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Raumgreifende Bewegungen. Laura Heineckes Tanz ensteht in der Begegnung mit Malerei und Musik.

© fabrik/Bernd Gurlt

"Allegoría“ in der Potsdamer fabrik: Wenn der Funke überspringt

In Laura Heineckes neuer Performance „Allegoría“ treten Tanz, Malerei und Musik in einen Trialog. Eine gelungene Premiere in der fabrik.

Potsdam - Zahlreiche Gläser mit verschiedenen Farben sowie Flaschen mit gefärbtem Wasser stehen am vorderen Bühnenrand. Neben unterschiedlich breiten Pinseln befindet sich dort auch eine Glasschale mit Hühnereiern, von denen die Berliner Malerin Franziska Loewe einige sorgfältig in ihre Bestandteile trennt. Vis á vis dehnt, lockert und streckt sich die Potsdamer Tänzerin Laura Heinecke ausgiebig, kurz bevor ihre gemeinsame Performance „Allegoría – Moment in Farbe und Haut“ beginnt. Es ist Donnerstagabend und Premierenzeit in der fabrik.

Als erstes stellen die beiden Künstlerinnen einen hohen Metallständer, der mit einer Plexiglasscheibe bestückt ist, gemeinsam auf den gänzlich mit Packpapier beklebten Bühnenboden. Von beiden Seiten spiegeln sie sich darin, doch jede sichtbar mit ihrer eigenen Intention. Während die Tänzerin sich groß macht, tut ihr Gegenüber das Gegenteil. Wenig später posiert Laura Heinecke vor der transparenten Projektionsfläche und die Malerin beginnt mit farbigen Permanentstiften blitzschnell ihre Umrisse zu scribbeln. Wenig später kehrt sich dies um, die Tänzerin schlüpft in die rasch hingeworfenen Figuren.

Nicht nur beim Dialog von Tanz und Malerei

Nicht erst hier beginnt mit leichter Hand der gemeinsame schöpferische Prozess, der eine intensive Stunde lang andauern wird und sich in verschiedenen Tanzsequenzen und einem etwa zwei mal fünf Meter großen Bild niederschlagen wird. Doch es bleibt in „Allegoría“ nicht nur beim Dialog von Tanz und Malerei, sondern eine dritte Frau, die Sängerin und Komponistin Joanna Waluszko ist von Anfang an mit Minimalmusic – einer Collage aus Probengeräuschen – und am Ende auch mit ihrer eigenen Stimme am Trialog beteiligt.

So entsteht eine bewegende Performance aus darstellender und bildender Kunst, die als Liveact das Publikum in Echtzeit an einem mehrdimensionalen Kreationsprozess teilhaben lässt. Anfangs ist augenscheinlich die Tänzerin die treibende Kraft. Sie setzt immer wieder kraftvoll-abrupte Posen in den Bühnenraum, während die Malerin vor allem die Energie ihrer Bewegungen aufnimmt und wenig später das erste Mal allein vor die riesige weiße Papierwand im Hintergrund tritt, und, von der Energie der Tänzerin beeinflusst, ihre ersten raumgreifenden Linien darauf wirft. Synästhetisch, in Blautönen, mit wässriger Acrylfarbe. Und mit raumgreifenden Bewegungen, die selbst an modernen Tanz erinnern.

Die erste künstlerische Begegnung zwischen Franziska Loewe und Laura Heinecke fand vor sieben Jahren statt. Beide konnten in einem neuen, völlig leeren Café in den Dialog treten, und während die Malerin die großformatigen Wände gestaltete, entwickelte die Tänzerin eine Tanz-Performance zum Thema der Bilder. In „AllegorÌa“ gehen sie einen Schritt weiter. Beide sind am jeweiligen kreativen Prozess der anderen unmittelbar beteiligt und beeinflussen sich gegenseitig.

Energischer Pinselstrich

Das wird besonders gut sichtbar, als die Malerin ihre weiße Riesenwand bereits mit einer Vielzahl von blauen, schwarzen, weinroten, braunen abstrakten Figuren und Linien gefüllt hat. Sie tritt von ihrem Werk zurück und man spürt, dass hier noch Freiräume beziehungsweise Leerstellen vorhanden sind. Doch anstatt sich der Gestaltung dieser Freiräume zu widmen, wird der inzwischen nackte Körper der Tänzerin zu einer weiteren Projektionsfläche. Mit breitem, energischem Pinselstrich verteilt Franziska Loewe darauf eine grüngraue Paste, schwarze fluide Linien folgen.

Das geschieht im flüchtigen Impuls, denn die Tänzerin hält nicht still wie die Leinwand, sondern verfolgt gleichzeitig ihren eigenen Bewegungsprozess. In dem sie schließlich vor dem „unfertigen“ abstrakten Gemälde landet und mit traumwandlerischer Sicherheit die „Leerstellen“ darauf mit ihrem Körper und ihrer Energie auflädt. Dies gibt wiederum der Malerin einen erneuten Impuls. Sie greift jetzt zu helleren Blau- und knalligen Rottönen und vollendet wie im Rausch ihr Werk.

Starker Schwesternschaft

Man fühlt sich bei diesem Vorgang erinnert an Heinrich von Kleists Aufsatz „Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden“. Denn obwohl beide Künstlerinnen eine unterschiedliche Sprache sprechen, ermöglicht ihnen ihre energetische Kommunikation mit ihren letztlich unterschiedlichen Kunstformen trotzdem in einen gemeinsamen Flow zu kommen. Sie sind darin nicht Konkurrentinnen, sondern schätzen den jeweiligen Impuls der anderen. Insofern schafft ihre achtsame und fokussierte Performance einen utopischen Raum, der vorbildhaft auch in andere gesellschaftliche Bereiche wirken könnte.

Ganz am Ende stehen beide Frauen ungemein präsent und kraftvoll nebeneinander in einem beleuchteten Fenster, das aus dem gerade entstandenen Bild herausgeschnitten wurde. Und die wunderbar innige Stimme Joanna Waluszkos kündet von autonomer Weiblichkeit und starker Schwesternschaft.

>>Weitere Aufführungen am Sonntag, 22. September um 11 Uhr in der fabrik in der Schiffbauergasse

Astrid Priebs-Tröger

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