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Kultur: Alles für das Volk

„Der nackte Kaiser“ von Gerd Knappe hatte am Hans Otto Theater Premiere

Man sieht, was man weiß, aber manchmal weiß man auch nicht, was man sieht. Bis auf ein kleines Kind ließen sich Volk und Regierung in Hans Christian Andersens Märchen „Des Kaisers neue Kleider“ bekanntlich von zwei Betrügern täuschen, indem sie der Hoheit vorgaukelten, was gar nicht da war.

Sind Wibke und Manne nicht auch solche Nepper? Sie verkörpern in Gerd Knappes Adaption „Der nackte Kaiser“ Weber und Schneider, welche genau dasselbe tun wie die zwei bösen Wichte bei Andersen. Am Sonntagvormittag wurde sein Stück im Jungen Theater des HOT in einer Inszenierung von Andreas Steudtner uraufgeführt. Spaß im Foyer vorab. Wäre es nicht eine Inszenierung für Kinder, wollte man das Vorspiel unter „Populismus“ abhaken: das Publikum wurde zur Kaiserwahl aufgefordert: Der strahlende Kandidat versprach billigere Kartoffeln und mehr Spaß, der düstere Andere das Gegenteil. Klar, wer da gewann.

Überhaupt war dies ein sonderbarer Vormittag. Aus unbekannten Gründen fanden sich die Besucher am Boden eines Schwimmbassins wieder, indes der Kaiser, von Anfang an diskreditiert, oben am Rand in seiner Eitelkeit thronte. Dreimal musste das Publikum die Plätze tauschen, damit die Vorstellung funktionierte. Der Wege waren im Raumkonzept von Matthias Schaller ohnehin reichlich. Nicht zuletzt erinnerten Knappes Dramatisierung und die szenische Einrichtung an jene Zeiten, als man die „geschichtsbildende“ Kraft der Untertanen als „Volkstheater“ auch im Märchen entdeckte. „Wir lassen uns nicht veräppeln“, stand auf einem Demo-Schild des vermeintlichen Souveräns. Es tümelte also mächtig. Ohne jede Gefährdung, dafür beständig grinsend, können Janin Stenzel (Wibke) und Sebastian Brandes (Manne) dem Kaiser (Florens Schmidt, sehr beweglich) ein X für ein U vormachen. Sie erreichen es sogar, dass der Oberste bloßgestellt abdankt – ein klarer Sieg für die Demokratie: Originaltext: „Wir brauchen keinen Kaiser!“, was hier wohl zu lernen war. Ein Tendenzstück also aus zeitnahen Gründen, gleichwohl „Tendenz“ der Bühnenwahrheit stets zuwider ist.

Exzellente Spielfreude in Barockkostümen, Publikumsnähe, Einfallsreichtum, schöne Details und optische Opulenz bedienten das Spiel zwischen der kaiserlichen Partei – neben dem Chef auch ein ernstzunehmender Beamter mit Beförderungsträumen (Max Kuhlmann) und dessen Widerpart, einer genauso glaubhaft agierenden Ministerin (Alina Levshin) – und dem Publikums-„Volk“ als zu wenig betonte Gegenseite der Dramaturgie. Der Anfang dieser farbenprächtigen Arbeit war viel zu lang und zu unergiebig, dann wurde in zügigem Tempo gespielt. Die Dinge nahmen ihren Lauf, Höfling und die bekrönte Ministerin loben den unsichtbaren Stoff, dann präsentiert sich der Kaiser dem Volk. Andersen hat ihn diesen harten Weg durchhalten lassen, bei Knappe aber geht er, wie Wilhelm II., davon. Die Schlüsselszene, das Öffnen des unschuldig-kindlichen Mundes, war etwas klein geraten. Wer bis dahin trotzdem etwas sah, hielt sorglich die Klappe, so gegenwärtig war das ja auch gemeint.

Musik gab''s, Späße, Lachen bei dieser kleinen Theater-Revolte im HOT. „Volk sein“ muss eben schön sein. Die Kinder tat das alles nicht stören, sie folgten dem Spiel der Erwachsenen, nicht wissend, dass kein Volk einen Kaiser wählt. Man sieht eben nur, was man weiß. Eine Gemeinschaftsarbeit mit der Hochschule für Film und fernsehen Babelsberg und drei Leuten von der FSJ Kultur (Freiwilliges Soziales Jahr). So, ganz im Geiste von heute.

Gerold Paul

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