zum Hauptinhalt

Kultur: Abrechnung mit der Kirche

Der Pfarrer im Ruhestand Uwe Dittmer leidet an seiner Kirche. Deshalb hat er ein leidenschaftliches Buch geschrieben

„Ich habe keine Dogmatik geschrieben, wie der Schweizer Theologe Karl Barth, ich habe ein sehr subjektives Buch geschrieben über die Kirche, ihre Fehler und Schwächen, wie ich sie sehe“, erklärte Uwe Dittmer, Jahrgang 1934, Potsdamer Pfarrer im Ruhestand, bei der Vorstellung seines Buches „Kirche im Wandel?“ in der Potsdamer Stiftungsbuchhandlung. Wenn ein streitbarer ehemaliger Studenten- und Gemeindepfarrer über die Zukunft der Kirche öffentlich nachdenkt, zieht das zumindest Publikum aus den Kirchengemeinden an. Trotz eisiger Kälte kamen am Dienstag etwa 25 interessierte Laien und ein paar Pastoren.

Verantwortung für die „Entwicklung von Gottes schöner und für alles Leben geeigneten Welt übernehmen“ und nach Jesu Maxime „Ich bin für euch da“ mit einander leben – das ist der Weg, den die Christen im 21. Jahrhundert gehen müssen, sagt der Autor am Ende seiner Abrechnung mit der zweitausendjährigen Geschichte der Kirche und ihrer Gegenwart. Kaum eine gemeindliche Daseinsform, ein Lehrsatz, eine dogmatische Aussage findet Gnade vor seinem kritischen Blick. Die „Allmacht Gottes“ ist dem Autor suspekt, weil sie nicht nur die Initiative der Menschen hemme, sondern so in der Bibel gar nicht vorkomme und eine Zutat griechischer Philosophie sei. Auch die Begrifflichkeit bedarf der Korrektur: Das „Abendmahl“ sollte richtiger als „Herrenmahl“ benannt werden, wird es doch in der Regel vormittags ausgeteilt. Bei seinem minutiösen Rundumschlag zieht der Autor seine Erfahrungen mit der United Church of Christ in Nordamerika zum Vergleich heran, die er mehrfach und für längere Zeit besuchte. Deutlich wird dabei eine in rund 40 Dienstjahren erworbene Abneigung gegenüber allen Erscheinungsformen der „Amtskirche“. Anerkennung ernten die Bemühungen der Christen in der DDR, sich als „Zeugnis und Dienstgemeinschaft“ in einem atheistischen Staat zu behaupten.

Leider gibt es kein Personenregister. Dittmer verzichtet weithin darauf, Persönlichkeiten der Kirchen- und Profangeschichte zu erwähnen. Bis auf einige katholische Theologen und Vertreter der südamerikanischen Befreiungstheologie werden kaum Zeitgenossen genannt. Kurz leuchtet am Horizont Bonhoeffers „Kirche für andere“ auf. Der Autor vereinigt in seiner Person Zeitzeugenschaft, Zeitkritik und die Funktion eines Therapeuthen.

Pfarrer Stefan Michalsky hatte die Moderation des Abends übernommen und in einer längeren Einleitung die inhaltlichen Schwerpunkte des Buches dargelegt. Weil der Autor an seiner Kirche leide, habe er ein „leidenschaftliches Buch“ geschrieben. Es sei ein zutiefst biblisches Buch, weil der Autor die biblischen Aussagen daraufhin überprüft habe, wie weit sie in der Gegenwart hilfreich sein könnten. Offen bleibt an diesem Abend Dittmers Verhältnis zu den aktuellen landeskirchlichen Strukturen. Immerhin, so Michalsky, haben diese Strukturen ihm ein Leben in materieller Sicherheit und einen sorgenfreien Ruhestand gewährleistet. Er habe nicht über alles schreiben können, weicht Dittmer aus und wendet sich wieder der Diskussion über Gottes Allmacht zu.

Man müsse erst einmal das Buch lesen, sagen Gemeindeglieder. Wer sich wie Dittmer an „seiner Kirche“ ärgert, wird das Buch mit Zustimmung lesen. Ob „Außenstehende“, die der Autor für die Kirche zurück gewinnen will, durch die streckenweise komplizierte Lektüre dazu motiviert werden, ist zu mindestens ein Fragezeichen wert.Lutz Borgmann

Uwe Dittmer: Kirche im Wandel?, 240 Seiten, Lembeck Verlag 2005, 16 Euro

Lutz Borgmann

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false