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Ohne Streit geht es einfach nicht. Szene aus „Kol Saber!“.

©  fabrik

Kultur: Alles ist ein Kampf

„Kol Saber!“ in der „fabrik“

Diese Inszenierung geht unter die Haut. Nicht nur weil man nicht erwartet, im Zirkus mit so ernsten Themen konfrontiert zu werden. Sondern weil die Akteure von „Kol Saber!“ mit Akrobatik, Tanz und Jonglage Szenen erschaffen, die einen hundert Jahre währenden politischen Konflikt in einprägsame Bilder fassen. Schon das Bühnenbild vermittelte einen Vorgeschmack. Blaue Ölfässer standen und lagen auf der Bühne der „fabrik“, als am Wochenende die Palästinensische Zirkusschule in der Reihe „Nouveau Cirque“ dort gastierte. In der Mitte der Bühne befand sich ein hoher Mast und von der Decke baumelte im Vordergrund eine menschengroße Figur herab. Und auch die herumlungernden jungen Männer passten ins Bild dieses Un-Ortes, der sich an vielen Orten der Welt befinden könnte und ein Symbol für Perspektivlosigkeit ist.

Auch wenn man zu Beginn noch denken kann, dass der junge Mann, der in der überlangen Tonne wie der antike Philosoph Diogenes zu Hause ist, Spaß an seinem Leben hat. Doch schon die darauf folgenden Spotlights zeigen, dass dieses Leben voller Gewalt und Kämpfe ist: Streiten ums Wasser, um kulturelle Identität und Verteilungsmacht. Und doch gibt es zwischen diesen pointiert harten Szenen immer so etwas wie spielerische Momente. Plötzlich liegt zwischen zwei Öltonnentürmen eine Holzstange und der junge Diogenes aus der Tonne fängt an, darauf zu balancieren.

Der Einbruch des Spielerischen in eine Welt voller Hass und Gewalt ist auch die Gründung der Palästinensischen Zirkusschule in Ramallah vor fast acht Jahren. Shadi Zmorrod und Jessika Devlieghere wollten besonders Kindern und Jugendlichen eine Perspektive und kreative Freiräume im konfliktbeladenen Westjordanland bieten. Noor Abu al Rob, Mohammad Abu Sacha, Ahmad und Mohammad Abu Taleb, die alle 1991 in Jenin geboren wurden, gehören zur ersten Generation der Zirkuskinder und touren jetzt zusammen mit dem Bruder des Schulgründers, Fadi Zmorrod, mit Produktionen wie „Kol Saber!“ durch die Welt.

Inzwischen gehören zur Zirkusschule, die in einem Dorf nahe Ramallah ihren Sitz hat, fast 200 Mädchen und Jungen, die einmal wöchentlich Gelegenheit haben, Jonglage, Clownerie, Artistik und Tanz zu probieren. Und sie machen dieselbe Erfahrung, die auch in „Kol Saber!“ zu erleben ist: Bei den artistischen Übungen sind sie aufeinander angewiesen und erleben gemeinsam ihre Stärke. Doch im Stück ist das immer wieder nur eine kurze Episode. Denn plötzlich schwebt aus dem Schnürboden eine schwarz-goldene Uniformjacke herab und die fünf jungen Männer kämpfen darum, in ihren Besitz zu gelangen.

Der, dem dieses gelingt, herrscht von nun an über die anderen. Ganz oben vom Mast oder durch willkürliche Wasserverteilung von einer Barrikade aus Ölfässern herab. Die unten haben das Nachsehen und kommen erst spät in ihre eigene Kraft. Dass dies im Zirkus gezeigt wird, auch wenn es am Schluss ein Bild der Verwüstung hinterlässt, ist wichtig im kriegszerrütteten Westjordanland. Hierzulande wirkt das zwar an einigen Stellen etwas plakativ, ist aber dennoch eindrücklich und berührend. Berührend deshalb, weil man spürt, dass diese jungen Artisten mit ihren kraftvollen Aktionen am Chinese Pole (Mast), mit ihren akrobatischen Tänzen (Acrodance) und der Hut-Jonglage eigene Erfahrungen verkörpern.

„Kol Saber!“ ist ein Wortspiel und kann „Iss die Kaktusfeige!“, aber auch „Iss geduldig!“ bedeuten. Wer einmal eine solche Frucht in den Händen hatte, weiß, wie schwer es ist, an ihren köstlichen Inhalt zu gelangen. Die Inszenierung von Shadi Zmorrod ist ein starkes hoffnungsvolles Zeichen auf dem Weg dahin. Astrid Priebs-Tröger

Astrid Priebs-Tröger

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