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Neue Ausstellung: Barberini zeigt Picassos unverbrauchte Frische

Das Museum Barberini in Potsdam zeigt Werke des späten Picasso – viele davon sind zum ersten Mal in Deutschland, manche sogar zum ersten Mal überhaupt öffentlich zu sehen. Ab Samstag ist sie geöffnet.

Potsdam - Wenn es einen Künstler des 20. Jahrhunderts gibt, dessen Name nun wirklich jedermann geläufig ist, dann ist es Picasso; Pablo Ruiz Picasso, wie sein Name vollständig lautet. Jahrzehntelang galt er als der Erneuerer der Kunst schlechthin. Interessanterweise erreichte sein Ruhm in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg seinen Zenit und stieg kontinuierlich in demselben Maße an, wie das zur gleichen Zeit geschaffene Alterswerk des gebürtigen Spaniers in der Fachwelt an Beifall verlor. Die letzte vom Meister noch selbst bestückte Ausstellung, 1973 im Papstpalast der südfranzösischen Stadt Avignon – Picasso starb 91-jährig kurz vor der Eröffnung –, erntete allenfalls Kopfschütteln. Sie schien das Urteil zu bestätigen, das sich bereits seit längerem gebildet hatte: dass Picasso künstlerisch erschöpft sei und sein Werk ohne Belang für die Gegenwart.

Solche Urteile finden sich zitiert im Katalog der Ausstellung „Picasso. Das späte Werk“, die das Museum Barberini ab Samstag mit 136 Arbeiten aus der Sammlung von Jacqueline Picasso, der Witwe und Miterbin des Künstlers, ausrichtet. Fast ein halbes Jahrhundert nach Picassos Tod ist nunmehr Gelegenheit, unvoreingenommen auf das Spätwerk zu blicken, das hier mit dem Beginn der intimen Beziehung – seit 1961 Ehe – mit Jacqueline Roque Anfang 1954 gesetzt wird. Kunsthistorisch kann man über dieses Datum streiten, biografisch hat es den Vorteil, dass Picasso die zahlreichen oder eher zahllosen Frauenbildnisse im Spätwerk ausschließlich von Jacqueline gemacht hat.

Tochter Jacqueline hielt sich bislang mit Ausleihen zurück

Nach dem Tod des lebenslang unermüdlich schaffenden Picasso, der kein Testament hinterließ, wurde sein Nachlass gesichtet. Künstlerisch umfasste er etliche tausend Arbeiten, in der Mehrzahl naturgemäß Zeichnungen. Dieses gigantische Werk wurde unter der Witwe, den vier Kindern, alle aus früheren Beziehungen, sowie dem französischen Staat aufgeteilt, der die Kunstwerke anstelle von Erbschaftssteuer annahm und aus seinem Anteil das Musée Picasso in Paris schuf, seit seiner Eröffnung 1985 ein Touristenziel ersten Ranges. Jacqueline, die 1986 aus dem Leben schied, und ihre Tochter Catherine Hutin haben sich mit Ausleihen aus ihrem Besitz zurückgehalten, so dass die Ausstellung in Potsdam mit einer ganzen Reihe von Werken aufwarten kann, die entweder noch nicht in Deutschland oder sogar überhaupt noch nie öffentlich ausgestellt waren.

Das mag den Experten interessieren; der Eindruck aber, der sich auch dem nicht fachkundigen Besucher in jedem der großzügig bestückten Säle mitteilt, ist der einer unverbrauchten Frische. Die Frage der Zeitgenossenschaft, die zu Picassos Lebzeiten negativ beantwortet worden war, stellt sich nicht: Diese Werke sprechen den Betrachter unmittelbar an. Dass dem so ist, hat sicher mit den Moden zu tun, die die Kunst seit Picassos Tod durchlaufen hat; die „Jungen Wilden“ der achtziger Jahre, auch der im Katalog mit gutem Grund erwähnte Jean-Michel Basquiat haben die Freude am Malen wieder hervorgeholt.

Ab dem 9. März zeigt das Museum Barberini in Potsdam das späte Werk Picassos.
Ab dem 9. März zeigt das Museum Barberini in Potsdam das späte Werk Picassos.

© Andreas Klaer

Dass Picasso in den unterschiedlichsten Stilen arbeitet, gilt heutzutage nicht mehr als Beliebigkeit wie noch in den sechziger Jahren, sondern als Ausdruck der überreichen Möglichkeiten, die Picasso im Laufe seines Lebens für sich entdeckt und entwickelt hat, und die ihm im Alter gleichberechtigt zu Gebote standen. Das gilt insbesondere für die Zeichnungen, mit denen Picasso teils Gemälde vorbereitete, teils parallel begleitete. Es ist ein großer Vorzug der Ausstellung im Museum Barberini, dass sie die künstlerischen Medien, zu denen bei Picasso neben Malerei, Zeichnung und Grafik auch Skulptur und Keramik zählen, gleichermaßen zur Ansicht bringt.

Die von Gastkurator Bernardo Laniado-Romero erarbeitete Ausstellung ist thematisch gegliedert. Sie setzt mit den Porträts von Jacqueline ein. Zum Auftakt ist das Bildnis der „Madame Z“ zu sehen, das erste Portrait in Öl von der knapp 27-jährigen neuen Gefährtin, die anfangs noch nicht mit Namen benannt wurde. Interessanterweise war gerade dieses Gemälde in der Wanderausstellung des Jahres 1955 zu sehen, die in München, Köln und Hamburg erstmals umfassend in Nachkriegsdeutschland mit Picassos Werk bekannt machte. 

Jacqueline hat Picasso am häufigsten dargestellt 

Jacqueline hat Picasso häufiger dargestellt als jede andere seiner Partnerinnen, gern im Schaukelstuhl sitzend, in dem sie im weitläufigen Wohnhaus-Atelier im südfranzösischen Cannes nicht so sehr Modell saß, als einfach anwesend war. 

Folgerichtig zeigt die Ausstellung im Fortgang diesen privaten Aspekt von Picassos Kunst. Mit dem bedeutenden, beinahe monochromen Gemälde „Atelier“, dem größten Format der Ausstellung, nähert sich Picasso 1956 mehr denn je der Abstraktion an, die damals vorherrschte. Zugleich wird die Auseinandersetzung mit dem Ende 1954 gestorbenen Freund und Konkurrenten Henri Matisse deutlich, dessen Fensterbilder Picasso ebenso beeinflussten wie die „Odalisken“, also Konkubinen im orientalischen Harem, die in der Tradition der französischen Malerei als Akte dargestellt wurden.

Die Auseinandersetzung mit der Geschichte der Malerei spielt denn auch beim späten Picasso eine herausragende Rolle. Die „Frauen von Algier“ von Delacroix, die „Lola de Valence“ von Manet, vor allem des letzteren „Frühstück im Grünen“ werden zitiert und variiert. Lediglich ein Beispiel aus der berühmten Serie von 58 Gemälden nach den „Meninas“ von Velázquez muss hier fehlen, denn die befinden sich zur Gänze im Picasso-Museum von Barcelona.

Aber dieser Themenkomplex erscheint erst im Verlauf der Ausstellung. Zunächst ist der große Saal im zweiten Obergeschoss der „Figur des Menschen“ gewidmet. Wenn man so will: dem Kernthema der abendländischen Kunst. Auffällig der „Frauenkopf“ von 1962 aus Metall, das Picasso schnitt und knickte wie Papier, und der sich beim Herumgehen aus dem zunächst sichtbaren Profil als dreidimensionaler Kopf regelrecht entfaltet. Unter den Portraits sticht „Jacqueline in einem Sessel“ von 1962 in seiner grellen Farbigkeit buchstäblich ins Auge; Kurator Laniado-Romero nimmt es als Beleg dafür, dass Picasso sehr wohl die damals aufkommende Pop Art mit ihrer Buntheit wahrgenommen und darauf reagiert habe. 

Es gibt sogar eine Zeichnung mit den neuartigen Filzstiften, „Barocker Musketier“, nie zuvor ausgestellt und daher leuchtend wie am ersten Tag. Ein eher klassisches Bild ist das große Porträt „Jacqueline sitzend mit einer Katze“ von 1964, auf das der Blick bereits aus dem großen Saal fällt und das schon durch die deutlich aufgetragene Widmung an Jacqueline aus der nie abreißenden Tagesproduktion des Künstlers herausgehoben ist.

Der letzte Saal dieser in jeder Hinsicht überzeugenden Ausstellung schließt mit den monumentalen Figuren, die sich lesen lassen als Mädchen, Mutter und Krieger (oder Maler!). Eines der letzten Gemälde Picassos, „Figuren“ vom 25. Mai 1972, blieb – so heißt es – unvollendet und ist doch in seiner Behandlung der Farbe als Materie überaus eindrucksvoll. 2006 hat der große Picasso-Kenner Werner Spies seiner in Wien gezeigten Übersicht über das Spätwerk den Titel „Malen gegen die Zeit“ gegeben. Tatsächlich ist Picassos Alterswerk ein Sträuben gegen das Alter und das Verrinnen der Zeit. Dies aber nicht melancholisch oder gar larmoyant, sondern erfrischend vital. Dafür steht das geradezu fröhlich stimmende Gemälde von 1963, das „Maler und ausgestrecktes Modell“ zeigt inmitten eines grünen Waldes, das selbstverständlich weibliche Modell in betonter Nacktheit. Ja, Picasso hat das Alter überlistet und zumindest in seiner Kunst sogar den Tod.

Museum Barberini am Alten Markt, bis 16. Juni. Geöffnet 10 bis 19 Uhr, dienstags Ruhetag. Umfangreiches Begleitprogramm. Katalog im Prestel Verlag, 29,95 Euro, im Buchhandel 39 Euro. Informationen und Tickets unter www.museum-barberini.com

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