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Bewährtes Trio. Helmut Fensch, Gretel Schulze und Andreas Zieger (v.l.n.r.) sind das Stammensemble des Kabaretts Obelisk. In diesem Jahr begeht das Haus seinen 40. Geburtstag.

© promo

Kultur: 40 Jahre öffentlich Dampf ablassen

Potsdams Kabarett Obelisk feiert Geburtstag: Zu DDR-Zeiten kam es dort trotz strenger Kontrolle zum Eklat. Heute arbeitet das Haus thematisch breiter

Die Partei gab sie in Auftrag. In fast allen Bezirksstädten sollten sie entstehen: als Ventil. Lachen statt Meckern, hieß die Devise. Und so wurde auch in Potsdam ein Kabarett gegründet: das Kabarett am Obelisk. 40 Jahre ist das her. Die Leute überrannten das Haus in der Schopenhauerstraße, in der die Regenschirme bunt von der Decke baumelten. „Man konnte damals im Tausch gegen Kabarettkarten sogar die Wartezeit auf einen Trabi verkürzen“, sagt Gretel Schulze, die heutige Kabarett-Chefin.

Dennoch war so ein Satiretempel eine heikle Angelegenheit. Worüber und wie sehr gelacht wurde, darüber wollte die Partei natürlich mitbestimmen. Denn das Volk sollte durch die Satire ja eingelullt und nicht noch aufgestachelt werden. Es ging um die Vermittlung des Gefühls: Wir dürfen hier sogar öffentlich Dampf ablassen und über die Mangelwirtschaft reden - also ist es ja doch nicht ganz so schlecht um Vater Staat bestellt.

Der passte natürlich argusäugig auf. Es gab immer erst Abnahmen, bevor der Vorhang fürs gemeine Volk hochging. Die Vorkämpfer für die Stücke hießen Peter Ensikat und Wolfgang Schaller. Ihre Texte wurden an allen Kabaretts der DDR gespielt. Wenn diese beiden Schreiber ihre Stücke durchgesetzt hatten, gab es die Chance, sie auch regional spielen zu dürfen. Die einzelnen Kabaretts setzten dann noch einen Block Lokalkolorit als regionale Würze dazu. „Die tägliche Heuchelei und täglichen Verbiegungen konnten in ihrer Jämmerlichkeit durchaus vorgeführt werden, Sehnsüchte wie Reisen, waren indes tabu“, erinnerte sich der erste und unvergessene Potsdamer Kabarettchef Matthias Meyer später. Das kann man nachlesen in Sylvia Klötzers Buch „Satire und Macht. Film, Zeitung, Kabarett in der DDR“. Mitte der 1980er Jahre kollidierten Satire und Parteiinteressen indes so stark, dass das Potsdamer Ensemble auseinanderfiel. Meyer verließ 1985 die DDR.

1986 wiederum setzte die Bezirksleitung nach drei Vorstellungen ein komplettes Programm ab. Dem Dramaturgen Uwe Scheddin wurde gekündigt, der Regisseur Gerd Staiger kündigte von sich aus. Das war bei „Volldampf woraus“. Die Premiere fand vor einer reglosen Parteispitze statt, aber das Publikum klatschte gegen das Schweigen an. Die Kabarettisten hatten sich erlaubt, das „Bayrische Haus“ zu thematisieren, jene historische Gaststätte, die kurz zuvor für die Öffentlichkeit gesperrt und zum Gästehaus der Partei erklärt worden war. Offiziell hieß es, dass in dem Programm die Auseinandersetzung mit dem Imperialismus fehle.

Kurz vor der Wende kam es erneut zum Eklat: als der Sänger der Berliner Rockgruppe Pankow, André Herzberg, bei einem Gastspiel die Gelegenheit nutzte, um seine Resolution „Die Gedanken sind frei“ zu verlesen. Wenig später rollte die Partei an, nahm ihn ins Gebet und ließ seine Gage streichen. Herzbergs Worte konnte sie nicht mehr ungehört machen.

Gretel Schulze erlebte diese Zeit nur als Gast. Die Schauspielerin, Regisseurin und Chansonsängerin kam 1990 fest ans Haus, nachdem sie 1989 die „Freiheitsberaubung“ von Ulrich Plenzdorf auf die Kabarett-Bühne gebracht hatte.

Vieles hat sich geändert seit dem Mauerfall, nicht nur die Geschäftsform. Nach mehreren Experimenten ist das Kabarett heute ein Verein. „Früher war die Richtung eindeutig: Es ging gegen die da oben“, sagt Gretel Schulze. „Eine leise Andeutung reichte und alle Zuschauer wussten Bescheid. Heute ist das Spektrum weiter: Es geht grober zu und die Satire darf alles.“ Gerade durch die Etablierung der Comedy-Szene, die die Alltagsgeschichten holzschnittartig verhandelt, müsse man seinen ganz eigenen Stil finden.

Potsdams Kabarett setzt vor allem auf bundesweite Themen mit lokalem Einstreu, durchzogen von Musik, und auf die Nähe zum Publikum. Beim Thema Sex zeigt es sich ebenfalls offenherzig, mitunter sehr deftig. Viele Besucher sind weggeblieben, andere dazu kommen. Titel wie „Schatz, wir müssen reden“ oder „Traumwahl. Ein bisschen (S)pass muss sein“ bestimmen den Februar- und März-Spielplan. 25 000 bis 30 000 Besucher kommen jährlich ins Haus, das seit 1997 in der Charlottenstraße beheimatet ist.

Seit 1996 ist Gretel Schulze Künstlerische Geschäftsführerin und immer auch auf der Bühne und als Regisseurin zu erleben. Als sie jüngst in Gestalt der Kanzlerin ihr Publikum mit Handschlag zum Neujahrempfang begrüßte, hatte sie gerade zu Silvester ihren 69. Geburtstag gefeiert. Aufhören? Nicht doch. Das Knie ist operiert, der Hund hält sie fit. Auch im Kopf, der öfter mal durchgepustet werden muss. Darauf setzen auch ihre Kollegen Andreas Zieger und Andrea Meissner, die ebenfalls „auf den Hund gekommen“ sind. „Und Helmut Fensch hat mit seinem Kaninchen das Jagdobjekt.“

Jährlich warten sie mit neuen Programmen auf, auch in ihrem 40. Jahr. Nein, kein Jubiläumsprogramm. „Sternhagelvoll“ erzählt ab 24. März von einer Reise zu den Außerirdischen, mit Gretel Schulze als Commander. Neues Crewmitglied ist Isabelle Liere, die vorher auf dem Theaterschiff arbeitete. „Es muss ja auch an Nachwuchs gedacht werden“, sagt Schulze. Unbedingt! Die Satiriker lassen sich 2018 auch durch prominente Gäste feiern: Jeden Monat gibt es ein ganz besonderes Gastspiel, so etwa von Horst Ewers, Reiner Kröhnert oder Uwe Steimle.

Das Kabarett zahlt zwar nur eine geringe Miete, erhält aber keine finanziellen Zuschüsse. Also muss genau kalkuliert werden. Das Ergebnis sind zehn Programme, wie im Gemischtwarenladen im Wechsel aufgeführt: von dem Haus-Trio Schulz/Fensch/Zieger, regelmäßig auf der Bühne steht aber auch Andrea Meissner. Michael Ranz und Edgar May sind ebenfalls ständig dabei, ab 17. Februar mit neuem Programm.

„Es gibt keinen gemeinschaftlichen Zuschauerkontext mehr wie vor der Wende“, so Gretel Schulze. „Man muss breit gefächert arbeiten. Ein 20-Jähriger aus Bayern soll sich bei uns genauso amüsieren wie die Volkssolidarität.“ Wichtig ist für die Kabarettistin vor allem das Publikum. Keiner kann sich im Sessel wegducken. Die Scheinwerfer werden auch in den Saal gehalten. „Schließlich hat sich das Kabarett aus der Kneipe heraus entwickelt, lebt von der Intimität und dem Miteinander.“ Man kennt sich. Untereinander und in der Stadt. Als Gretel Schulze wegen des Knies beim Arzt war, sagte die Sprechstundenhilfe zu ihr: „Sie sind ja gar nicht so harsch.“ Gretel Schulze gibt sich auf der Bühne gern preußisch. Heidi Jäger

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