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Frauenfreund, Linker und Geflüchteter. Bertolt Brecht hatte viele Seiten – zu viele, um seine Lieder von nur einem singen zu lassen. Auf der Bühne des HOT tun das unter anderen Friedemann Eckert, Nina Gummich, Florian Schmidtke (v.l.).

© HL Böhme

Am Hans Otto Theater entdeckt man Lieder von Brecht: Besuch vom Berserker

Lange hat man sich um ihn gedrückt. Jetzt ist Bertolt Brecht in Potsdam zu erleben - und es zeigt sich, dass er auch als Experte in Sachen Asyl zu verstehen ist.

Bertolt Brecht in Potsdam. Das gibt es nicht oft. Seine Stücke wurden in dieser Stadt von den jeweiligen Leitungen des Hans Otto Theaters scheinbar geschnitten. Mindestens in den vergangenen zweieinhalb Jahrzehnten, wenn man von der „Dreigroschenoper“ einmal absieht. Vielleicht ist der Respekt vor dem nahen Berliner Ensemble allzu groß?

In dieser Spielzeit aber: Brecht am Potsdamer Theater. Kein Schauspiel, sondern ein Abend mit seinen Liedern unter dem Titel „Von Kindheit an sann ich zumeist auf Böses“. Regisseur Niklas Ritter sowie sein Bruder Tilman Ritter als Komponist und Musiker haben einen revuehaften Abend zustande gebracht. Dafür wilderten sie gemeinsam mit Schauspielern und einer Band durch das riesige Werk des Theaterberserkers. Man wurde fündig – von Handlung ist bei diesem bunten Programm jedoch keine Rede, eher von einem roten Faden, der sich erst einmal nicht ganz erschließt. Zunächst kommt kräftig der junge Wilde und Frauenverführer mit zumeist erotischen Songs zu Wort. Doch mit dem „Lied von der belebenden Wirkung des Geldes“ aus dem zwischen 1931 bis 1934 entstandenen Stück „Die Spitzköpfe und die Rundköpfe“ kann man einen eindeutigen politischen Zusammenhang ausfindig machen, bei dem es brandaktuelle Bezüge gibt.

Brecht: "Der Pass ist der edelste Teil von einem Menschen"

Einmal fast um einen Teil der Welt gekommen, gilt der Autor, der über mehrere Jahre vor Nationalsozialismus und Krieg auf der Flucht war, auch als Experte in Sachen Asyl. Da tut es gut, einen gesprochenen Ausschnitt aus den „Flüchtlingsgesprächen“ (1940–1944) zu hören, nämlich den „Pass“, in dem es heißt: „Der Pass ist der edelste Teil von einem Menschen ... Dafür wird er auch anerkannt, wenn er gut ist, während ein Mensch noch so gut sein kann und doch nicht anerkannt wird.“ Das Publikum am Freitagabend hat bestens verstanden und spendete langanhaltenden Beifall – auch dem Ensemble, das diese Szene mit pantomimischen Beigaben auflockert.

Jedes gesungene Lied erzählt eine kleine Geschichte oder einen Ausschnitt aus einer größeren. Man erwartet zunächst, dass Niklas Ritter die musikalischen Miniaturen szenisch auskostet. Doch das passiert nur sparsam. Er und seine Ausstatter Michael Graessner (Bühne) und Karoline Bierner (Kostüme) brauchen wenig Aufwand und kein großes Brimborium, um die Songs ins rechte Licht zu bringen. Ein paar Videoaufnahmen beim Kanonensong aus der „Dreigroschenoper“ oder das ins Groteske getriebene Spiel in „Mutter Beimlein“ müssen genügen, um ein paar Andeutungen zum gesungenen Wort zu geben.

Evergreens von Kurt Weill

Die Musik Kurt Weills, Hanns Eislers und Paul Dessaus, in denen sich vielfältige Musikstile wiederfinden, hat den Vorrang. Vor allem Weills Vertonungen wurden teilweise bekanntlich zu Evergreens. Seine Musik zu „Surabaya Johnny“ aus „Happy End“, des Alabama-Songs aus „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ und Etliches aus der „Dreigroschenoper“ wie die Moritat von Mackie Messer oder „Über die Unsicherheit menschlicher Verhältnisse“ sind nach wie vor packend. Ganz frisch-sympathische Kompositionen von Tilman Ritter, die mit ihren rockigen und poppigen Rhythmen für sich einnahmen, mischen das Altbekannte auf. Auf fast leer geräumter Bühne, nur die fabelhaft spielende fünfköpfige Band nimmt auf zwei Brettl’n Platz, wissen die Sänger-Darsteller Rita Feldmeier, Meike Finck, Nina Gummich, Franziska Melzer, Friedemann Eckert, Bernd Geiling, Florian Schmidtke, Michael Schrodt und René Schwittay mal solistisch, dann wieder chorisch die verbale Aggressivität, das Sperrige sowie Zarte, manchmal Süßliche der Lieder genau zu treffen. In puncto Intonation schwächelt es allerdings hin und wieder.

Bertolt Brechts politisches Wirken zu DDR-Zeiten wird auch an diesem Abend nicht hinterfragt, keine Andeutungen zu seiner Nähe zu den SED-Oberen. Doch deutlich wird: Künstlerisch ist er nicht hoch genug einzuschätzen, das Politische muss man bei ihm aber immer mitdenken.

Gute Unterhaltung und Nachdenklichkeit

Denn wie sagte der Dichter im „Vielleicht-Lied“ selbst: „Vielleicht vergeht uns so der Rest der Jahre, / Vielleicht vergehn die Schatten, die uns störten, / Und die Gerüchte, die wir kürzlich hörten,/ Die finster waren, waren nicht das Wahre! / Vielleicht, dass sie uns noch einmal vergessen, / So wie wir gern auch sie vergessen hätten?“ Die Nebelmaschine wird an diesem Abend jedenfalls kräftig eingesetzt. Manches was in Brechts Biografie noch unverstanden ist, will Niklas Ritter wohl in „Von Kindheit an sann ich zumeist auf Böses“ nicht aufklären. 90 Minuten gute Unterhaltung sollen vor allem garantiert werden. Doch es stellt sich auch Nachdenklichkeit ein. Ansonsten wäre es wohl kein guter Brecht-Abend gewesen.

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