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Kultur: Alles fließt

Vielschichtig und temporeich: „Oxymoron“ mit „Revolte“ bei den 18. Tanztagen

Nachdem der Sonntagnachmittag ganz im Zeichen eines vielfarbigen Familienfestes stand, drängten am frühen Abend vor allem jugendliche Zuschauer in die Vorstellung der Potsdamer Compagnie „Oxymoron“. Fast eine halbe Stunde später konnte diese endlich beginnen, nachdem die Ordner in den kornblumenblauen T-Shirts die letzten freien Plätze in der fabrik ausfindig gemacht hatten. Zur Aufführung gelangte „Revolte“, die neueste und vierte Produktion des diesmal siebenköpfigen Ensembles unter der Regie der Choreografin Anja Kozik.

Sechs Tänzerinnen und Tänzer und ein Schauspieler treffen aufeinander und beginnen ein faszinierendes Spiel. Wer ist Frau, wer ist Mann? Was ist weiblich, was männlich? Und: Wie durchlässig sind die vorgegebenen Geschlechterrollen? Um es gleich vorab zu sagen: In den tänzerischen Begegnungen, vor allem zweier männlicher Protagonisten, lösen sie sich nahezu vollständig auf. Wenn der farbige Tänzer Eugene Boating und Dennis Dietrich wie in einem Pas des deux aufeinander treffen, dann zerfließen die festgefügten Stereotype. Männlichkeit ist hier wie selbstverständlich gepaart mit Aufmerksamkeit, Empfindsamkeit und sogar Schwäche. Man kann sich fallenlassen und loslassen, kann nachgiebig sein, ohne zu unterliegen. Es ist einfach nicht mehr bedeutsam, wer oder was hier die Oberhand behält. Im selben Moment werden die Parts getauscht und auch der Partner, vom Phänotyp ein junger beinahe androgyner Mann, zeigt seine weichen empfindsamen Seiten. Das alles geschieht überaus fließend, ist ungemein spannend und ziemlich erotisch.

Oxymoron wäre nicht Oxymoron, wenn die Gruppe die spannende Versuchsanordnung nicht auf andere Bereiche als den Tanz ausweiten würde. Der Schauspieler Hannes Wegener ist diesmal zu der experimentierfreudigen Truppe gestoßen und bringt neben seiner sehr körperlichen und deutlich männlichen Präsenz – allerdings die ganze Zeit im Wickelkleid, mit Haarband und Klunkerkette – ein weiteres Spannungsmoment in die vielschichtige und temporeiche Aufführung. Seine gesprochenen Texte unter anderem über die Liebesbeziehung zu einer gewissen Henrike bringen weitere Irritationen. Die setzen sich fort, als außerdem eine Videopräsentation (Benjamin Streitz) mit den Porträts der Tänzer eingespielt wird. Hier werden die gezeigten Konterfeis jeweils mit ausgetauschten Bestandteilen der Gesichter der anderen Beteiligten permanent verändert. Sprachgewirr und Tänzer, die sich wie Marionetten bewegen, bringen weitere Reibung. Die neu zusammengesetzten Identitäten „konsumieren“ sich nicht so leicht wie die Körpersprache des Tanzes und rufen beim Betrachter viel eher „Widerspruch“ hervor.

Genreüberschreitend ist auch immer der Umgang mit verschiedenen Tanz- und Musikstilen in Anja Koziks Arbeiten. Elemente aus Ballett, Modern-, Break- und Street Dance fließen nahezu nahtlos ineinander und werden auf einem vielstimmigen Musikteppich (Christoph Kozik) präsentiert. Besonders beeindruckend in der Szene, als zwei klassische Ballerinen, Agnes Wradzilo und Joy Christine Alpuerto Ritter, auf einem jetzt asiatisch anmutenden Klangteppich, der mit Gongs und romantischen Streichern „zerstört“ wird, ihr „Duell“ austragen.

Witz und Ironie sind weitere wesentliche Zutaten der umjubelten Aufführung, wie eine gelungene Romeo-und-Julia-Parodie und die verrückte „Reise nach Jerusalem“ zeigten. Das junge Ensemble, zu dem noch Timo Draheim und Andy Arndt gehören, stand im Anschluss noch bereitwillig Rede und Antwort und wurde vom Potsdamer Publikum mit viel herzlichem Beifall bedacht.

Nächste Vorführungen am 27. und 28., jeweils 20 Uhr, sowie am 29. Juni um 16 Uhr in der fabrik.

Astrid Priebs-Tröger

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