotziges Kind. Diese Art von Druck lässt sie nicht zu. Eine Gratwanderung, natürlich. Denn sie braucht das Geld. Für das teure Arbeitsmaterial, die Bronze, und auch, um das alte Haus weiter auszubauen. Zwischen ihren Plastiken warten aufgebockte Türblätter auf einen Anstrich. 15 Zimmer mit 146 Fensterflügeln haben sie – „nicht mal die Hälfte davon haben wir inzwischen abgeschmirgelt und gestrichen“. Aber gemeinsam mit ihrem Mann möchte Susanne Kraißer so viel wie möglich erhalten: von dieser Villa des Stärkefabrikanten Gottlieb Paul, die 1908 errichtet wurde. Vor 13 Jahren hat das Paar – das lange mit Bauwagen die Welt bereiste, bevor die beiden Kinder kamen – das Haus auf einer Auktion ersteigert. „Danach fielen wir in Schockstarre. Man bietet wie im Rausch mit – und plötzlich fällt der Hammer. Und das Haus gehört dir.“ Doch was fehlt, ist das Geld. Den Kredit haben sie sich hart erkämpft: für ihren schönen, aber auch sehr anstrengenden Ort, der so viel Geschichte atmet. „Zu DDR-Zeiten ist hier auch Gericht gehalten worden, über Kinderschänder und Scheidungen.“

Im ausladenden Entree, dessen Wände zum Teil noch mit DDR-Plaste verkleidet sind, ist die „Zweite Rauhnacht“ magischer Blickfang. Diese auf hoher Stele träumende Figur erzählt von den Tagen nach Weihnachten, in den Frauen auf der Hut sein sollten vor freigesetzten bösen Mächten. Das blaue Tuch, das lose über die schmale Schulter fällt, unterstreicht die Blöße der Figur, auch wenn das Blau eine Schutzfarbe ist. „Es ist eine meiner wichtigsten Arbeiten“, sagt Susanne Kraißer. Und man glaubt ihr sofort. Hier ist Seele, hier ist Vergänglichkeit – zur Ewigkeit geronnen.

Die nächste Lebensgroße wird kommen

Susanne Kraißer fühlt sich inzwischen wieder in der Kraft, große Figuren anzugehen, auch wenn es eine Kasteiung sei und sie sich bestimmt ein halbes Jahr damit rumquälen wird. „Die eigenen Grenzen sollte man aber immer wieder überschreiten, dadurch weiten sie sich.“ Sie hat auch schon drei lebensgroße Figuren gebaut, zwei davon sind kaputt gegangen. „Die erste, weil unser Sohn zu früh auf die Welt kam und der Ton ausgetrocknet ist, die zweite durch meine Krankheit. Ich musste mit dem Hammer den getrockneten Ton vom Gerüst schlagen.“ Die nächste Lebensgroße wird kommen. Da ist sie sich sicher. „Aber noch gehe ich schwanger mit ihr. Ich denke, dass sie sehr zart sein wird.“

Arbeiten von Susanne Kraißer sind bis 31. August im Kunst-Kontor, Bertiniweg 1, zu sehen: in der Ausstellung „All you need is love“ mit sechs weiteren Künstlern. 

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