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Schlussakkord. Am Sonntagabend klangen die Musikfestspiele Potsdam-Sanssouci aus. Sie befragten auch den Mythos „Europa“, wie er auf dem Bild „Der Raub der Europa“ nach Guido Reni um 1630 seinen Niederschlag fand (Bildergalerie Sanssouci).

© Roland Handrick

Abschluss Musikfestspiele Potsdam: Musikalische Grenzüberschreitungen

Abschluss der Musikfestspiele Potsdam: Les Musiciens de Saint-Juliens begeisterte mit grenzenloser Tanzlust, im Nikolaisaal war Barockgesang vom Feinsten zu hören und in den Neuen Kammern höchste Cembalokunst. Die Bilanz des Festivals fiel positiv aus.

Tanzmusik des Barock im Ovidsaal

An der großen Bandbreite von Tanzmusiken der Barockzeit konnten sich am Freitagabend die Besucher im Ovidsaal in den Neuen Kammern erfreuen. Das in Potsdam nicht unbekannte französische Ensemble Les Musiciens de Saint-Juliens unter der Leitung von Francois Lazarevitch ist prädestiniert dafür, die „grenzenlose Tanzlust des Barock“ hörbar und auch sichtbar zu machen. Dafür haben sie Komponisten aus England, Schottland, Frankreich, Italien, Spanien, Ungarn und Deutschland – wichtige Vertreter ihrer Zeit – ausgewählt , deren Musik exemplarisch für eine bestimmte Form der Auseinandersetzung mit Tanzmusik im 17. und frühen 18.Jahrhundert ist.

Deren Eigenheiten konnte man gut miteinander vergleichen, Unterschiede heraushören, Gemeinsamkeiten feststellen und sich an den Tanzformen wie Gigue, Bourrée, Musette erfreuen. Dabei meint Tanzmusik nicht Tanzmusik im strikten Sinne, sondern umfasst auch Musik, die von Tänzen inspiriert ist, wie die aufgeführte Triosonate in b-Moll von Georg Philipp Telemann.

Les Musiciens de Saint-Julien hatte Tanzmusik im Gepäck, wie sie an adligen Höfen gespielt wurden, so von Jean-Baptiste Lully, André Campra, André Cardinal Destouches, Arcangelo Corelli. In England waren im 17. Jahrhundert die Country Dances sehr beliebt, Sie wurden eine typische Kultur der Hausmusik. In den bürgerlichen Familien konnte so gut wie jeder mindestens ein Instrument spielen. So traf man sich abwechselnd in den verschiedenen Häusern, um miteinander zu musizieren, zu tanzen und zu singen. Es waren aber keineswegs Volkstänze, sondern kunstvoll von meist französischen Tanzlehrern arrangierte Stücke zum Amüsement der gebildeten, meist städtischen Bewohner der Insel. Dass das Wort „English“ so prominent in den Notenbüchern verwendet wurde, ist wohl eine ironische Anspielung auf die Dominanz der Franzosen im Tanzgeschäft.

Die fünf französischen Musikerinnen und Musiker, die mit der Violine, der Block- und der Traversflöte, der Musette, der Viola da gamba, der Harfe sowie der Theorbe im Ovidsaal auftraten, wurden den Tanzmusik-Hörerwartungen über alle Maßen gerecht. Leicht, beschwingt, abwechslungsreich, farbenfroh und sorglos, höfisch festlich und auftrumpfend plebejisch ging es über die Bühne.

„Springen kann ein jeder, tanzen nur die Franzosen“, so meinten Beobachter der Tanzszene des 18. Jahrhunderts. Und jeder Zuschauer konnte sich in den Neuen Kammern ein Bild davon machen, ob Wahrheit in diesem Bonmot steckt. Das Ensemble brachte zwei Tänzerinnen mit, die der Tanzeslust eine optische Variante gaben. Die Französin Sarah Berreby und die Kanadierin Emily Flack zeigten mit ihren exzellenten Bewegungen in Sachen höfischem Tanz und Steptanz die kultivierte Eleganz beziehungsweise den derben und ungebremsten Springtanz. Es wurde klar, dass beide Künstlerinnen mit ansteckender Lebensfreude springen und tanzen können, sogar ausgezeichnet. Die begeisterten Besucher erlebten einen wunderbaren Abend, bei dem nur eines fehlte, die Aufforderung zum Tanz an die Gäste. Klaus Büstrin

„Primadonnen & Kastraten“ im Nikolaisaal

Als Frau Hasse hätte sie sicherlich keine Karriere zwischen London, Neapel und Dresden gemacht. Schon eher als Faustina Bordoni, ihrem Mädchennamen. Doch als vergötterter Faustina lagen ihr die Musikliebhaber aller Stände regelrecht zu Füßen. Sie brillierte in den Opern von Georg Friedrich Händel und Antonio Vivaldi, vor allem aber in denen ihres Gatten Johann Adolph Hasse. Ähnlich verhielt es sich mit jenem jungen Mann namens Carlo Broschi, der – nachdem man ihn seiner schönen Stimme wegen kastriert hatte – als Farinelli der berühmteste Sopranist aus der barocken Kastratengilde wurde.

Ihm ebenbürtig, allerdings in der Mezzosopranlage, war Francesco Bernardi, der als Senesino ebenfalls die Herzen der Zuhörer im Sturm eroberte. Er war auch berüchtigt für seine Starallüren, genauso wie die der Diven. Wenn die Faustina und Francesca Cuzzoni auf der Bühne standen, trugen sie ihre Rivalitäten oft ziemlich handgreiflich aus. Was die Komponisten beflügelte, sie mit noch virtuoseren Arien auszustatten. Ein Zickenkrieg der besonderen Art, der für Notenfülle sorgte. Von alledem konnte man beim Musikfestspiele-Arienabend „Primadonnen & Kastraten“ am Freitag im Nikolaisaal eine Menge erfahren.

Wobei die historischen Handgreiflichkeiten natürlich ausgespart blieben, da die in Fairbanks/Alaska geborene Mezzosopranistin Vivica Genaux und der im rumänischen Arad aufgewachsene Countertenor Valer Sabadus, mit seiner hohen Stimmlage für die Kastratenpartien zuständig, für ihre Arienvorträge getrennt auftraten. Die Händel-Hasse-Vivaldi-Zusammenstellung war in Viererblockbauweise überschaubar programmiert. Eingeleitet jeweils durch eine Ouvertüre, folgten je eine Arie für sie und ihn, schließlich die finalen Duette.

Für die leidenschaftsfundierten, affektbetonten Klänge sorgte die historisch informierte und auf Originalinstrumenten spielende Academia Montis Regalis unter Leitung des Cembalisten Allessandro De Marchi. Das in hoher Stimmung aufspielende Ensemble mit Streichern, drei Oboen, Fagott und Theorbe fand für die Ouvertüren zu „Giulio Cesare“ und „Alcina“ (Händel), „Cleofide“ (Hasse") und der Sinfonia aus „L’Olimpiade“ (Vivaldi) einen straffen und zügigen, von terrassendynamischen Abstufungen geprägten Zugriff. Selbst in den innigen Abschnitten kam nie Langeweile auf.

Mit der Weichheit und Kraft seiner Stimme, die er mühelos aus tiefster Tiefe bis in exorbitante Sopranhöhen zu führen verstand, ihrer koloraturengespickten und trillerperfekten Geläufigkeit, begeisterte Valer Sabadus vom ersten Ton an. Seine perfekte Technik und sein intensives Gestaltungsvermögen ließen ihn geschmeidig durch die gefühlvollen Gefilde von Klage und Trauer gleiten, von unbändiger Wut und Rache berichten. Ein singender Seelenerkunder!

Von des Schicksals Grausamkeiten und Liebestäuschungen kündete Vivica Genaux mit kehlkopfakrobatischem Furor ihres kraftvoll tönenden, doch wenig gefühlvollen und bisweilen sogar spröden klingenden Mezzosoprans. In den Duetten liefen sie beide zu großer Form auf. Riesenbeifall. Peter Buske

Höchste Cembalokunst wurde am Samstagabend in den Neuen Kammern geboten. Der Franzose Christophe Rousset und der Belgier Korneel Bernolet musizierten in einem Wandelkonzert in drei Festsälen abwechselnd auf vier Cembali Werke von drei Barockkomponisten. Von besonderem Interesse waren die zu Gehör gekommenen Instrumente: Rousset spielte zunächst mit scharf gekennzeichneten Konturen die Ouvertüre nach französischer Art BWV 831 von Johann Sebastian Bach auf einem deutschen Cembalo, einer Kopie des Dresdner Instrumentenbauers Johann Heinrich Gräbner. Während dieser Nachbau mit silbrigen und klar geschärften Höhen brilliert, klingt das franko-flämische Instrument insgesamt etwas eleganter und im Grundklang gedeckter. Das Vorbild dazu bot ein Cembalo von 1640 von dem berühmten Instrumentenbauer Andreas Rucker, der in Antwerpen lebte. Darauf musizierte Korneel Bernolet, der bei Rousset studierte und bereits ein sehr gefragter Cembalist ist, die Suite in G-Dur des heute weithin unbekannten flämischen Komponisten Joseph-Hector Fiocco. Das 1730 entstandene Werk illustriert französische und italienische Musikstile. Impulse von Bewegung und rhythmischer Prägnanz sind in das dichte Satzgeflecht eingewoben. Es verbreitet einen Rokoko-Zauber, ebenbürtig den glanzvollen Räumen der Neuen Kammern. Natürlich bedarf die Suite eines Interpreten, der ihren unwiderstehlichen Charme den Zuhörern nahezubringen vermag. Bernolet vermochte es in faszinierender Weise.

Nach der Pause musizierten Bernolet und Rousset gemeinsam auf zwei französischen Cembali von Nicholas Blanchet aus den Jahren 1733/37, die hier als Kopien präsentiert wurden. Harmonische Höhen und fast samtige tiefe Register zeichnen diese Instrumente aus. Sie wurden von den beiden Cembalisten mit Auszügen aus dem umfangreichen Werk des französischen Barockkomponisten Francois Couperin hörbar gemacht. Rousset und Bernolet verfügen neben einer makellosen Technik über eine Spielweise, mit der sie des Komponisten subtile Bilder ebenso hoheitsvoll wie feinfühlig wiedergaben, ebenso die reich verschlungene Ornamentik. Im Miteinander eines sensiblen Musizierens gewann der Abend an bewegender Größe. Es gab sehr herzlichen Beifall für die beiden Cembalisten. Klaus Büstrin

Am Sonntag gingen die Musikfestspiele dann mit einer Reihe von Konzerten, einer Opernaufführung, Salons und einer königlichen Tafel zu Ende – zum letzten Mal unter der künstlerischen Gesamtleitung von Andrea Palent. Insgesamt 16 Tage lang hat das Festival gemeinsam mit rund 490 Künstlern aus über 30 Ländern ein Spiel ohne Grenzen für ein harmonisches Europa gefeiert. Zu den 71 Veranstaltungen, Führungen und Vorträgen kamen knapp 14 800 Zuschauer.

Das Festival folgte in diesem Jahr thematisch den Grenzüberschreitungen, den Migrationsbewegungen und der Transkulturation, die Europa seit jeher auch musikalisch auszeichnen, und brachte die Besucher wortwörtlich in Potsdam einander näher. Die internationalen Festspielgäste genossen die verschiedenen historischen Orte von Potsdams Schlössern und Gärten, an denen Musik von hoher Qualität mit hervorragenden Interpreten zu erleben waren. Klaus Büstrin

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