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Ausstellung im Kunstraum Waschhaus: Schön mit ohne Pferd

Der Kunstraum Waschhaus zeigt Dokumentarisches aus der Sicht von 19 jungen Fotografen

Dieses Bild nervt. Es ist eine Provokation, eine Frechheit. So ein schönes Tier, und dann erdreistet sich die Fotografin, uns diesen unvollständigen Schnappschuss anzubieten. Ein weiter grauer Himmel, endlose Tiefe, und in der Ecke dieses Pferd, das offensichtlich mit einiger Geschwindigkeit vor der Fotografin in die Kurve geht, die kurze Mähne und die Härchen in den Ohren sind unscharf, samtig erscheint das Fell am schlanken Hals. Oder hat es seinen Kopf geschüttelt? Warum nur ist es so abgeschnitten zu sehen – ist die Fotografin verrutscht? Man möchte so gern mit einem Mausklick das Pferd ordentlich in die Bildmitte ziehen. Je länger man sich dieses Bild anschaut, desto mehr Fragen drängen sich auf, die man der Fotografin Mandy Buchholz stellen möchte. Aber irgendwann versöhnt man sich mit der offenen Situation. Mit dem dem Betrachter angebotenen Freiraum.

Mandy Buchholz ist eine von 19 Fotografinnen und Fotografen, deren Bilder jetzt im Kunstraum Waschhaus gezeigt werden. Die Ausstellung „Die Ränder des Dokumentarischen“ wurde am gestrigen Donnerstag eröffnet und ist, als Teil der Kunstraum-Reihe „Foto Sommer Potsdam“, bis zum 6. September zu sehen. Alle 19 Fotografen studierten bis vorKkurzem noch in Potsdam an der Fachhochschule. Sie alle hatten bei Wiebke Loeper, Professorin für Fotografie, Unterricht. Loeper hatte schließlich die Idee für die Gesamtschau – manche der Werke sind Diplomarbeiten der Studenten. Da die meisten der 19 Fotografen allerdings in Berlin leben, ist die Ausstellung in Potsdam für sie eine Art Rückkehr. „Eine Rückrufaktion“, nennt es Kunstraum-Kurator Mike Gessner. Er hat die Ausstellung in Berlin entdeckt und in die der Schiffbauergasse geholt. Hier ihre Bilder zu zeigen, das lag zwar irgendwie nahe. Vorstellen konnten sich das aber die wenigsten. Gessner kennt das Phänomen: Viele Studierende nehmen die Stadt an sich nicht wahr. „Dass es den Kunstraum gibt, diese große, flexible Ausstellungsfläche, das weiß kaum einer“, sagt Gessner.

Nun laden die geschätzt 300 Bilder ein zu einem Fotospaziergang – am Rande des Dokumentarischen. Wobei offen ist, auf welcher Seite des Randes sich die Bilder einordnen lassen. Manchmal dokumentieren sie bewusst, manchmal bilden sie scheinbar zufällige Momente ab, als hätte jemand einfach draufgehalten. Andere sind offensichtlich inszeniert, als Porträt, oder wiederspiegeln Situationen, erzählen Geschichten oder bieten Freiraum an. Das so aufbereitete Themenspektrum reicht vom Abbilden des städtischen Raums über Fragen nach Identität und Sichtbarkeiten.

Wolfram Hahn fotografierte Jugendliche und junge Erwachsene, die sich gerade selbst für Profilbilder fotografieren – Selfies in Teenager-Schlafzimmern, mit Kuscheltier oder gestylt auf der Couch –, doppelt reproduzierte Foto-Momente.

Paula Breithaupt setzte ihre Protagonisten ganz anders in Szene, lässt Mensch und Ort verschmelzen. Zunächst aber bleibt man an den großartigen Gesichtern hängen. Erst auf dem zweiten Blick erkennt man hier und da Potsdam, das Mercure verschwommen im Hintergrund, das Gitter des Parkhauses in der Schiffbauergasse. Die 14- bis 16-Jährigen begegnen einem hier völlig ungestylt, völlig entspannt und ohne zu posen. Wer Teenager kennt, ahnt, wie schwer es ist, solche Bilder machen zu dürfen.

Menschen an ihrem Arbeitsplatz hat Robert Beyer fotografiert, „Schwule Arbeit“ nennt er die Bilder, die eben Männer in ihrer Arbeitsumgebung zeigen, in Werkstatt, Restaurantküche oder Arztpraxis, Bilder, die mit Vorurteilen und Klischees spielen und dadurch irgendwie ihre eigene Existenzberechtigung in dieser expliziten Form hinterfragen.

Die meisten Bilder lassen den Betrachter wie durch ein Brennglas oder ein Schlüsselloch schauen. Manchmal wird dabei sichtbar, was man sonst übersehen hätte: Dorfalltag irgendwo in Brandenburg, Frauen im Obstgarten, große Mädchen beim Abhängen auf dem Kinderspielplatz. So leicht übersehbar wie die räumliche Symmetrie einer Rolltreppen-Draufsicht, eingefangen irgendwo in einem Einkaufszentrum. Und die faszinierende Vielfalt pflanzlichen Blattwerks, präsentiert wie filigrane Fossilien auf einer Fototapete.

Und dann gibt es die Bilder, die zeigen, was man sonst nicht zu sehen bekommt: Das Innenleben von Glücksspielautomaten, seltsam nüchtern. Bemützte Graffiti-Sprayer, nachts unterwegs. Private Rückzugsorte in einem Flüchtlingsheim. Und der Blick der Bewohner – raus aus dem Bild, hin zum Betrachter. Dazu mit künstlichem Licht sichtbar gemachte Orte, die sonst im Dunkel der Nacht verschwinden – wie Schwarz-Weiß-Negative wirken die Bilder von einem menschenleeren Supermarktparkplatz.

„19 fotografische Positionen, studiert bei Wiebke Loeper“ ist der Untertitel der Zusammenstellung. Der Kunstraum bietet genügend Raum, um jeden Einzelnen so zu inszenieren, dass es eine Ausstellung für sich ist. Dazwischen verbleibt Freiraum, in dem sich die Augen ausruhen dürfen. „Wir haben auch mal eine Wand weiß gelassen“, sagt Mike Gessner. Und der Foto-Sommer ist lang, wer mag, entdeckt die Ausstellung stückchenweise, geht zwischendurch in der Schiffbauergasse einen Kaffee trinken. Die „Ränder des Dokumentarischen“ bieten sich letztlich an als Sehhilfe, die man mitnehmen, weiter nutzen und überall ausprobieren kann.

Kunstraum Waschhaus, Schiffbauergasse 6, geöffnet Mittwoch bis Sonntag 13 bis 18 Uhr. Mehr Infos: www.waschhaus.de

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