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Das Hans Otto Theater und die Bürgerbühne lassen ihre Zuschauer  am 9. November eine künstlerische Teilung erfahren. 

© Jean-Marie Delbot

30 Jahre Mauerfall im Hans Otto Theater: Sich selbst verstehen

Mit „Grenzerfahrung“ macht das Hans Otto Theater die deutsche Teilung erlebbar. Autor Martin Ahrends liefert dafür Zeitzeugenberichte und wirkt selbst auf der Bühne mit.

Von Sarah Kugler

Potsdam - Andere und vor allem sich selbst verstehen. Ein Anliegen das Martin Ahrends seit vielen Jahren verfolgt. Als Autor, als Journalist und ganz aktuell auch als Laiendarsteller. In „Grenzerfahrung“ einer einmaligen Veranstaltung des Hans Otto Theaters und der Potsdamer Bürgerbühne am 9. November wirkt er auf der Bühne mit. Und noch viel wichtiger: Er lieferte Texte, die an dem Abend gelesen werden. Zeitzeugenberichte von Männern und Frauen, die in der DDR gelebt haben.

Kurz nach der Wende hat Ahrends angefangen, sie aufzuzeichnen. Dort wo er aufgewachsen ist, nämlich in Kleinmachnow hat er sich umgehört. Lange verschwiegene Geschichten gesammelt, all das, worüber in seiner Kindheit nur gemunkelt wurde, wie er sagt. Geschichten von der nahen Grenze, von Fluchtversuchen, von der Stasi. „Ich wollte Licht ins Dunkel meiner Kindheitserinnerungen bringen“, erzählt er. Und sich selbst Klarheit darüber verschaffen, ob er sich richtig verhalten hatte – auch in Bezug auf seine Übersiedlung in den Westen.

Martin Ahrends.
Martin Ahrends.

© privat

In Berlin Zehlendorf wurde Ahrends 1951 geboren, mit seinen Eltern zog er bereits 1957 nach Kleinmachnow. Dort wuchs er auf und absolvierte sein Abitur 1970 in Potsdam. Er studierte Musik, Philosophie und Theaterregie in Berlin, arbeitete anschließend als Redakteur sowie als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Komischen Oper in Berlin. Als ihm aus politischen Gründen ein Arbeitsverbot erteilt wurde, stellte er 1982 einen Ausreiseantrag, dem 1984 stattgegeben wurde.

Heute hat der 68-Jährige, der mittlerweile in Werder (Havel) lebt, Frieden mit seiner Ausreise geschlossen. Im Westen arbeitete er für „Die Zeit“ und publizierte literarische Texte – diese Jahre waren für ihn eine wichtige, sagt er heute. Trotzdem hat er mit der Entscheidung gehadert, sich die Frage gestellt, ob er seine DDR-Biografie, seinen Staat verraten habe. „Autoren befragen sich ja selbst ständig.“ Rückblickend sei alles richtig so gewesen. Auch, weil Ahrends sich selbst treu geblieben ist. Einen wie ihn, einer, der nicht in der Partei, nicht linientreu war, den habe die DDR eben nicht gebraucht.

Dabei habe er nicht alles abgelehnt. Ein Leben ohne Kapitalismus zu führen, empfindet er noch immer als erstrebenswert, versucht so nachhaltig wie möglich zu leben und sucht das Gespräch.

Öffentlichkeit ist ihm wichtig. Den Mund aufzumachen, auch wenn das, was da rauspurzelt noch nicht ganz ausgegoren ist. „Das lässt sich wieder richten, aber Mündigkeit müssen wir erwerben und pflegen“, sagt er. In seinen Zeitzeugenaufnahmen spricht er diese Mündigkeit anderen zu, und hat über die Jahre viele Stimmen gesammelt. Bereits 1989 erschien sein erster Interviewband „Mein Leben, Teil Zwei“. Die jüngste Publikation, in der Zeitzeugen aus Potsdam und Umgebung von ihren Erfahrungen zum Thema „Stasi und Familie“ berichten, erschien 2015 unter dem Titel „Verführung, Kontrolle, Verrat“.

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In „Grenzerfahrung“ sind am nächsten Samstag einige dieser Texte wiederzufinden. An der endgültigen Textfassung für den Abend war Ahrends allerdings nicht mehr beteiligt: „Als Autor gibt man das ab.“ Vorgetragen werden die Texte von Schauspielern des Hans Otto Theaters – allerdings nur für die Hälfte des Publikums. Denn die Idee des Abends ist es, erneut einen „Eisernen Vorhang“ zu errichten, Grenzerfahrung mit unterschiedlichen Erfahrungen zu gestalten.

Während im Glasfoyer des Theaters bereits ab 18.30 Uhr die Video- und Audio-Installation „Revolutionen“ von Tatjana Živanovic-Wegele zu sehen ist, wird das Publikum um 19.30 Uhr nach dem Zufallsprinzip geteilt. Die eine Hälfte nimmt für Zeitzeugenberichte und Songdarbietungen vor dem „Eisernen Vorhang“ Platz. Die andere Hälfte absolviert zeitgleich einen Parkour hinter dem „Eisernen Vorhang“. Ein Interview mit Heiner Müller ist dort etwa zu hören und ein Ost-West-Projekt der Bürgerbühne. Darin berichten die Laiendarsteller jeweils in wenigen Sätzen von persönlichen Erfahrungen. Welche Erfahrungen Ahrends selbst preisgeben wird, möchte er nicht verraten. Nur so viel: Ein Prozess des Loswerdens sei der Auftritt, der zum gesellschaftlichen Selbstverständnis beitragen soll. Am Ende des Abends wird das Publikum wieder vereint: zu einem humorvollen Videoschnipselvortrag von Jürgen Kuttner mit dem Titel „Krenzerfahrungen: Die DDR schaut in den Spiegel“.

>>„Grenzerfahrung“, 9. November um 19.30 Uhr im Hans Otto Theater, Installation im Glasfoyer ab 18.30 Uhr

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