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Kultur: Aberwitzig und bedeutungsoffen

Das Spiel von Licht und Schatten, Puppenterror und falsche Fährten zum Abschluss von Unidram

Es ist der Moment, in dem der Körper seine Grenzen erkennt und darüber hinaus geht. Kein Anfang und kein Ende mehr zu sehen ist. Es ist der Moment, in dem der menschliche Körper beginnt, seine Form zu verlieren, um zu einem anderen Wesen zu werden. Mit „Fractured“ von Andrea Miltnerová bereicherte am vergangenen Freitag eine Tanzperformance das Programm des Unidram-Theaterfestivals, die diese Metamorphosen des Körpers auf die Bühne zu bringen vermochte. Die Spannung und Erwartungen des Publikums waren in der zunächst völligen Dunkelheit beinahe greifbar. Kein Ton, kein Geflüster.

Von der Dunkelheit verborgen und dann in einem viereckigen Lichtkegel auf der Bühne langsam sichtbar werdend, steht ein menschlicher Körper. Andrea Miltnerová, nur mit einem hautfarbenen Body bekleidet, ließ viel von ihrem Körper sehen. Jede Sehne, jeder Muskel und jeder Knochen dargeboten, um auch nur die kleinste Veränderung für den Zuschauer sichtbar werden zu lassen. Die Beine weit auseinander gespreizt, den Kopf vornüber gebeugt.

Es ist der erste Moment, der dem Zuschauer die Möglichkeit gibt, die Grenzen ihres Körpers wahrzunehmen. Das Spiel von Licht und Schatten ließ mal mehr, mal weniger von ihrer Verwandlung sichtbar werden. Die zunächst nur abgehackten Bewegungen, die stark an die Beine eines Insektes erinnerten, gingen immer mehr in fließende Elemente über, die eine deutliche Ähnlichkeit mit dem Flügelschlagen eines Vogels aufwiesen.

Mit zunehmender Zeit ließ dies nicht nur den Körper der Tänzerin auf der Bühne immer mehr den Bezug zum eigenen Wesen verlieren, sondern entließ auch die Zuschauer nach der Vorstellung mit einem neuen Körpergefühl.Chantal Willers

Den Veranstaltern von Unidram gebührt ein ganz dickes Lob! Was sie da Jahr um Jahr in ganz Europa aufgabeln, einladen und dem Publikum festivalgerecht präsentieren, kann sich sehen lassen. Unidram ist längst zu einem europäischen Theaterfaktor geworden, um es leicht übertrieben zu formulieren!

Auch am Freitag wieder Neues, Anregendes: Der Auftritt des griechisch-deutschen Merlin Puppet Theatre musste aus Kapazitätsgründen vom fluxus+ ins T-Werk verlegt werden. Ihr Stück „Clowns’ Houses“ stellt dem Publikum fünf ihrer Bewohner vor, darunter einen geldgierigen Banker, eine Hausfrau und eine Selbstmörderin auf dem Dach, die ein ganz anderes Ende findet, als sie es wollte. Für das makabre, wenn auch nicht ganz neue Spiel wird eine Guckkastenbühne bemüht, Tischpuppen agieren in engsten Zimmern vor tiefschwarzem Hintergrund, Dinge wie eine Deckenlampe machen sich selbstständig. Zuletzt läuft nun wirklich alles aus dem Ruder. Diese Geschichten sind witzig und originell erdacht, ernst und tragisch in Szene gesetzt – der virtuell clowneske Part wird dem Zuschauer anempfohlen. Doch so richtig boshaft und untergründig geriet Dimitris Stamous’ und Demy Papadas „Gesellschaftskritik" freilich nicht.

Ganz anders Neville Tranter, der große Meister seiner Zunft, mit dem Figurenspiel „Punch & Judy in Afghanistan“, einer Produktion von 2009. Verweigerte er tags zuvor in „Mathilde“ seinen Puppen noch jede Reaktion, jede Antwort, so wird er in diesem hinreißenden Stück Spiel um das Thema Terrorismus zum Protagonisten. Er gibt dem niederländischen Hooligan Emile eine zweite Chance, sich im Kriegsgebiet von Afghanistan zu bewähren. Als dieser samt eines Kamels verschwindet, geht er ihn suchen. Er trifft auf einen traumatisierten Franzosen, der sogar im gesuchten Höckertier noch Terrorismus wittert, ein Krokodil (Tod) will ihm bunte Leichensäcke verkaufen, sein eigener Albtraum sagt ihm das Ende voraus. Zuletzt verirrt er sich in die Zentrale von Osama bin Laden, wo man ihn genauso aufessen will wie Emile alias „a meal“. Er flieht, verrät dessen Versteck – und nur so konnten ihn die Amis schließlich finden. Toll, aberwitzig, wie der in Amsterdam lebende Australier mit der Weltpolitik als Kasperlespiel umgeht. Aber er hat ja auch schon Inszenierungen über Frankenstein, Macbeth und Schickelgruber gemacht! Hier jedenfalls setzt er das altenglische Kasperduo Punch und Judy in die Rollen von bin Laden nebst Gattin ein – und das funktioniert! Nicht nur, weil „sie“ den roten Mohn (!) so liebt wie das frische Fleisch von Engländern oder von Amis! Tranters Puppen sind fast barbarisch kantig ins Groteske gedrängt, jede mit eigenem Profil. Bei ihm hat alles doppelten Boden und Kraft, eine Meister-Leistung eben, und auch noch deutsch untertitelt! Erstaunlich, was die Welt der Puppen, was Theater heute vermag. Auf ein Neues dann, unidram! Gerold Paul

Überwiegend neblig ging am Samstag Unidram mit italienischem Bilder- und visuellem Theater von Nicola Unger zu Ende. Das Programm des letzten Festivaltages war prall gefüllt: hinreißendes Puppentheater, ein französisches Fabrikorchester der besonderen Art und zwei Aufführungen, die den Rahmen, das dieses experimentierfreudige Festival bietet, wiederum erheblich weiteten. In der Reithalle luden die drei tanzenden Darstellerinnen Andrea Lorena Cianchetta, Martina Garbelli und Enrica Zampetti vom Zaches Teatro aus Florenz zu ihren surrealen Bilderwelten von „Mal Bianco“ ein. Vorwiegend vernebelt und im Halbdunkel erschienen dort als zarte graue Schattengestalten anfangs zwei Hände, später an den langen Haaren zusammengewachsene Zwillingswesen und schließlich mit hölzernen Schnäbeln klappernde Vogelmenschen. Das hatte einen anspruchsvollen ästhetischen und meditativen Charakter und konnte zum Träumen und Versenken einladen, wenn es nicht durch die vorwärtsdrängende, zuweilen dramatische elektronische Tonspur von Stefano Ciardi gebrochen worden wäre. Diese heischte nach Bildern, die dann nicht auf der Bühne erschienen.

So war man hin- und hergerissen zwischen stillem Versenken und kräftiger Dynamisierung, manch einer machte diesen Spagat nicht mit und verließ vorzeitig die Aufführung. Das Versprechen, dass diese Inszenierung in der Regie und Choreografie von Luana Gramegna „Momente und Wendepunkte der evolutionären Entwicklung des Menschen“ zeigen würde, wurde indes nicht eingelöst, und die am Ende in Zeitlupentempo erscheinenden gebeugten menschlichen Schatten auf der Bühnenrückwand machten die Sache auch nicht rund.

Ein schwerer bordeauxfarbiger Vorhang wie in einem traditionellen Stadttheater und laute Hornstöße, die an eine Jagderöffnung denken ließen, lenkten das Publikum in der sich in der „fabrik“ anschließenden Aufführung von Nicola Unger, die eher als Bildende Künstlerin denn als Theatermacherin arbeitet, auf eine vollkommen „falsche“ Fährte. Denn ihr visuelles Theater „Ohne Titel“ agierte mit Bildern der etwas anderen Art.

Überall auf der Bühne waren mobile Projektionsflächen angebracht, auf denen im Laufe der Aufführung schwarz-weiße grafische Darstellungen von Landschaften, berühmter Kunstwerke und Gebäude sowie gezeichneter eigener Comicfiguren erschienen und wieder verschwanden. Das Ganze fühlte sich an wie eine bewegte „Graphic Novel“ - deren Ablauf aber weder von einer herkömmlichen Regie noch Dramaturgie bestimmt wurde. Alles schien einfach zu passieren und man konnte nicht sicher sein, ob die eingesprochenen englischen Texte wirklich etwas mit dem Gezeigten zu tun haben. Aus diesem bedeutungsoffenen, vom Zufall abhängigen Spiel musste sich das Publikum aus Andeutungen, Textblasen und visuellen Eindrücken ein eigenes Bild zusammensetzen, was ziemlich amüsierend oder wegen „falscher“ Erwartungen genauso frustrierend sein kann.

Der sehr verhaltene Beifall am Ende dieser artifiziellen Inszenierung spiegelte eher das eine Extrem. Schön wäre, wenn es bei dem Theaterfestival Unidram ähnlich wie bei den Tanztagen zu manchen Inszenierungen Einführungen oder Zuschauergespräche geben würde. Denn das Wissen, wie und wozu etwas gemacht ist, zerstört nicht unbedingt die Magie der Bilder.Astrid Priebs-Tröger

Chantal Willers

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