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Ein Bild von Wolf-Dieter Pfennig.

© Ottmar Winter

Ausstellung im Galeriecafé Matschke: Ungezähmtes

Die Potsdamer Künstlerkollegen Bernd A. Chmura und Wolf-Dieter Pfennig stellen erstmals gemeinsam aus – im Potsdamer Café Matschke.

Potsdam - Die Phobien gehen gut. „Zwei sind schon verkauft“, sagt Bernd Archibald Chmura und zeigt auf die entsprechenden Bilder seiner kleinen pathologischen Sammlung. „Angst vor der Farbe Weiß“ ist ein Rahmen, der eine schwarze Leinwand einkastet. „Angst vor der Farbe Schwarz“, Melanophobie, zeigt hingegen eine weiße Fläche. Außerdem im Angebot: Medecophobie: Angst vor dem Sichtbarsein einer Erektion in Form einer Ausbeulung der Hose. Das Bild: eine entsprechend ausgebeulte Leinwand.

Chmura profitiert von seinem unendlichen Begriffsfundus. Manchmal ist von einem Bild zuerst der Titel da, ein Wortspiel, ein neues Kompositum-Ungetüm, ein Klang. „Ich sammle Titel“, sagt Chmura. Bis zu dem Moment, in dem er denke: „Oh, den musst du illustrieren“.

Neues von Chmura – wie etwa seine Phobien  – ist jetzt in der Ausstellung „Archimura & Pfennig“ im Galeriecafé Matschke zu sehen, in der ersten gemeinsamen Schau der beiden Potsdamer Künstlerkollegen. Wolf-Dieter Pfennigs klare, großzügige, bisweilen beinahe zackige Pinselführung in seinen großformatigen porträthaften Szenen und Bildnissen, steht dabei in wunderbarem Kontrast zur wortwitzigen, vielschichtigen Grafikkunst und vor allem der kleinteiligen Wimmelwelt Chmuras. Manche von Chmuras Kreaturen, die er aus phantastischen Zutaten, organischen Körperteilen, Technik und anderem Gegenständlichen zusammenbaut, finden sich immer wieder. Langhalsige Glubschaugen, die aus Kochtöpfen wachsen, mit flatternden Zungen, gierigen Händen.

Buntes Gewimmel

Neben Vertrautem findet sich aber auch eine ganz neue Bildwelt, das „Bemük“, „Beneidenswertes Museum überkandidelter Künstler: zur Förderung und Bewahrung zeitgenössischer, vor allem surreal-abstrakter und irreführender Kunstwerke, Werke des Wimmelismus und Werke, deren Ziel die Visualisierung der Synästhesie ist“. Klingt erst einmal verrückt, ergibt aber Sinn. Bei Synästhesisten gibt es Querverbindungen zwischen den einzelnen Sinneswahrnehmungen. Farbe, Musik, Sprache, Mathematik können verschmelzen und ungewöhnliche Verkettungen bilden. „Ich verorte Zeitangaben, Termine, Preise, alles, was messbar ist, räumlich“, sagt Chmura. „Ich sehe beispielsweise eine Uhrzeit vor mir im Raum, an einer ganz bestimmten Stelle.“ 

Bernd A. Chmura
Bernd A. Chmura

© Andreas Klaer

Solche unbewussten oder bewussten Assoziationen machen das Zeichnen für ihn mehrdimensional in vielerlei Hinsicht. In „Bemük“ wimmelt alles in einer neuen Handschrift. Die Bilder seien sehr spontan entstanden. Irgendwann habe er einfach angefangen, sagt Chmura, ohne Plan, aber hochkonzentriert. Er brauche Ruhe – Tür zu, Musik aus – und male einfach los. Lasse sich auf das, was der Zufall bringt, ein. „Dann muss ich nur richtig sehen, für mich erkennen, was da ist, und plötzlich weiß ich, jetzt mache ich mal eben noch Augen und Ohren dran.“ Endlos sind die Möglichkeiten der Verknüpfungen. „Ich lese viel, ich sehe viel, das fließt alles da rein.“

Fließende Kreativität

Kollege Wolf-Dieter Pfennig mag die neue „Bemük“-Wand. Und sagt: „Da sind interessante Einzelfiguren und Effekte drin. Die könnte man rausnehmen und für eine neue Geschichte nutzen.“ Pfennig ist kein Wimmelmann. Seine Stärke ist die Beschränkung. Aber auch er arbeitet gerne mit wiederkehrendem Personal. Die Frau. Der Rabe. Der Fuchs. Oder ist es ein Wolf? Oft malt er mythische, märchenhafte Begegnungen zwischen Mensch und Tier und schenkt ihnen poetische Titel, die dem Bild gleichsam einen zweiten Rahmen geben. Und manchmal sehr rätselhaft sind. „Die erste Stunde“ zeigt eine sitzende Frau in einem festlichen grünen Kleid. Quer über ihrem Schoß ein knallrotes Tier, fließend wie eine Decke, aber mit lüstern schauendem Pferdekopf. 

Wolf-Dieter Pfennig.
Wolf-Dieter Pfennig.

© Andreas Klaer

„Ich lasse meine Kreativität fließen, ohne es intellektuell zu prüfen“, sagt der Maler, der noch bis vor Kurzem Professor an der Fachhochschule für Technik, Wirtschaft und Gestaltung in Wismar war. „Glück ist, die Kunst von der Realität zu entfernen“, sagt Pfennig. „Die Freude am Spiel muss man ins Erwachsenendasein retten.“ Und tatsächlich ist die Pfennig-Welt eine spielerische, durchzogen von heiter-ironischen und erotischen Anspielungen. Da sitzen zum Beispiel Nietzsche und Wagner am Flügel, hauen in die Tasten und ihre angebetete Cosima Wagner singt walkürengleich.

Der Verstand bleibt nebensächlich

Pfennig sagt: Es geht um die Frage, wie man dem Ernst des Lebens entwischt. Zum Arbeiten höre er gern Musik. Das sei die höchste Form der Kunst, eine komplett ausgedachte Welt, in der es keine Abbilder der Realität gibt. Das sei in der Malerei anders, da gebe es keine totale Losgelöstheit.

Und doch stellt er in seinen Bildern die Realität in den Schatten. „Lautlose Nächte, gewagte Sprünge“ heißt ein weiteres neues Bild von Pfennig. Eine Frau im wehenden Kleid springt durchs Bild, so energiegeladen und schwungvoll, dass sie ihren Kopf festhalten muss, damit er ihr nicht wegfliegt. Ein Mann springt oder fliegt erschrocken zur Seite, oder will er sie bremsen? Und dann wären da noch die Rabenvögel zu ihren Füßen, die im Schwarm aufbrechen. So ist Pfennigs Kunstwelt: wild, ungezähmt, verwirrend. Ob der Verstand, der Kopf, mitkommt, darf oder muss dabei Nebensache bleiben.

>>Noch bis zum 11. August im Galeriecafé Matschke, Alleestraße 10

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