zum Hauptinhalt
Hat sich noch nicht verstanden. Schriftstellerin Angelika Klüssendorf.

© G. Glover/promo

Angelika Klüssendorfs "Jahre später" in Potsdam: Im Geiste zerhackte Menschen

Angelika Klüssendorf stellte ihren Roman „Jahre später“ in der Potsdamer Stadt- und Landesbibliothek vor. Ein Buch, das unter die Haut geht.

Von Sarah Kugler

Potsdam - Es gibt Romanfiguren, die ein Eigenleben entwickeln. Solche, die sich der Kontrolle des Autors entziehen und auf einmal Dinge sagen oder tun, die so nicht vorgesehen waren. Angelika Klüssendorfs April ist so eine Selbstständige. Drei Romane hat die Schriftstellerin schon über sie geschrieben. Für die ersten beiden „Das Mädchen“ und „April“ war sie jeweils für den Deutschen Buchpreis nominiert. Der letzte Band „Jahre später“ ist gerade erschienen. Am Freitagabend stellte sie ihn in der Stadt- und Landesbibliothek vor, Carsten Wist und Felix Palent moderierten.

Alle drei Romane erzählen von April, die aus einem zerrütteten Elternhaus stammt. Der Vater trinkt, die Mutter ist aggressiv – April entwickelt sich trotzdem, oder gerade deswegen, zu einer starken Frau. „Jahre später“ lässt sich – wie jedes der Bücher – unabhängig von den anderen lesen. Der Roman erzählt von dieser Frau, die eine zerbrochene Beziehung hinter sich hat. Ihr Teenagersohn Jonas lebt bei ihr, das Verhältnis schwankt zwischen gut und nicht vorhanden. Dann lernt sie Ludwig kennen, bekommt ein zweites Kind. Die Beziehung stellt sich schon bald als toxisch heraus, lösen kann sich April zunächst trotzdem nicht von ihr. Weil sie sich zu sehr an das Gewohnte klammert, wie Klüssendorf am Freitag erklärt, und Muster aus ihrer Kindheit nicht ablegen kann. Auf gerade einmal 160 Seiten entwickelt sie ihre Figur, lässt sie gegen die Wand fahren und schließlich emanzipieren. Ihre Sprache ist sehr verdichtet, die Sätze kurz und doch erzählt „Jahre später“ mehr als so mancher 400-Seiten-Roman.

Schwerstarbeit sei diese Art des Arbeitens, sagt Klüssendorf. „Ich sitze jeden Tag acht Stunden und schreibe. Von drei geschriebenen Kapiteln bleibt am Ende eins stehen“, erzählt die 1958 in Ahrensburg geborene Schriftstellerin. Über eine Frau zu schreiben, sei zusätzlich schwer gewesen, über mehrere Figuren musste sie sich der weiblichen Sicht erst annähern. „Einen Mann kann ich fiktionalisieren“, erklärt sie. Eine Frau jedoch messe sich immer an ihr selbst. Und da gebe es noch viel, was sie nicht versteht, vieles, was ihr beim Schreiben im Weg stehe.

Da ist es dann auch nicht verwunderlich, dass April ihr manchmal entgleitet und sie sich nicht mehr sicher ist, was sie sagt oder tut. Das Wort „Fotze“ zum Beispiel sei laut Klüssendorf nun wirklich nicht Aprils Vokabular und doch beschimpft sie im Buch ihre Mutter damit. „Das stimmt“, lenkt Klüssendorf ein. „Aber man muss dabei den Kontext beachten.“ Trocken sagt sie das, wie überhaupt das Meiste an diesem Abend. Auch bei der unvermeidbaren Frage, wieviel von Angelika Klüssendorf in April stecke und ob Ludwig aus „Jahre später“ ihr vertorbener Mann, der FAZ-Mitherausgeber Frank Schirrmacher sei, bleibt sie ruhig. „Das Buch ist das Buch und Ludwig ist nicht Frank“, sagt sie nur. Den Begriff „Schlüsselroman“ will sie nicht hören.

Nur eine von Aprils Eigenschaften habe sie tatsächlich sich selbst entnommen: Auch sie zerteile im Geiste Menschen, die ihr Angst machen. „Der andere ist dann tot ohne es zu wissen und redet trotzdem weiter, das beruhigt mich“, sagt sie. Und die Kneipen in Berlin habe sie natürlich auch besucht, das sei die beste Zeit ihres Lebens gewesen, sogar David Bowie habe sie getroffen. „Und wer kann das schon sagen?“

April jedenfalls nicht. Dafür spricht sie in ihrer Phantasie mit Faye Dunaway oder Rif Raf aus der „Rocky Horror Picture Show“, trinkt hochkarätigen Wein aus der Flasche und tut eben auch sonst immer nur das, was sie möchte. 

Angelika Klüssendorf:Jahre später.

Kiepenheuer&Witsch Köln 2018,

160 Seiten, 17 Euro

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false