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Kultur: Abschied nehmen

„Viel zu früh“ – Bewegende Ausstellung von Birgit Ginkel in der Sternkirche

„Viel zu früh“ – Bewegende Ausstellung von Birgit Ginkel in der Sternkirche Von Klaus Büstrin „Jeder Grabstein erzählt mir den Lebenslauf der einst Lebendigen. Man meint, alle diese Gestorbenen leben zu sehen; man sieht sie Einkäufe machen, kochen, waschen, schreiben, zur Bank gehen, in die Eisenbahn steigen, man sieht sie essen, ins Bett gehen ...“ (Robert Walser). Auf dem Grabstein von Willem steht nur eine Jahreszahl. 2002. Vier Monate alt ist der Junge geworden. Ein Lebensweg, der wahrlich nichts von diesen alltäglichen Erlebnissen und Ereignissen Walsers oder unsereinen weiß. Der allzu frühe Tod Willems hat dies verhindert. Der Gedenkstein ist von einem vielfarbigen Regenbogen durchzogen – Zeichen des Trostes und der Hoffnung. Die Mutter, Birgit Ginkel, hat die künstlerische Gestaltung des Steins selbst entworfen und in einer Berliner Bildhauerwerkstatt gehauen. Diese Arbeit gehört zu Birgit Ginkels Bewältigung, den Verlust, den Schmerz und die Leere zu ertragen. Die Beschäftigung mit der Kunst war und ist für sie von entscheidender Bedeutung. Sie hat es ermöglicht, dass sie über ihre Gedanken und Gefühle zum Tod ihres Kindes reden kann: „In Liebe habe ich es aufgenommen, in Liebe gebe ich es wieder ab.“ Sie macht es damit auch Freunden, Bekannten, denen es schwer fällt, Worte des Trostes zu formulieren, leichter, in eine weniger verkrampfte Kommunikation zu treten. Birgit Ginkel zeigt in diesen Tagen in der Sternkirche unter dem Titel „Viel zu früh“ Bilder vom Leben und Sterben ihres Sohnes, es sind gemalte Bilder in verschiedensten Techniken. Ihre Trauer, ihre Erinnerungen will sie nicht in den eigenen vier Wänden verbergen, sondern sie in die Öffentlichkeit tragn, andere Betroffene ermutigen, es ihr gleichzutun, jeder auf seine Weise. Maler, Musiker und Dichter haben in vergangenen Jahrhunderten immer wieder mit ihrer Kunst an ihre zu früh verstorbenen Kinder erinnert, beispielsweise Matthias Claudius und Gustav Mahler (Kindertotenlieder). Birgit Ginkel, die sich lange schon zur Kunst hingezogen fühlt, begann zu malen. Sie belegte Kurse bei den Künstlern Daound Salemn Anaud und Lothar Krone. Im vergangenen Jahr hat sie sich in der Freien Akademie für Kunst in Berlin einschreiben lassen. Den Willem malte sie auf seinem Krankenbett, in hellen und weichen Farben. Der große Stoffpuppenhase erzählt von der nicht erfüllten Sehnsucht, dass das Kind ihn eines Tages zu seinem Lieblingsspielzeug erklären wird. Eine Ahnung von den Empfindungen Birgit Ginkels gibt auch das Bild „Loslassen“. Mit großer Bewegung erlebt der Betrachter dann die vier abstrakten Arbeiten mit dem Titel „Auseinandersetzung mit Gefühlen“, weil man auf ihnen Bewegung erlebt. Tiefes Schwarz zunächst, kein Lichtstrahl kommt hindurch. Doch von Bild zu Bild wird das Dunkel von Farben der Hoffnung verdrängt. Hier sind der Malerin Bilder gelungen, die mit ihrer Symbolkraft zutiefst beeindrucken. Birgit Ginkel hat auch andere Betroffene gebeten, ihr Fotos von dem sterbenden oder toten Kind zu überlassen. Nach anfänglichem Zögern haben die Mütter und Väter ihr die Aufnahmen überlassen, in der Hoffnung, mit Hilfe der Kunst Trost zu finden. Das Verdrängen, so haben sie erfahren, ist ein wenig taugliches Mittel, den zu frühen Tod ihres Kindes zu überwinden. Und so hat die Potsdamer Malerin auch Luise und Philipp mit großer Warmherzigkeit aufs Bild gebannt. Nicht nur durch die Malerei und Bildhauerei konnte Birgit Ginkel wieder einen Regenbogen am Himmel erblicken, sondern auch durch Gespräche mit anderen Menschen, die Ähnliches erfahren haben. Pfarrerin Beate Grümmer von der Krankenhausseelsorge im Klinikum „Ernst von Bergmann“ lädt Betroffene zu Begegnungen in der Selbsthilfegruppe „Verwaiste Eltern“ (Tel: 0331/ 2414698) ein. Aber auch beim SEKIZ e.V. (Tel: 0331/8170606, Petra Sigel) kann man Hilfe erfahren. Ausstellung bis 20. 11. Mo, Mi 9-11 Uhr, Di, Do, Fr. 15- 18 Uhr sowie vor und nach den Gottesdiensten. Am 19. 11., 10 Uhr, wird in einem Gottesdienst der verstorbenen Kinder in der Sternkirche gedacht.

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