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Vor der Sanierung: Das Bild zeigt das Waschhaus in den 90er-Jahren.

© Waschhaus

30 Jahre Waschhaus: Prinzip Hoffnung

Es überstand Baufälligkeit, Sanierung, Insolvenz und Missmanagement: Am Freitag feiert das Waschhaus in Potsdam30. Geburtstag.

Potsdam - An die Anfänge im Waschhaus kann sich Anja Kozik noch gut erinnern. Als sie das erste Mal durch das unsanierte, von Militär und Industrie geprägte Gelände auf der Schiffbauergasse streifte, mit einer Gruppe Gleichgesinnter auf der Suche nach einem neuen Ort für Tanz, war sie hochschwanger mit ihrem zweiten Sohn.  

Heute sind beide groß. Der Sohn ist ein erwachsener Mann von fast dreißig Jahren und ins Waschhaus, das seinen Geburtstag heute mit einer großen Party begeht, kommen 130.000 Menschen im Jahr. Zum Tanzen, feiern, Musik machen, Musik hören, Kunst machen oder Kunst gucken. Anja Kozik ist seit der Besetzung 1992 Leiterin der Tanzsparte am Waschhaus, begründete die Oxymoron Dance Company und das Kurssystem. Damals richtete sie sich mit anderen in dem Nebengebäude, dem heutigen Offizze ein, baute die obere Etage zum Tanzstudio aus. „Das war unser erstes kleines Zuhause.“  

Das Waschhaus feiert sein 30-jähriges Bestehen.
Das Waschhaus feiert sein 30-jähriges Bestehen.

© Andreas Klaer

Das Waschhaus hatte viele Geburtsstunden

Fragt man Anja Kozik nach der Geburtsstunde des Waschhauses, sagt sie: „Es gab viele Stunden. Für jeden eine andere.“ Im Waschhaus wirbelten schon damals verschiedene Künste durcheinander. Musik, Bildende Kunst, Tanz. Es musste viel um- und ausgebaut werden in der ehemaligen „Königliche Garnisonswaschanstalt“, die später durch das Militär und den KGB, noch später bis 1988 vom „VEB Rewatex“ genutzt wurde. „Man musste die großen Waschtrommeln rausholen, aus mehreren Räumen ein Studio machen, Steine rausräumen, entkernen, Wände rausreißen, den ersten Tanzboden verlegen.“

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Parallel zu Kozik und denen, die auf den legendären Technopartys von Ingo Bröcker tanzten, gab es die, die Kunst machten. Die erste Ausstellung fand dort statt, wo jetzt das T-Werk ist, in ehemaligen Reparaturwerkstätten. Auch die: „legendär“, sagt Mike Gessner – auch wenn er selbst erst später fest ans Haus kam. Seit 2012 leitet er die zum Waschhaus gehörige Galerie Kunstraum. 

Zu Beginn der 90er-Jarhre war das Gelände kaum erschlossen.
Zu Beginn der 90er-Jarhre war das Gelände kaum erschlossen.

© Waschhaus

Kunst gab es von Anfang an 

Damals, in den frühen 90ern, zeigten Potsdamer Künstler:innen wie Susanne Ramolla, Berit Hamann und Jörg Schlinke hier ihre Werke. Schlinke war im Mai 1992 Mitinitiator der „Großen Aufführung“, einer der ersten Kulturveranstaltungen im damals noch fast unerschlossenen Gelände. „Russisch Roulette“ hieß 1996 eine Rauminstallation von Schlinke in der ehemaligen KGB-Kaserne, dem heutigen Fluxus-Museum. 

Inmitten eines leeren Raumes stand ein Sessel, darauf eine Handwaffe. „Die war sogar geladen“, hat Schlinke mal zu Protokoll gegeben. Mit Platzpatronen. 2021 widmete der Kunstraum Schlinke eine Personalausstellung, dieses Jahr wird auch dort Geburtstag gefeiert: mit einer Schau, die die ursprüngliche Berufung des Ortes untersucht – als Pferdestall.  

Im März trat die Band Knorkator im Waschhaus auf.
Im März trat die Band Knorkator im Waschhaus auf.

© Andreas Klaer

Kunst gab es also hier von Anfang an. Zu Beginn im zum Haupthaus gehörigen Kesselhaus, im Wechsel mit dem dortigen Partygeschäft. Donnerstags mussten die Bilder raus, damit am Freitag die Party reinkonnte. Manchmal bekam die Kunst dabei Schrammen. So kam es zu der Idee, nach der Sanierung des Stall-Areals 2006 an den jetzigen Ort auszuweichen, Galerie und Party räumlich zu trennen. 

2008 kam „der Bruch“ 

1993 wurde der Waschhaus-Verein gegründet – nach „unendlich langen basisdemokratischen Diskussionen“, wie die damals beteiligte Katja Dietrich-Kröck es in einem Interview beschrieben hat. Sie beschrieb auch, was die Mitstreiter der ersten Stunde trug. „Wir hatten das Gefühl, dass wir einfach alles machen konnten. Das Waschhaus war unser Wohnzimmer, wir haben dort gelebt und gearbeitet, das wurde nicht getrennt.“ Rammstein kam, Tocotronic kam. Das Waschhaus wuchs.  

2008 dann aber kam, was Anja Kozik nur „der Bruch“ nennt. Erst meldete in dem Jahr der Lindenpark Insolvenz an, danach das Waschhaus. Eine Schockstarre, von großer Lähmung jedoch keine Spur. Eine neue Trägerstruktur musste her. So kam man auf die gGmbH. Mit der neuen Struktur wurde auch Michael Wegener als Leiter abgelöst. Auftritt Wilfried Peinke.  

Peinke, zuvor Verwaltungsdirektor an den Uckermärkischen Bühnen in Schwedt, sollte das Haus retten – aber heute gilt er als der Geschäftsführer, der sein Haus nicht verstand. „Der 59-Jährige ist eher für die akkurate Buchhaltung zuständig“, heißt es in einem Text von 2009. „Es gab nur Ärger, im Haus und in der Stadt“, sagt Anja Kozik rückblickend. „Schon die Insolvenz war sehr schlimm, aber Peinke war schlimmer. Er hat den Laden demontiert, das muss man klar sagen.“ In ihrer Arbeit fühlte sie sich damals massiv behindert. Nicht weil Peinke ein anderes Kunstverständnis hatte, sagt Kozik, „sondern weil er gar keins hatte“. Im August 2012 war Peinke wieder weg, aber der Schaden längst entstanden.

Als dem Ort die Seele verloren ging 

Viele Mitstreiter der ersten Stunde schlugen andere Wege ein. Katja Dietrich-Kröck etwa, die zuletzt dort fünf Jahre lang bis 2011 den Kunstraum leitete, ist heute Referentin im brandenburgischen Wirtschaftsministerium, und ab und an legt sie als DJ Katjuscha noch dort auf. Im heutigen Waschhausteam ist Anja Kozik die Einzige aus der Anfangszeit – anders als in der fabrik oder am T-Werk, wo es eine große personelle Kontinuität gibt.  

Wer über „den Bruch“ und die Folgen redet, kommt um ein Thema nicht herum, dass die Berichterstattung zum Waschhaus in letzten Jahren immer wieder bestimmte: Wie dem Ort durch die Sanierung in den Jahren 2007 und 2008 die Seele verloren ging.   

Vielen ging es wie Thomas Lindner, der heute die Pressearbeit am Waschhaus macht. „Ich war vor der Sanierung oft hier feiern, danach erstmal gar nicht mehr“, sagt er. „Die Seele hier war weg.“ Als Besucher war es nicht mehr seins, „alles war glatt und sauber und ordentlich.“  

Aber für Thomas Lindner hat sich etwas geändert – vielleicht symptomatisch auch für andere, die früher hier Party machten. Lindner studierte Kulturarbeit, machte anderes – und kam wieder. „Als Jugendlicher hast du nur dich im Kopf, ob hier noch andere Menschen Platz finden, interessiert dich nicht. Heute finde ich es einfach cool, dass hier so viel Verschiedenes stattfindet.“ Im Sommer kommt City zum Open-Air-Konzert, das macht Lindners Mutter happy, gleichzeitig gibt es Partys für Leute ab 16. Und im September ist Tocotronic wieder zurück – die einst hier ihre erste Platte vorgestellt hatten. Cool, dieser Spagat, sagt Lindner, „aber auch schwierig in der Vermittlung“.

Ein schwer umsetzbarer Slogan 

Den ehrgeizigen Anspruch hat sich das Waschhaus ins Label geschrieben: „360 Grad Kultur“. Ein markiger Slogan, aber in der Umsetzung schwer. Wo man alles und alle ansprechen will, ist man leicht für niemanden so richtig da. „In der Profilbeschreibung von der Stadt heißt es: ein niederschwelliges Kulturangebot für alle Bevölkerungsschichten der Stadt Potsdam“, erläutert Mathias Paselk. Er leitet das Haus seit Juli 2018. Sein erstes Konzert erlebte er hier 1994, seit 2010 organisierte er als DJ Pasi Partys am Waschhaus, war mit der Struktur hier verwachsen.  

Thomas Lindner, Anja Kozik, Kunstraum, Mike Gessner und Mathias Paselk (v.l.).
Thomas Lindner, Anja Kozik, Kunstraum, Mike Gessner und Mathias Paselk (v.l.).

© Andreas Klaer

Vom Theater ins Konzert oder Party, zur Tagung, dann wieder eine Kunstausstellung: Das ist Waschhaus-Alltag. „Und jedes Event musst du anders bewerben.“ Sein Konzept kann der studierte Kulturarbeiter Paselk flink auflisten. Vier Säulen (Tanz, Kunst, Literatur und „alles was laut ist“), mit je vier Themen: „Partizipation, Produktion, Diskussion, Rezeption.“ Mitmachen, Selbermachen, Austauschen, Unterhalten lassen. Nur: Die Mittel dafür sind knapp. Für das ehrgeizige Programm steht eine Sockelförderung zur Verfügung, die nicht mal die Personalkosten deckt. Die Stadt schmückt sich gerne mit dem Waschhaus – aber sie betreibt offenbar auch Raubbau am Mitarbeiterstab. „Irgendwann sind die Leute K.o.“, sagt Thomas Lindner. 

Und die Seele, Frau Kozik? Eine Seele habe es ja früher gar nicht gegeben, sagt sie. „Jeder war für sich.“ Erst Mathias Paselk arbeite daran, so etwas wie Gemeinsamkeit zu schaffen. Was sie schätzt: „Es werden die Großevents mit 4000 Leuten nicht ausgespielt gegen meine Aufführungen mit 120 Zuschauern.“ Für das Jubiläumsjahr hat sie sich eine Klammer mit einem Titel überlegt, der an den Philosophen Ernst Bloch angedockt ist, aber für die Widerstandsfähigkeit des Waschhauses insgesamt stehen könnte: „The Principle of Hope“. 

Im August wird eine Woche lang zu dem Motto getanzt, im September gibt es ein Festival, Titel: „It’s just a Revolution“. „Es soll laut sein, wild sein, dazu einladen, mutig nach vorne zu gucken“, sagt Anja Kozik. Mit dabei auch zwei Musiker namens Modem & Acoid. Einer von beiden war noch nicht geboren, als seine Mutter zum ersten Mal ins Waschhaus kam. 

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