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Die Kompanie Claudio Stellato zeigt "Work" bei der Eröffnung des Festivals Unidram 2021 im T-Werk Potsdam.

© Claudia Pajewski

Auftakt des Theaterfestivals Unidram: Greif zum Hammer, Kumpel

Nägel, Holz, Betonmischer: „Work“, der Auftakt der 27. Ausgabe des Festivals Unidram, rückt den „schönen Künsten“ zu Leibe. Kunst ist hier vor allem harte Arbeit. 

Potsdam - Wer war das eigentlich, der den Begriff der „schönen Künste“ geprägt hat? Und damit die Idee eingetütet, dass das, was in der Literatur, der Malerei, auf der Bühne dargestellt wird, immer irgendwie dem Ästhetischen, Beruhigenden, Verdaulichen verpflichtet sein sollte? Das ist in der Realität schon lange nicht mehr der Fall, vielleicht war es nie so, und dennoch: Die Erwartungshaltung ist oft noch da. Mit der Eröffnungsinszenierung seiner 27. Ausgabe stellt das Theaterfestival Unidram ein für alle Mal klar, was Kunst für die Beteiligten vor allem ist: Arbeit.

Die Bühne im T-Werk wurde das letzte Mal vor knapp einem Jahr bespielt

„Work“, so heißt die Produktion der belgischen Kompanie Claudio Stellato, die nach einem Jahr Pandemie bedingter Pause den Festivalauftakt im T-Werk gab. Und alle kamen sie, um der darstellenden Kunst bei der Arbeit zuzusehen: Kolleg:innen anderer Potsdamer Kulturhäuser, Brigitte Faber-Schmidt, frisch berufene Abteilungsleiterin Kultur im Kulturministerium des Landes Brandenburg, und Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD). 

Festivalleiter Jens-Uwe Sprengel bedankt sich für die andauernde Unterstützung der freien Spielstätte während des Lockdowns – das Haus sei zu keinem Zeitpunkt in seiner Existenz bedroht gewesen sei – und lotst die Besucher:innen dann schleunigst in den Saal des T-Werk. Das erste Mal seit Oktober 2020. Das 3G-geprüfte Publikum nimmt in Schachbrettformation Platz. Auf der Bühne ein nüchterner Versuchsaufbau. Eine breite Wand aus Spanplatten, davor auf zwei Holzböcken ein dicker Holzbalken. Auf dem Holzbalken bedrohlich lange Nägel. 

Ein Handwerker mit Eselskopf

Der nun auftritt, um sich daran abzuarbeiten, wirkt denkbar ungeeignet: eine Mensch-Tier-Gestalt in Unterhose, über dem nackten Oberkörper eine Eselsmaske. Mit zwei Hämmern geht er entschlossenen Schritts auf die Nägel los, hämmert, erst zaghaft, dann immer entschiedener, wütender, nicht immer trifft er. Das Hämmern wird zu Musik, Holz splittert. Der Eselmensch versucht das Holz in zwei Teile zu stemmen, durch schiere Muskelkraft. Er schwitzt, er ächzt, schließlich tritt ein zweiter mit Spänen übersäter Arbeiter auf, dann gelingt es.

Etwas ist geschafft, aber was eigentlich? Aus den Holzbalken werden klobige Skiversatzstücke, damit poltern die beiden herum, eine dritte Gestalt tritt auf: direkt durch die Wand. Ein Stück Wand bleibt vor der Brust kleben: Nicht nur diese Gestalt hat offensichtlich ein Brett vorm Kopf. Alle ackern sich ab, hochkonzentriert, wissen genau, was zu tun ist – und doch will nichts dabei herauskommen. Mit bienchenfleißigem Tunnelblick, ohne Rücksicht auf Verluste, werkeln sie ins nichts. Erst mit Holz, später Farbe, noch später etwas, das wie Zement aussieht. 

Wenn der Betonmischer rattert

Das ist lustig anzusehen, und momentweise auch ziemlich monoton. Wunderbar tänzerisch ist das farbintensive Finale, wenn die Wand zur Leinwand wird, die Arbeiter zu Künstlern: Wenn einer von ihnen als Engel in der Mitte schwebt, gefangen im eigenen Overall. Wenn vier Performer:innen in Windeseile die bunte Wand mit flüssigem Zement bewerfen, immer zentimeterbreit am Zusammenprall vorbei. Wenn der Betonmischer rattert.

Was also ist „Work“, dieser Mix aus Bildender Kunst, Tanz, Performance – ohne Worte? Man kann „Work“ als Hommage an das tänzerische Potenzial lesen, das in jeder handwerklichen Arbeit schlummert. Oder andersherum an das Handwerk, die Arbeit „am Material“, ohne das es keine Kunst gibt. Als eine Denkfigur über das Wesen jeglicher Arbeit an sich: die nie endenwollende Serie von „Projekten“, die unser Arbeitsleben bestimmt. Mit Abstand gesehen besteht sie aus lauter absurden Einzelteilen. 

Was an Potsdam erinnert

Als die Wand in „Work“ am Ende wieder fast aussieht wie zu Beginn, liegt auch der Gedanke an die Stadt nahe, in die das Festival seit 27 Jahren Kunst aus aller Welt holt. Auch Potsdam besteht aus Wänden, an denen sich verschiedenste Ambitionen abgearbeitet haben. Wände wurden hier zerstört, wurden angemalt, abgerissen. Und an manchen Orten wurden sie dann wieder aufgestellt, als sei nichts gewesen. 

"Work", wieder am 1. September um 20.30 Uhr im T-Werk. Unidram läuft bis 5. September an acht Spielorten in der Schiffbauergasse.

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