zum Hauptinhalt
Liebloser. Frauenverlasser, Muttersöhnchen. HOT-Ensemblemitglied Alexander Finkenwirth bringt seinen „Peer Gynt“ auf den Punkt: lebenshungrig und tierisch.

© HL Böhme

Alexander Nerlichs „Peer Gynt" am Hans Otto Theater: Glück, das wendige Luder

Ein düsterer Ritt durchs Fegefeuer – der nur halb begeistert

Peer Gynt ist einer der großen Unbekannten unter den Bekannten. Sein Name, der Stücktitel des Norwegers Henrik Ibsen, ist allseits geläufig. Aber wer ist das noch mal? Ein Tagträumer, Taugenichts. Lügner, Verliebter, Liebloser. Frauenverlasser, Muttersöhnchen. Weltenreisender, Wiederkehrer. Faust-Bruder? Die Liste könnte länger sein.

Der norwegische Held Peer Gynt vereint viele Facetten, und jede hat ihr Gegenüber. Kein Zufall also, dass die Potsdamer Inszenierung von „Peer Gynt“ dem Regisseur Alexander Nerlich anvertraut wurde. Bereits in seinem „Urfaust“ von 2014 hatte er sich als Experte des Doppelgängertums ausgewiesen. Damals war Mephisto als düsteres Spiegelbild von Faust zu sehen, beide untrennbar ineinander verschlungen. Sie küssten und bekämpften sich, und konnten ohne einander nicht sein. Das war lustvoll, schmerzlich anzusehen, als Inszenierung im ersten Teil ungemein konzentriert, darstellerisch stark, verlor aber im zweiten an Kraft. Ein Schicksal, das er mit diesem „Peer Gynt“ teilt. Aber hübsch der Reihe nach.

Alexander Nerlich hat auch im „Peer Gynt“ das Doppelgängermotiv herausgeschält und stellt es seiner Inszenierung voran. Er lässt den Abend mit einer Szene aus dem fünften Akt beginnen. Peer Gynt hat die ganze Welt bereist und steht nun, kurz vorm Ende, auf einem Schiffsdeck einem ungleichen Zwilling gegenüber. Bei Nerlich beide mit blondem Haarschopf, in schwarzen Regenjacken, mit nackten Beinen. Der eine jung (Alexander Finkenwirth), der andere alt (Bernd Geiling). „Sie glauben wohl, Ihr Leben endet nie!“, ruft der eine dem andern höhnisch zu. Doch, das glaubte der eben noch. Aber Nerlich zeigt mit diesem Auftakt, wohin die Reise geht. Die Geschichte Peer Gynts verschiebt er so in ein Zwischenreich zwischen Traum und Wirklichkeit, Leben und Tod. Eine Art schwarzes Fegefeuer, ohne Flammen: In der Holzbühne von Wolfgang Menardi ist es düster und feucht, ein schmaler Wasserstreifen trennt Bühne und Saal. Die Rettungsboote in der Bühnenmitte liegen auf dem Trockenen.

Zunächst jedoch ein Rückblick: Aufritt Mutter Aase. Rita Feldmeier gibt Peer Gynts Mutter als Prekariatsgestalt in doppelter Trainingsjacke, mit zotteligem Haar. Sie macht das großartig. Rügt und kost ihren geliebten Peer im Wechsel, gibt sich seinen Spinnereien verzaubert hin und schilt ihn im nächsten Moment. Ist rüde und zart, verbittert und kindlich: Peers Mutter, kein Zweifel. Als es für die alte Frau ans Sterben geht, lügt Peer ihr einen schönen Tod herbei: eine Kutschfahrt bis an Petrus’ Himmelspforte. Einen zarteren, rührenden Bühnentod hat man selten gesehen. Dann holt Peer sich einen Kuss von ihren toten Lippen und lässt sie einfach liegen. Tränen hat das Muttersöhnchen nicht. Es muss weiter. Will doch Kaiser werden. Auch die in Norwegerpullovern versinkende Lichtgestalt Solveig (Franziska Melzer), die für Peer die Eltern verließ, lässt er sitzen.

Bis zur Pause wird Peer von Alexander Finkenwirth gespielt, der jungen, lebenshungrigen Variante des Gynt. Die Rolle ist ein Geschenk an Alexander Finkenwirth und Alexander Finkenwirth ein Geschenk für die Rolle.

Die zeitgenössischen, flinken, rauen Verse aus der großartigen Übersetzung von Angelika Gundlach scheint er aus dem Ärmel zu schütteln, leichtfüßig und präzise. So wie er sich überhaupt behände über die Bühne bewegt, mal in vorsichtigen Fluchtbewegungen, mal in drängendem Potenzgehabe, immer am Rande zum Tierischen, irgendwas zwischen Fuchs, Wolfskind und Feldhase. Schlau, wendig, gefräßig. Immer dem Instinkt nach. Wenn ihm einer einen Ochsen anbietet, dann nimmt er ihn. Und wenn er für den Ochsen die Braut eines anderen erobern soll, dann nimmt er die auch. Nur zur Frau nimmt er sie nicht, und dafür wird er vom Dorf geächtet.

So einer kann auch Trollen begegnen, ohne dass es groß verwundert. Ausstatter Wolfgang Menardi hat die Trolle als schlammig-schwarze Erdwesen kostümiert, Nerlichs szenische Fantasie lässt sie zu vielhändigen Krabbeltieren werden. Peer wäre so gerne der Trolle-König! Aber das Augenlicht will er dafür dann doch nicht hergeben. Das treibt Peer Gynt in die weite Welt.

Nach der Pause geht es dort weiter, in der großen Welt. Im Orient. Hier hat Peer Gynt das große Geld gemacht. Auf der Bühne überm Schwarz güldene Folien. Aber statt größer wird Gynts Welt hier gedanklich erstaunlich klein. Der Regie scheint wenig einzufallen zum Weltmann Peer Gynt, fast wirkt der zweite Teil wie reine Pflichterfüllung. Gespielt wird Peer nun von Bernd Geiling, in dandyhaftem, grünem Samtanzug. Ein Oskar Wilde in Blond. Gelenkig, gierig, aber eben auch eindimensional. Frauen verführt er nicht, er kauft sie, pikanter Weise eine zunächst verschleierte Dame (gespielt wie die anderen eroberten Frauen von der wandelbaren Denia Nironen). Seine Wegbegleiter in dieser Welt sind von Kapitalgeilheit plakativ verzerrte, sonnenverbrannte Witzfiguren (Michael Schrodt, Eddie Irle, Philipp Mauritz). Peer macht mit („Ich bin ein geiler Hahn“). Die dramatische Szene, in der Peer Gynt sich endgültig von jeder Mitmenschlichkeit lossagt und einen anderen ertrinken lässt, um sich selbst zu retten, bleibt spannungslos.

Dieser zweite Teil enttäuscht. Aber wie sagt Peer einmal? „Das Glück ist etwas, das sich wendet.“ So scheint das auch mit Inszenierungen von Alexander Nerlich zu sein: Dass man beglückt in die Pause ging, muss eben nicht bedeuten, dass man so am Ende des Abends auch nach Hause geht. Liegt darin dann nicht schon wieder etwas Lebenskluges, das man glatt als Peer-Gynt-Lektion durchgehen lassen könnte? Wenn ein paar Momente nur gut genug waren, dann lohnt sich das große Ganze allemal. Dann kann das Boot am Ende getrost übersetzen. Lena Schneider

„Peer Gynt“ ist im Hans Otto Theater wieder zu sehen am Freitag, 29. April, Samstag, 7. Mai, Mittwoch, 18. Mai, und Sonntag, 29. Mai, sowie am Freitag, 3. Juni, jeweils um 19.30 Uhr.

Zur Startseite