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Anja Isabel Schnapka schafft Bilder mit einer seltenen Reflexionstiefe.

© Andreas Klaer

Anja Isabel Schnapka im Kunsthaus Potsdam: Die Verletzlichkeit des Körpers

Mit 14 Jahren musste sich Anja Isabel Schnapka einer Operation unterziehen, weil ihre Wirbelsäule eine doppelseitige Verkrümmung aufwies. Das Erlebte spiegelt sich in ihrer Kunst wider. 

Potsdam - Hirschgeweihe, Arme, Hände und stützende Stangen sind zu sehen. „Bleiche Knochen händeringend“, lautet der Titel dieses Bildes von Anja Isabel Schnapka. Ein Gerüst, aus einer Untersicht fotografiert. Eine fragile Konstruktion, die im Raum vor einem unbestimmten Hintergrund hängt. Dieser Fotoprint steht in ihrer Wohnung, gelegen in der alten Eisenbahnerwohngenossenschaft „Kolonie Daheim“. Auch in der Ausstellung „Kein Thema“ im Kunstverein Kunsthaus Potsdam, in der Mitglieder des Vereins vorgestellt werden, hängen zwei geprintete Fotos von ihr, die sich mit dem fragmentierten Körper beschäftigen.

Die 1968 in Wiesbaden geborene Künstlerin gelangte 2007 nach Potsdam, als ein Bruch im Leben anstand. „Eine Beziehung war beendet, ich wollte heraus aus dem Milieu, in dem ich aufgewachsen war“, sagt die Künstlerin während eines Atelierbesuchs. Potsdam mit der Nähe zur Kunstszene der Hauptstadt, die sich jahrelang als fruchtbarer künstlerischer Nährboden für Künstler aus aller Welt erwies, schien ihr geeignet. „Das war nicht ganz einfach. Zuerst kannte ich hier niemanden“, erinnert sie sich. Nach einiger Zeit aber kam die Verbindung zum Kunsthaus zustande.

Der Körper als ihr Thema

Der fragmentierte Mensch ist ein zentrales Thema der Fotokünstlerin. Häufig finden sich einzelne Gliedmaßen, Andeutungen von dekonstruierten Körpern in ihren Fotomontagen. Immer schon war der Körper Thema der Kunst, denn die Auseinandersetzung damit ist für jeden Menschen existentiell: ohne Körper kein Geist. Die Unbedingtheit des Zusammenhangs erfuhr die Künstlerin allerdings schon recht früh: in ihrer Kindheit, in einem Alter, in dem der Körper gemeinhin als flexibel und gestaltbar erscheint. Mit 14 Jahren musste sich Anja Isabel Schnapka einer Operation unterziehen, weil ihre Wirbelsäule eine doppelseitige Verkrümmung aufwies. Idiopathische Skoliose, so die Diagnose. Ein Stützkorsett, in Knochen und Schädel verankerte Schraubkonstruktionen waren einige Zeit notwendig. Es half, die skelettale Stützkonstruktion des Körpers in einen Zustand zu versetzen, der eine Operation ermöglichte.

Anja Isabel Schnapka.
Anja Isabel Schnapka.

© Andreas Klaer

Die frühe Erfahrung hat Spuren im Werk von Anja Isabel Schnapka hinterlassen. Die Künstlerin schafft Bilder mit einer seltenen Reflexionstiefe über essentielle Fragen des menschlichen Lebens: Wie Körper und Geist zusammengehen, wie die Verletzlichkeit des Körpers und die Zerbrechlichkeit der physischen Einheit des Individuums den Menschen, sein Denken und seine Wahrnehmung prägen. Schnapka verharrt nicht bei illustrativer Inszenierung.

Schon früh experimentierte die Tochter eines Werbegrafikers und einer Kunstlehrerin mit analogen Fotos, montierte diese zusammen, schuf neue Bilder. Mit differenzierten Farbspektren, sorgsam austarierten Detailinszenierungen und einem lange dauernden Montageprozess schafft sie Reflexionsräume, die nahezu haptisch und begehbar erscheinen. Die Verbindung von raffiniertem Bildarrangement und mentalem Tiefgang ist ebenso prägnant wie der Hang der Künstlerin, den Weg zum Ziel eher zu ertasten, als aufs Geratewohl loszumarschieren.

Schnapka schloss ein Germanistikstudium mit dem Schwerpunkt der Film- und Fotowissenschaft ab. Eine Promotion hätte folgen können, denn nach dem Studium kam eine wissenschaftliche Assistenz an der Universität Frankfurt a.M. „Aber das erwies sich als schwierig. Der wissenschaftliche Ansatz, den ich gewählt hatte, war sehr unüblich“, sagt Schnapka. „Die Dialektik von Zerstörung und Konstruktion bei Thomas Bernhard und Arnulf Rainer“ lautet der Titel der wissenschaftlichen Arbeit. Der Vergleich eines Dramatikers mit den Arbeiten eines expressiven, gestischen Malers jedoch war wissenschaftliches Neuland. Letztlich schloss Schnapka die Promotion nicht ab. Das Interesse an der Verbindung von Geisteswissenschaft und Kunst blieb.

Das Thema der geplanten Promotion beschäftigte die Künstlerin weiter. Beides: Zerstörung und Konstruktion finden sich als Elemente in den meisten der Bilder von Schnapka. Beides findet sich auch bei ihrer Arbeit für den Museumsverband Brandenburg. Für diesen Verband begutachtet die Künstlerin alte Fotonegative, die teils zerstört sind, arbeitet mit den alten Glasplatten, auf denen früher Fotos angefertigt wurden und leitet die Digitalisierungen von Fotobeständen bei Museumsprojekten. Mit Fotografen und Fotografinnen von 1890 bis 1980 setzt sich Schnapka aktuell auseinander. In Kürze erfolgt die Veröffentlichung des Projekts im Internet.

Mit alten Fotos zu arbeiten, in längst vergangene Atmosphären einzutauchen und dann zu schauen, wie diese Bilderwelten für die Gegenwart aufbereitet und geschützt werden können, das sei eine recht spannende Angelegenheit, so die Künstlerin. „Schauen, woraus der Brei gekocht ist“, beschreibt sie ihre Arbeit. Das sei notwendig, um das alte Bildmaterial letztlich archivtauglich lagern zu können. Nahe läge zwar der Gedanke, Ausschnitte oder Fragmente für die eigene künstlerische Arbeit zu benutzen, zumal der Urheberrechtsschutz bei alten Fotoarbeiten zumeist kein Problem mehr darstellt. „Aber das sind ganz eigene, kleine Biotope. Da gehe ich nicht ran“, sagt Schnapka. Die Ästhetik der alten gläsernen fotografischen Platten findet sich dennoch in ihren Arbeiten wieder.

Die Künstlerin sucht sich die Elemente ihrer Fotomontagen aus analogem Fotomaterial selbst zusammen und digitalisiert es. Schließlich entsteht das ausgedruckte und auf eine Platte montierte Bild. Größere Einzelpräsentationen hat sie bisher nicht erfahren, was auch der aufwendigen Produktionsweise ihrer Arbeiten geschuldet ist. Denn große Bildabzüge sind teuer. Matte Kaschierungen, wie sie die Künstlerin für ihre Werke bevorzugt, verteuern den Produktionsprozess zudem. Aber angesichts der vielschichtigen Kompositionen möchte Schnapka ihre Arbeiten so präsentieren, wie sie diese beim Produktionsprozess mit etlichen Layern und differenzierten Farbkorrekturen gedacht hat.

„Emoticon“ ist der Titel eines Bildes, das im Kunsthaus hängt und bei dem ein fragmentierter Körper und eine Schlauchkonstruktion zu einer in sich ruhenden, stehenden Figur vereint sind. Auch auf anderen Bildern finden sich Röhren, Stäbe, Schläuche. „Das ist ein Baudrainage-Schlauch“, sagt Schnapka.

Die nüchtern wirkenden Dinge und Konstruktionen konterkariert die Künstlerin gelegentlich durch ironische Bildtitel: „Is was doc“, hat sie ein Foto betitelt, auf dem eine Rückenansicht zu sehen ist. In ihrer Wohnung arbeitet die Künstlerin an neuen Fotowerken und auch an Aufsätzen, in denen sie über ihre bildnerische Arbeit reflektiert. Größere Ausstellungen auch in Museen sind angedacht und werden die Künstlerin sicherlich einem breiteren Publikum bekannt machen.

>>Zwei ihrer Werke sind bis 10. Februar in der Ausstellung „Kein Thema“ von Mitgliedern des Vereins im Kunsthaus, Ulanenweg 9, zu sehen.

Richard Rabensaat

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