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Kultur: Alles aus

Jörg Schlinke zeigt im Waschhaus zum ersten Mal Videoarbeiten. Das Motto: Liebe oder gar nichts

Kunst hat ihren Preis. Aber sicher hätte Jörg Schlinke dem Huhn auch den Kopf abgeschlagen, wenn er die blutige Prozedur nicht gefilmt hätte. Der Künstler macht das öfter, Hühnerschlachten, sagt er. Er hält Hühner, er isst Hühner. Also muss er sie auch schlachten. Nur das mit dem Filmen ist neu. Und dann hat er noch einen drauf gesetzt auf die Bilder. Hat eine singende, im schnellen Rhythmus hechelnde Frauenstimme drunter gelegt. Dramatische Bilder, dramatische Klänge. Wer in diesen Tagen im Waschhaus auf dem Stuhl vor dem Tisch mit dem Fernseher Platz nimmt, den Kopfhörer aufsetzt und Play drückt, bekommt das Leben präsentiert. Schonungslos, rückwärts gespult. Schwarz gemalt.

Es ist die erste Videoausstellung des Potsdamer Künstlers, bisher hat Schlinke eher Skulpturen geschaffen und Installationen. Er hat Kühe auf den Platz der Einheit grasen lassen, bei Dreilinden eine Panzersperre aus Betonbuchstaben „Hier“ aufgestellt und vor dem Berliner Prater 2000 Nelken zu einem poetischen Bild aufgebaut, Schlinke war Gärtner, bevor er an der Kunsthochschule in Berlin-Weißensee studierte.

Seine aktuelle Ausstellung nun hat er mit „Komm Komm“ überschrieben. Dabei will er wohl lieber weit weg stoßen, was ihm nahe kommt. Mit Hühner, Käfern, Ameisen, Bildern von sich selbst. Er zeigt „Beziehungssachen“, sagt er. Dann ist ihm das Wort zu lapidar. Er formuliert neu: „Es geht um Liebe, Trennung, Vergänglichkeit“. Denn das macht er gerade durch. Trennung nach neun Jahren. Das wühlt ihn auf. Da muss was raus.

Die Ausstellung beginnt harmlos sanft, auf den ersten Blick. Mit der Geschichte zweier brennender Kerzen, die Flamme der Dochte formen eine Fläche, ein Herz, das langsam, Tropfen für Tropfen, auseinander fällt. Aus eins wird zwei. Eine Kerze rutscht in den Abgrund, die andere wackelt einsam auf ihrem Halter. Das ist das Ende, so ist das Leben. „Dazu muss man wohl nichts mehr sagen“, sagt Schlinke. Die Musik, elektronisch, tröpfelnd, windiges Rauschen, komponiert von Seidemann, auch ein Potsdamer. Schlinke denkt an Schmerz, Trauer, Verlust. Dabei könnte man den Film auch ganz anders sehen. Meditativ, entspannt. Als langsam verrinnenden Lebensfluss, als schöne, sanfte Vergänglichkeit. „Vielleicht bei dieser Musik“, sagt der Künstler. Am Nachbarfernseher aber, da wird zu den selben Bildern eine melancholische Frauenstimme gespielt. „Herzzerreißend“, sagt er, „wenn die verschmolzenen Kerzen auseinander brechen, der letzte verbindende Faden reißt.

Viel Fantasie zeigt Schlinke in seinen Arbeiten, die einfach strukturiert sind und gerade dadurch wirken. Von Ameisen lässt er das Wort Love schreiben und sich wieder auflösen. Die Buchstabentiere mussten allerdings wie das Huhn für sein Kunstwerk dran glauben. Sie sind tot. Besonders schön auch der Tanz der zwei Käfer vor dem Wolkenhimmel. Sie berühren sich leicht, kommen einander näher, überdecken sich. Ein schönes, auch zärtliches Spiel, könnte man denken. Wenn man nie erfahren würde, wie der Film entstanden ist. Dass Schlinke einen hilflos auf dem Rücken zappelnden Käfer auf einen Spiegel gesetzt hat.

Es sind nicht nur die Bilder, die Schlinke beschäftigen. Ihn interessiert ihr Zusammenspiel mit der Musik, mit dem Klang oder der Stille, die seine Filme untermalt. Verstärkt dramatische Musik die Bilder, oder werden sie konterkariert? Welche Musik hören die Betrachter zu Bildern ohne Ton? Zwar hat er seine Videoarbeiten künstlerisch abgeschlossen, aber sein Tellerrand ist ihm nicht weit genug. Er kann sich gut vorstellen, dass seine Bilder künstlerisch neu verarbeitet werden. Von Musikern, denen andere Klänge dazu einfallen. Von Schauspielern und Tänzern, die sich durch sie inspirieren lassen. In diesem Sinne soll die Schau Kontaktbörse sein.

Schlinke dreht in seinen Arbeiten sein Inneres nach außen. Ohne sie aber zum reinen Selbstzweck werden zu lassen. Sie bleiben allgemein gültig, auch für andere. Seine Beziehungssachen sind spannend, lustig, ironisch. Das kommt auch auf den Betrachter an. Am Schluss ist er es, der bestimmt, was er sieht, sagt Schlinke. Denn der Betrachter bezieht die Bilder auf sich, fühlt aus seiner Perspektive mit den Ameisen, den Schlinkes. Oder auch dem Huhn auf der Schlachtbank. Marion Hartig

bis 16. Dezember, Montag bis Freitag 16 bis 20 Uhr, Sonntag 14 bis 20 Uhr.

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