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Und mittendrin der Menschenfeind. Das Potsdamer Poetenpack bei einer Probe von Molières „Der Menschenfeind“ auf der Open-Air-Bühne im Q-Hof.

©  Constanze Henning

Kultur: Am Ende der Abgrund

Die Potsdamer Theatergruppe Poetenpack zeigt Molières „Menschenfeind“ als Sommer-Open-Air im Q-Hof

Schon äußerlich könnten beide kaum gegensätzlicher sein: Célimène stakst auf schwindelerregenden High Heels und in grünblau changierendem Cocktailkleid über das Kopfsteinpflaster des Q-Hofes. Alceste trägt eine beigefarbige Zimmermannskordhose, eine grüne Lederjacke und ein T-Shirt mit rotem Stern auf der Brust. Auf den ersten Blick würde niemand auf die Idee kommen, dass ausgerechnet diese beiden ein Paar sind. Und doch lässt Molière in seiner Komödie „Der Menschenfeind“ eine oberflächliche und mit allen Mitteln aufstrebende Schöne und den von der (Hof-)Gesellschaft angewiderten und zudem schmerzhaft wahrheitsliebenden Adligen einander in Liebe verfallen.

Das Potsdamer Poetenpack hat sich für seine diesjährige Sommerbespielung im lauschigen Q-Hof in Potsdam-West genau diese Komödie ausgesucht – der erste Molière beim Poetenpack, wie Theaterleiter Andreas Hueck beim Pressegespräch am Dienstagnachmittag sagte. „Der Menschenfeind“ sei dabei kein typisches Molière-Stück im „Commedia dell’ Arte“-Stil, sondern hier treffen verschiedene ausgereifte Charaktere aufeinander und der „Menschenfeind“ sei für ihn ein schöner Provokateur. Für die Regisseurin Anke Rauthmann ist es ihre erste Inszenierung in Potsdam und ebenfalls die erste Regiebegegnung mit dem berühmten Franzosen. Sie hat für ihre Inszenierung die Übersetzung von Hans Magnus Enzensberger ausgewählt, weil sie von der Leichtigkeit, Pointiertheit und Bissigkeit seiner Sprache begeistert ist. Und als das Ensemble eine kurze Szenen-Kostprobe gibt, ist sofort zu spüren, was sie damit meint.

Die überaus launige Partygesellschaft der (Neu-)Reichen und Mächtigen inklusive der sie umschwirrenden Sternchen scheint sich in die sehr bodenständig wirkende Umgebung des Q-Hofes verlaufen zu haben. Ein halbes Dutzend von ihnen kommt reichlich angeheitert und unter Gitarrenklängen auf Célimènes Dachgarten. Dieser ist jetzt noch ein rohes Holzgeviert, das wie ein Laufsteg rund um eine junge Platane anmutet. Die jugendlichen Nachtschwärmer ziehen sofort kräftig über abwesende Bekannte aus der High Society her. Dazwischen flattert der bezaubernde Schmetterling Célimène und flirtet, was das Zeug hält, und ihr einzig wahrer Verehrer Alceste tut alles, um diesen blasierten Schönlingen den Spiegel vorzuhalten. Als echter Partykiller zieht er sich dazu in einen abseits stehenden Liegestuhl zurück und kommentiert ungefragt und übertrieben bissig das Geschehen. Sie seien wie Ying und Yang, der eine hat, was dem anderen fehlt, sagt die Regisseurin über ihre beiden Protagonisten.

Anke Rauthmann, deren Wurzeln im Musiktheater liegen und die unter anderem in Israel inszenierte, hat sich zwar für die Enzensberger-Übersetzung entschieden, diese jedoch gleichzeitig von den Anspielungen auf die sogenannte Bonner Republik befreit und die ganze Szenerie stärker in ein nicht näher bestimmbares Heute mit Anleihen aus den 1980er-Jahren verlegt. Bei ihr treffen Medienleute und Börsenmakler aufeinander und die junge Célimène, die von Jessica Tietsche, die ihre ersten Bühnenerfahrungen in Berlin am Caroussel- und am Grips-Theater sammeln konnte, verkörpert wird, ist so ein Medien-Sternchen, das zuerst gehypt und dann genauso schnell wieder fallen gelassen wird. Beziehungen zum wahren Leben fallen einem sofort massenhaft ein.

Lars Wild, der den Alceste verkörpert und bereits in vielen Rollen beim Poetenpack zu sehen war, erinnert mit seinem gesellschaftskritischen Granteln auch an Persönlichkeiten wie den Dichter Thomas Bernhard, der als Teil der Gesellschaft zugleich den Willen zum Aufruhr gegen diese in sich trug, so die Regisseurin. Im „Menschenfeind“ stecke eine große Portion Egomanie, er inszeniert sich und er leidet aber auch. Er braucht auch Philinte, der sein bester Freund und zugleich sein Gegenspieler ist. Und so wird Molières „Menschenfeind“ vor allem auch als ein Diskurs zwischen verschiedenen Lebenseinstellungen – Alceste ist dabei sowohl naiv als auch egozentrisch – zu lesen und zu verstehen sein, und bei aller Komik ist auch das Tragische, der Absturz ins Bodenlose, immer mit dabei. Für Alceste sei das Ganze auch eine ausweglose Situation, sagt Rauthmann. Tief enttäuscht von Célimène will er sie trotzdem dazu bringen, mit ihm in die selbstgewählte Emigration zu gehen. Aber Célimène kann nicht von ihrer Welt lassen, denn das würde sie ihre von Alceste geliebte Persönlichkeit kosten.

Wenige Tage vor der Vorpremiere in Hundisburg – die Potsdamer Premiere findet am 11. Juli statt – sei das Ende der Inszenierung immer noch offen. Wir experimentieren noch, sagt die Regisseurin und verrät, dass am Ende auf jeden Fall der Abgrund gähnt. Jetzt hat die junge Theatertruppe, die sich um die Stammspieler Lars Wild und Peer Göring zusammengefunden hat, noch ein paar intensive Probentage mit dreitägiger Klausur auf der Hundisburg in Sachsen-Anhalt vor sich. Dort werden sie während der Schlussproben auch gemeinsam in der Schlossherberge wohnen und dabei als Truppe erst so richtig zusammenwachsen.

Premiere am Donnerstag, dem 11. Juli, um 20 Uhr im Q-Hof, Lennéstraße 37. Karten unter Tel.: (0331) 979 12 91

Astrid Priebs-Tröger

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