zum Hauptinhalt

Auftakt von „Fabelhafte Familien?“ im Kutschstall: Wie in einem Proseminar

Marion Brasch und André Kubiczek haben am Donnerstagabend die Veranstaltungsreihe „Fabelhafte Familien? Kindheiten in der DDR“ eröffnet. Doch nach 90 Minuten war Schluß, fragen konnte das Publikum nicht stellen.

Mit einem solchen Andrang hat man anscheinend nicht gerechnet. Als Marion Brasch und André Kubiczek am Donnerstagabend mit ihren Romanen „Ab jetzt ist Schluss“ und „Der Genosse, die Prinzessin und ihr lieber Herr Sohn“ die Veranstaltungsreihe „Fabelhafte Familien? Kindheiten in der DDR“ eröffnen, gleicht die Gewölbehalle des Kutschstalls im Haus der Brandenburigsch-Preußischen Geschichte einem übervollen Hörsaal. Auch den Zeitrahmen scheint man falsch eingeschätzt zu haben. Brasch und Kubiczek lesen jeweils den Anfang und das Ende ihrer Romane, über die sie anschließend recht gut gelaunt ein Gespräch mit dem Literaturwissenschaftler Helmut Peitsch führen, bevor der sie beide nochmals einen Leseblock bestreiten lässt. Der Ausklang ist ein Abbruch. Als gelte es, nach gut 90 Minuten einen Stundenplan einzuhalten. Das Publikum, dem man eingangs noch in Aussicht stellte, ebenfalls Fragen an die beiden Autoren richten zu können, darf sich nun lediglich noch rasch die Bücher von ihnen signieren lassen.

So ist der Abend denn quantitativ auch weniger Gespräch denn Lesung über die „Kindheiten in der DDR“. Und es fällt auf, dass André Kubiczek mit seiner Lesung das Thema des Abends noch nicht einmal streift. Denn die Geschichte seiner Kindheit und Jugend in der DDR, die der gebürtige Potsdamer in seinem fünften, autobiografischen Roman zusammen mit seiner ungewöhnlichen Familiengeschichte in einer bemerkenswerten stilistischen Vielfalt verarbeitet, beginnt und endet Anfang dieses Jahrtausends in Laos. Dort begibt sich der Ich-Erzähler auf Spurensuche, will seine Großmutter nach vielen Jahren besuchen und zudem das Leben seiner jung verstorbenen Mutter, der Tochter des damaligen laotischen Außenministers rekonstruieren. Aber auch das zu diesem Zweck erfolgte Treffen mit dem Vater, jene Passage, die Kubiczek später liest, spielt bereits nach der Wende. Marion Braschs Debütroman hingegen setzt mit frühesten Kindheitserinnerungen ein, die fern jedweder Nostalgie und Kitschigkeit die DDR als Lebenswirklichkeit widerspiegeln. Freilich dürfte auch diese ungewöhnliche Familiengeschichte und das durchaus privilegierte Dasein im SED-Staat kaum repräsentativ sein für eine normale Kindheit in der DDR. Dennoch und gerade kraft ihrer kindlich naiven Erzählperspektive gelingt es Marion Brasch, ein stets nachvollziehbares Bild des Aufwachsens in diesem verschwundenen Land zu zeichnen. Im Plauderton berichtet die Radiomoderatorin etwa von einem Ausreißversuch, der im Süßwarenladen endet, natürlich von ihren älteren Brüdern, die am Abendbrotstisch gegen den Vater aufbegehren und schließlich auch von ihrem Besuch dreier verschiedener Berliner Friedhöfe, wo ihre gesamte Familie heute beerdigt ist.

Nicht nur mit Blick auf den erzählten Alltag oder den Einsatz von Dialogen wird klar, wie wichtig die Freiheit der Fiktion ist, um die eigene Kindheit in der DDR literarisch reflektieren zu können. Kubiczek ist der Ansicht, dass der biografische Stoff allein nicht reiche. In einem Roman werde er haltbarer gemacht als in einem Sachbuch, wo das Innenleben einer Figur weniger gefragt sei als deren bloßer Name. Und so wundert es nicht, dass sowohl Marion Brasch als auch André Kubiczek in ihren Romanen sogar weitestgehend auf Eigennamen verzichten. Das wäre ihr sonst zu dokumentarisch, zudem seien die jeweiligen Personen ja immer noch leicht zu erkennen, meint Brasch auf eine Frage Helmut Peitschs. Anknüpfungspunkte bietet das Gespräch reichlich. Es bleibt nur zu vermuten, welchen Verlauf der Abend wohl genommen hätte, wären die vielen interessiert zuhörenden Gäste mit einbezogen worden. 

Daniel Flügel

Zur Startseite