zum Hauptinhalt

Alexej Gerassimez und Percussion im Nikolaisaal: Paukenschläge

In der Geschichte der klassischen Musik spielten die Schlaginstrumente immer nur eine untergeordnete Rolle: Das europäische Ohr wollte sich auf Melodien einlassen, da war für Krach aus Pauken und Becken nicht viel Platz. Fast ein Affront also, dass Joseph Haydn eine Symphonie mit dem Paukenschlag schrieb – als hätte er dem viel später entstandenen Jazz schon vorgegriffen.

In der Geschichte der klassischen Musik spielten die Schlaginstrumente immer nur eine untergeordnete Rolle: Das europäische Ohr wollte sich auf Melodien einlassen, da war für Krach aus Pauken und Becken nicht viel Platz. Fast ein Affront also, dass Joseph Haydn eine Symphonie mit dem Paukenschlag schrieb – als hätte er dem viel später entstandenen Jazz schon vorgegriffen. Nein, das wilde Trommeln war wohl eher dem afrikanischen Kontinent vorbehalten; allenfalls noch dem brasilianischen Samba, der sich im 19. Jahrhundert in Brasilien entwickelte, natürlich aus afrikanischen Wurzeln.

Alexej Gerassimez, der am Freitagabend in der Reihe „Stars International“ mit seiner „Percussion Group“ im Nikolaisaal ein bejubeltes Konzert gab, ist definitiv eher Samba als Haydn. Der 1987 geborene Ausnahmekünstler – gebürtiger Essener und jetzt in Berlin heimisch geworden – ist nicht nur ein begnadeter Schlagzeuger und Marimba-Spieler, sondern macht sich auch als Komponist einen Namen. Das sind reichlich verrückte Sachen: Mit „Asventuras“, das er gleich zur Eröffnung spielte, hat er ein Solostück nur für Snaredrum geschrieben – minimaler Aufwand für maximalen Effekt. Man glaubt ja kaum, was aus dieser kleinen Trommel herausgeholt werden kann. Oder mit „Echtonan“, ein Stück für zwei Marimbas, die wahnsinnig gegeneinander anspielen, hektisch sprudelnd, einlullend, zugleich verstörend. Und es sollte noch wahnsinniger werden: Nämlich mit der „Screw Symphony“, bei der vier Schiffsschrauben oben und unten im Nikolaisaal verteilt wurden – eine Idee, die ihm bei einem Besuch der Mecklenburger Metallguss GmbH in Waren kam. Die Schiffsschrauben im Nikolaisaal waren freilich Miniaturausgaben, an der Müritz seien die so groß wie Einfamilienhäuser gewesen.

Nun ist Gerassimez nicht der Erste, der mit Percussion komponiert – das hat vor ihm etwa Iannis Xenakis schon gemacht: ein Architekt, der als Erfinder der „Stochastischen Musik“ gilt, indem er musikalische und mathematische Gesetzmäßigkeiten miteinander verknüpfte. Klar, dass Gerassimez zusammen mit Richard Putz und Julius Heise dessen Stück „Okho“ an drei Schlagzeugen performt. Wie das klingt? Sagen wir so: Ein Hörgenuss für ein Mathematikerhirn vielleicht, die verwöhnten europäischen Ohren ballten sich dagegen zu Fäusten – auch wenn sich der eine oder andere Spannungsbogen aus diesem Stakkato herausschälte. Aber Spaß machte es schon, den drei Endzwanzigern zuzusehen, wie sie gegen dieses mathematische Getöse ankämpften.

Wie entspannend dagegen das harfenzarte „Carousel“ von David Friedman, ein Solostück für Marimba und Vibraphone. Zum Ende noch „Rotos“, alle vier Schlagzeuger – Gerassimez, Putz, Heise und Sergey Mikhaylenko - auf der Bühne, das nervöse Ticken eines Weckers, in das sich Drum’n’Bass-Rhythmen einschlichen, alles gipfelte schließlich in einem gewaltigen Samba-Ausbruch. Das Publikum riss es von den Sitzen: Ganze zwei Zugaben mussten die vier Schlagzeuger noch geben. Oliver Dietrich

Oliver Dietrich

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false