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Kultur: Auf den Spuren des Vaters

Irina Liebmann schrieb über Rudolf Herrnstadt

Sie selbst war zehn Jahre alt, als ihr Vater, der renommierte Journalist Rudolf Herrnstadt, 1953 im Zusammenhang mit den Ereignissen vom 17. Juni von seinem Posten als Chefredakteur des „Neuen Deutschland“ entbunden und in die Merseburger Provinz verbannt wurde. Ein Jahr später wurde er auch aus der SED ausgeschlossen und fortan als Staatsfeind totgeschwiegen. „Es war nicht nur ... seine Niederlage. Es war unser Leben. Damals. Und ist immer noch unser Leben.“ Das schreibt die Berliner Schriftstellerin Irina Liebmann auf der ersten Seite ihres im März erschienenen Buches „Wäre es schön? Es wäre schön!“, das sie am Donnerstagabend im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte vorstellte.

Fünfzig Jahre nach den auch für sie einschneidenden Ereignissen begab sich die Tochter auf Spurensuche, schnell fasziniert vom Reichtum des Lebens ihres Vaters und berührt von der Dramatik der Geschehnisse innerhalb kürzester historischer Zeiträume. Rudolf Herrnstadt (1903-1966), der aus einer bürgerlichen jüdischen Familie im oberschlesischen Industrierevier stammte, erkannte zeitig den aufkeimenden Faschismus und beschloss, dagegen zu kämpfen. Als überzeugter Kommunist ließ er sich von der Partei dort einsetzen, wo er gebraucht wurde. Sein Weg führte ihn als Auslandskorrespondent nach Prag und nach Warschau, wo er gleichzeitig für die sowjetische Auslandsspionage tätig war. 1939, nach der Emigration in die Sowjetunion und seiner baldigen „Überstellung“ in die Komintern, arbeitete er in Schlüsselpositionen beim Nationalkomitee Freies Deutschland und wurde sofort nach dem Krieg damit beauftragt, die ersten Zeitungen Berlins und die Parteipresse aufzubauen. Als einer ihrer führenden Propagandisten forderte er schon bald mehr Demokratie in der jungen DDR. Das aber kostet ihn nicht nur all seine Positionen, sondern auch seine Gesundheit.

Irina Liebmann hat von ihrem Vater selbst wenig über sein bewegtes Leben erfahren. Erst in den 1970er Jahren beschäftigte sie sich mit seinen journalistischen Anfängen beim berühmten „Berliner Tageblatt“ von Theodor Wolff und war überrascht und begeistert von deren Qualität. Nach dem Mauerfall holte sie seine Geschichte erneut ein. 2003 lief der Film „Moskaus Kronprinz für die DDR“ im Fernsehen, der die alte Behauptung Walter Ulbrichts, Herrnstadt hätte ihn ersetzen sollen, wieder aufleben ließ. Die Schriftstellerin erkannte daraufhin ihren Vater als bedeutenden Akteur der Zeitgeschichte, der, geprägt von Faschismus und Krieg, voller Hingabe für den Aufbau des Kommunismus arbeitete. Mit der Distanz der Nachgeborenen fragt sie sich, wieso er, der scharfsinnige Intellektuelle, „bei denen geblieben ist“, obwohl er bereits während der Zeit seiner Emigration viele der Widersprüche in ihrem Denken und Handeln deutlich sah.

„Wo haben wir eigentlich gelebt?“, ist eine der Schlüsselfragen ihrer bewegenden Spurensuche, die sich trotz detaillierter Faktendarstellung, persönlicher Aussagen Rudolf Herrnstadts und Zeitzeugengesprächen zumeist spannend und lebendig wie ein Roman liest. Fiktionalisierung wollte sie unbedingt vermeiden, bekennt Irina Liebmann in der angeregten Diskussion, in der mehrere Zuhörer bekundeten, dass sie sich durch die mitschwingende Emotionalität der Autorin berührt und eingebunden fühlten.

Das auf der diesjährigen Leipziger Buchmesse in der Kategorie Sachbuch und Essayistik prämierte Buch stellt einmal mehr Familiengeschichte als Weltgeschichte dar. Es lässt dabei die Hoffnungen, die Irrtümer, den Glauben und die Schrecken des „kommunistischen Zeitalters“ auch vor den Augen von Nachgeborenen entstehen. Astrid Priebs-Tröger

Irina Liebmann, „Wäre es schön? Es wäre schön! Mein Vater Rudolf Herrnstadt“, Berlin Verlag 2008, 19.90 Euro

Astrid Priebs-Tröger

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