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Schick. Wenn Popper wie die Beatpoeten über Punk philosophieren.

© Kevin Münkel

Kultur: Andrea Berg ist Punk

Die Beatpoeten waren angereist, um im Kuze Songtexte literarisch zu analysieren

Den weiten Weg aus Hannover, dem „langweiligsten Flecken der Republik“, bis nach Potsdam haben Jan „Egge“ Sedelies und Costa „Carlos“ Alexander auf sich genommen. Als die Beatpoeten spielen die zwei größtenteils kontinuierlich Punkrock-Hits, am Montag waren sie jedoch mit einer Lesung zu Gast im studentischen Kulturzentrum Kuze – wohl ohne sich dabei bewusst zu sein, dass sie hiermit eine innerdeutsche Grenze skizzieren.

Denn waren die 1980er-Jahre in der Bundesrepublik fest in der Hand der rebellischen Punk-Kultur, gab es die im Osten nur versteckt – Rebellion gegen den Staat, das war den Bürgern der DDR nicht vergönnt, oder höchstens heimlich, mit der Thüringer Band Schleimkeim etwa, die am Montagabend natürlich auch berücksichtigt wurde.

Nicht die Musik stand an diesem Leseabend jedoch im Vordergrund, sondern der Inhalt. Deshalb heißt ihre Lesereihe auch „Popper lesen Punk“ – geballter Blödsinn im Tarnanstrich, passen die Hannoveraner doch überhaupt nicht ins Normalo-Schema, erst recht nicht als selbst ernannte Popper: Beide sind durch die Punkkultur der 80er sozialisiert worden, wenn auch erst nach dem Mauerfall. Egge in Mecklenburg-Vorpommern, Carlos in Hannover.

Dass sich hinter Bandnamen wie Schlepphoden, Müllstation, Terrorgruppe und Popperklopper lyrische Schwergewichte verbergen, ist selbstredend nicht auf den ersten Blick ersichtlich. „Im Grunde ist das aber Literatur“, behauptet Alexander, ohne mit der Wimper zu zucken. Aha. „Heute ist der Hip-Hop die Sprache der Herzen, aber in den 80ern war das Punk, weil er eben auch so ungelenk ist.“ Dieser Philosophie ist ein Denkmal gesetzt worden. „Punkrock ist für Abiturprüfungen prädestiniert“, da ist sich Alexander ganz sicher.

Aber bei so viel Lyrik kein Wunder: „Dichtung kommt von Verdichtung“, doziert Sedelies, bevor er die Unterteilung des Abends in mehrere Kapitel ankündigt. Hilfe gibt’s vom Publikum, mittels Punkrock-Bingo. „Schreibt euch fünf Punkrock-Bands auf die Unterarme, wenn eine der Bands dabei ist, schreit ihr Bingo“, sagt Sedelies. Zu gewinnen gibt es Gratis-Pfefferminzlikör, der grün-schillernde, flüssige Begleiter ganzer Generationen. Brot und Spiele – und vielleicht auch der Versuch, das doch recht junge Publikum von den Altpunkern zu trennen, denen auch die Beatpoeten angehörten.

Viele waren das im gut gefüllten Theatersaal jedoch nicht, erstaunlich viel Jungvolk besetzte die Plätze. So ist es oftmals auch ein peinliches Lachen, das dieses lyrisierte Prolltum auslöst, erst recht wenn es als melancholisches Gedicht vorgetragen wird: „Als Haus wärst du ne Hütte“, dichtete einst die Punkband Razzia, „Stumpf ist Trumpf“ kam von KFC – aber auch Songs wie „Arbeitsscheue Ostler“ von Fluchtweg gehören zum Repertoire der Beatpoeten. Ein bisschen Renaissance ist auch dabei, immerhin sind viele der alten Bands gerade wieder unterwegs und auf dem einen oder anderen Festival zu sehen – wenn sie noch stehen und spielen können.

Es sind aber auch immer wieder die gleichen plakativen Themen, die hier durchgekaut werden: Saufen bis zum Umfallen, bloß nicht zur Arbeit gehen, gegen den Staat sein – und erst recht gegen deren Vertreter: „Analyse der Ordnungsmacht“ heißt ein ganzes Kapitel der Beatpoeten-Lesung, zu dem Songs wie „Können Schweine schwimmen?“ (Boskops), „Bullenwagen klaun und die Innenstadt demolieren“ (Riccoraw) oder „Pflasterstein flieg!“ (Normahl) gehören. Da wird die Beleidigung „Bullenschwein“ so redundant verwendet, dass sie völlig verzerrt wird – da stößt sogar dem normalen Punkrocker sein warmes Sternburg wieder auf. Na gut, die Stuttgarter Band Normahl hatte ja damals auch einen Song für Uwe Barschel im Gepäck: „In meiner Badewanne bin ich Kapitän“. Ernsthafte Revolte war damit sicherlich nicht zu machen.

Das gilt auch für die Romantikfalle, die von den Beatpoeten gestellt wird: Im Kapitel Liebeslyrik verstecken sie einen Song von Andrea Berg, wer ihn erkennt, bekommt – was sonst – einen Pfefferminzlikör. Dass sich deren Lyrik von der gestandener Punkbands oftmals gar nicht so unterscheidet, war vielleicht die größte Überraschung des Abends. Oliver Dietrich

Oliver Dietrich

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