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Bizarre Bilderwelten. Ein lustvoll verfremdetes Fingerspiel.

© fabrik

Kultur: Außergewöhnliches Handspiel

Howool Baek und Matthias Erian zeigten ihre Körper-Bild-Performance in der „fabrik“

Ein Lichtquadrat, ein sehr geschmeidiger Körper und ein kongenialer Sound – mehr braucht es nicht, um modernen Tanz zu kreieren. Fast genauso wie vor drei Monaten bei „Made in Potsdam“ begann Howool Baeks Performance „Nothing for 60 min“, die am Wochenende in der „fabrik“ zur Deutschlandpremiere kam. Die feingliedrig-muskulöse Koreanerin saß im Profil auf der Bühne, beinahe regungslos. Den Kopf auf den Knien, sodass ihr Gesicht nicht zu erkennen war, bewegte sie lediglich ihre elastischen Füße und immer wieder ihre sehr agilen Hände.

Und man schaute und schaute auf diese Körperplastik, die hauptsächlich aus nackten Schultern, Armen und Beinen zu bestehen schien. Und das eine oder andere Mal wusste man nicht, ob da wirklich ein Mensch saß oder ein gänzlich unbekanntes Wesen. Denn während der Großteil des Körpers geraume Zeit nahezu unbeweglich verharrte, entwickelten vor allem die zarten Finger ein selbstbestimmtes Eigenleben. Sie sind auch das, wofür sich die koreanische Choreografin am meisten zu interessieren scheint. Besonders beeindruckend ist es, wenn sie die Tänzerin aus ihrem rückwärtigen Schoß wachsen und krabbeln lässt. Oder wenn sie sich in der sogenannten Blattstellung befindet und es so scheint, als beuge sie sich über jemanden und dessen vibrierende Finger bewegen sich auf sie zu.

Doch leider waren diese wunderbaren Körperlandschaften diesmal gar nicht so ausgiebig zu genießen wie in „Nothing for body“, der Kurzfassung von „Nothing for 60 min“. Sondern Howool Baek verließ ihr Lichtquadrat und begann zuerst ein Fangspiel mit einem frech umherwandernden Leuchtquadrat, das auch Details ihres sehr athletischen und schmalen Körpers auf die riesige Videoleinwand im Bühnenhintergrund projizierte. Faszinierend, wenn man arbeitende Rücken- oder Bauchmuskeln so vorgeführt bekommt. Die Hochachtung vor der Funktionalität und Schönheit des menschlichen Körpers waren da inbegriffen.

Wenig später, die dramaturgisch sehr geschickt gesteigerte elektronische Tonspur mit Körpergeräuschen von Matthias Erian schien das Geschehen zu steuern, setzte sich die Choreografin vor eine Webcam. Die das, was sie dann tat, laufend in Echtzeitbildern aufnahm, die live von Matthias Erian zu ungewöhnlichen Bildkompositionen, die aus vielen Einzelbildern beispielsweise von ineinander verschränkten Fingern bestehen, verarbeitet wurden. Überraschend und faszinierend, was aus diesem eigentlich simplen Fingerballett mithilfe der modernen Technik alles erwachsen kann. Man konnte sehen, was Howool Baek zumeist mit ihren Händen vor der Kamera tat, und auf der Leinwand taten sich in Echtzeit äußerst bizarre Bilderwelten auf. Und auch wenn man wusste, dass es sich um menschliche Finger handelt, glaubte man manchmal Unterwasserwelten oder solche aus dem unbekannten Körperinneren von anderen Lebewesen oder gar von Teig oder Gewebe zu sehen.

Das war eine sehr experimentelle lustvolle Spielerei, die sehr viel Raum für eigene Assoziationen ließ. Doch man erwischte sich dabei, dass man sich mehr den eigenen inneren als den gezeigten Bildwelten überließ. Aber vielleicht dauert dieser Teil der Performance auch eine Idee zu lange und bräuchte eine pointiertere Dramaturgie? Und zum Abschluss hätte man sich gewünscht, dass die Tänzerin ihre originelle Arbeit vom Anfang noch einmal aufnimmt und die sich verselbstständigenden Details ihres Körpers wieder zusammenführt. Dass sie die grandiose Präsenz dieses unbeweglich-beweglichen Körpers wieder erreicht, der in seiner Einfach- und Besonderheit immer wieder aufs Neue überrascht.

Astrid Priebs-Tröger

Astrid Priebs-Tröger

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