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Sebastian Krämer (38) stammt aus Ostwestfalen. Der Sänger und Dichter aus dem Kalletal hatte schon zu Schulzeiten Auftritte als Kabarettist. 2009 wurde Krämer der Deutsche Kleinkunstpreis für Chanson vom „Mainzer unterhaus“ verliehen.

© Promo

Kultur: „Alles könnte auch ganz anders sein“

Sebastian Krämer kommt mit seinen sanft anarchischen Liedern in den Lindenpark

Herr Krämer, Ihr neues Programm, mit dem Sie am 2. Mai in Potsdam auftreten, heißt „Tüpfelhyänen oder die Entmachtung des Üblichen“. Was ist denn heute noch das Übliche?

Vor allem, sich anzupassen, keine Fragen zu stellen, wenn man zu etwas aufgefordert wird. Gehorsam ist zum Beispiel üblich. Ich möchte dazu aufrufen, Dinge anders zu machen, als sie allgemein erwartet werden. Oder sich überhaupt erst mal bewusst zu machen, was alles möglich ist. Es ist ein Programm über Möglichkeiten.

Sie klingen oft wie die alten Liedermacher mit ihren Protestsongs – aber so eindeutig politisch geht es bei Ihnen nie zu. Wogegen protestieren Sie?

Gegen Fantasielosigkeit, gegen alles, was uns einengt. Gegen Einschüchterung. Viele meiner Lieder sollen zeigen: Alles könnte auch ganz anders sein. Dass die Welt so ist, wie sie ist, hat nichts Zwingendes. Gegen Fatalismus. Und das ist sehr wohl politisch.

Sie feiern in Ihren Liedern teilweise auch eine herrliche Albernheit, träumen von sinnfreien Aktionen – etwa, wenn Sie vorschlagen, der Busfahrerin bei der Fahrscheinkontrolle einfach mal übers Gesicht zu lecken. Fehlt ihnen der Mut zur Albernheit in der Welt?

Es ist schon frustrierend, wie einfallslos Menschen manchmal sind, aber man kann ja mit gutem Beispiel vorangehen. Man muss sich ja nicht damit aufhalten, sich darüber zu beklagen, was die anderen machen – oder nicht machen.

Gehen Sie denn mit gutem Beispiel voran?

Ich führe darüber nicht Buch, ich will mich ja auch nicht brüsten. Aber ich gehe zum Beispiel innovativ und bewusst mit Sprache um und plädiere dafür, sich nicht immer auf dieselbe Art auszudrücken. Dabei bin ich, was die Sprache als solche angeht, sehr konservativ, regelrecht reaktionär, ich würde ja auch gerne die neue Falschschreibung rückgängig machen.

Davon singen Sie auch in einem Ihrer bekanntesten Songs „Deutschlehrer“. Waren das Menschen, die sie eingeschüchtert haben?

Nein, mein Vater ist ja selbst Deutschlehrer. Die, um die es in dem Lied geht, sind keine Einschüchterer, da geht es auch nicht um meine eigenen Lehrer, sondern um die von heute. Ich wünsche mir im Gegenteil eher wieder Deutschlehrer von altem Schrot und Korn, solche, die Grammatik pauken, anstatt mit den Kindern Harry Potter durchzunehmen.

Was ist so schlecht an Harry Potter?

Keine Ahnung, ich habe den Schrott ja nie gelesen! Fragen Sie meinen Sohn, der hat jetzt mit seinen neun Jahren auch den letzten Band durch. Aber ich fürchte, er findet es auch noch gut! Ernsthaft: Im Deutschunterricht sollten meines Erachtens gar keine Übersetzungen durchgenommen werden.

Chanson, haben Sie mal gesagt, sei Popmusik unter schlechten Produktionsbedingungen. Was tun Sie dagegen?

Ich bin kein großer Freund von Popmusik, aber das meiste, was man im Radio hört, ist zumindest klanglich optimiert. Wenn es das nicht ist, kann man es immer noch als Chanson bezeichnen, das Genre wird oft zur Schutzbehauptung für Defizite. Das nervt natürlich, wenn man sich selbst in der Szene bewegt. Ich mache Chanson, weil ich es machen möchte – und ich möchte es gut machen. Mir geht es um die Ausgewogenheit von Inhalt und Ausdruck, Text und Musik, darum, mit Liedern etwas zu erzählen. Das ist oft nicht mit wenigen eingängigen Worten möglich. Der Hörer muss mit seiner ganzen Aufmerksamkeit dabei sein. Meine Musik ist weniger zum Tanzen als zum Zuhören.

Sie waren aber auch mal Poetry-Slammer. Warum haben Sie damit aufgehört?

Ich habe mich davon abgewandt, als es mir nicht mehr gefallen hat, als es immer gleichförmiger wurde. Ich hatte irgendwann das Gefühl, nur noch Slam Poetry zu begegnen und nicht mehr Poetry Slam: Bei Letzterem ging es um Literatur, die Grenzen sprengt, um etwas Anarchisches. Das war vielfältiger. Irgendwann gingen die Slammer dann an die Schulen, um Slam zu unterrichten. Ich verstehe das sogar, so kann man als Slammer Geld verdienen, was auf den Bühnen nur bedingt möglich ist. Aber Slam sollte Gegenkultur sein, nicht etabliert durch Lehrpläne und Kulturförderung.

Wird die Gegenkultur nicht immer irgendwann vom Mainstream vereinnahmt?

Kann sein, dann ist es aber auch Zeit, die Reißleine zu ziehen.

Sie waren 2011 schon mal in Potsdam. Ist das Publikum anders als in Berlin?

Die Berliner sind halt ziemlich satt und abgefüllt – aber weil ich dort so oft auftrete, weiß ich die Leute schon zu nehmen. Potsdam hat beides: die Gemütlichkeit der Provinz, aber auch den Esprit von Berlin. Das ist eine erfreuliche Mischung. Und wie überall: Die, die man nicht brauchen kann, bleiben zu Hause.

Diesmal treten Sie im Lindenpark auf, der ist deutlich größer als das „Obelisk“. Misst man den Erfolg in Saalgröße?

Es ist immer gefährlich, den eigenen Erfolg überhaupt zu bewerten. Erst recht nach solchen Kriterien. Wenn, dann sollte man sich selbst nur nach den Inhalten bewerten. Wie groß war die Halle, wie hoch die Einnahmen? Das muss doch nur das Finanzamt interessieren.

Die Fragen stellte Ariane Lemme

Sebastian Krämer tritt am Freitag, dem 2. Mai, im Lindenpark, Stahnsdorfer Straße 76-78, auf. Beginn ist um 20 Uhr, Karte kosten 23 Euro

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