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4. Sinfoniekonzert in Potsdam: Musikalische Brückenbauer im Nikolaisaal

Am Samstag wurde im Nikolaisaal in Potsdam deutlich, warum die Musik von Ludwig van Beethoven und Arnold Schönberg im Ansatz gar nicht so verschieden ist.

Potsdam - Brückentage zur Verlängerung von Fest- und Feierzeiten liebt fast jeder. Brückenbauer schon weniger, weil die Errichtungen ihrer Bauwerke oftmals mit mancherlei Unbequemlichkeiten verbunden sind.

Klang-"Baustelle" macht neugierig

Bei musikalischen Brückenbauern, von denen einige sich beim 4. Sinfoniekonzert am Samstag im Nikolaisaal mithilfe der Kammerakademie Potsdam vorstellen konnten, verhält es sich ähnlich. Steht der Name Arnold Schönberg auf dem Programm, entsteht vielen Musikfreunden sogleich eine innere Abwehrhaltung. Doch hat der „Erfinder“ der Zwölftontechnik ja auch eine spätromantische, seelenstreichelnde Frühphase gehabt und erst danach mit freier Tonalität experimentiert. An dieser Sollbruchstelle lässt sich Schönbergs 1905/06 entstandene Kammersinfonie Nr. 1 E-Dur op. 9 verorten. Der einleitende Hörbesuch dieser Klang-„Baustelle“ macht neugierig darauf, wie der Tonsatztechniker seine Idee der sich „entwickelnden Variation“ in zukunftswegweisende Klänge hat umsetzen können. Ungewöhnliche chromatische Wendungen bestimmen das Werk, dessen romantische Wurzeln jedoch unüberhörbar sind und von den Musikern voller ohrenbalsamischer Klangschönheit gespielt werden. Anderes allerdings weit weniger. Das Zusammenspiel vollzieht sich unter den gleichsam florettstechenden Gesten des Dirigenten mit faszinierender Genauigkeit. Und unter körperlicher Hochspannung, sodass Antonello Manacorda sogar der Taktstock aus der Hand fliegt.

Ersatz-Oboist begeistert

Neuland hat auch Bohuslav Martinu (1890-1959) betreten, der sich vom Impressionismus Debussyscher Machart löst und zu einem Stilmix aus Jazz, englischen Madrigalen, barocken Affekten und tschechischer Volksmusik findet. Staunend zu erleben im kurzweilig-kapriziösen Konzert für Oboe und kleines Orchester, dessen Solopart der Franzose Philippe Tondre kurzfristig anstelle des erkrankten Ramón Ortega Quero übernommen hat. Klar und durchdringend ist sein Ton, der von technischer Raffinesse kündet, Virtuosität mit Gefühlsdichte eindrucksvoll verbindet. Die Wechselgespräche mit dem Orchester gelingen aufs Vorzüglichste. Besonders gelungen im Andante-Satz mit seinen sehnsuchtsvollen Folklorezutaten und dem kantablen Duettieren von Oboe und Klavier (Symeonidis Prodromos). Burschikoses Klangvergnügen und viele rhythmische Kapriolen bestimmen den Finalsatz, den alle Beteiligten zu einem mitreißenden Kehraus werden lassen.

Dirigent als Zuchtmeister des Orchesters

Brückenbauerisch hat sich auch Ludwig van Beethoven mit seiner 4. Sinfonie B-Dur op. 60 betätigt, die, klassisch ausgewogen und klanglich raffiniert, romantische Züge erahnen lässt. Aus stockender Kopfsatzeinleitung entwickeln die Musiker eine enorme Spannung, die jäh in ein turbulentes Tuttitreiben umschlägt. Die Folge ist ein tempoforcierter Melodienfluss, der zudem durch extreme dynamische Kontraste bestimmt wird. Tuttischläge wirken dabei wie Peitschenhiebe. Erneut erweist sich der Dirigent als Zuchtmeister des Orchesters, der die Musiker zu einem transparenten Klang mit minidosiertem Vibrato und zum Vollstrecker seiner analytischen Lesart antreibt.

P. Buske

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