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Leben zwischen Baustellen. Barbara Raetsch vor ihren jüngeren Arbeiten, die sich mit den Umbrüchen Potsdams beschäftigen.

© Andreas Klaer

25 Jahre Deutsche Einheit: Gespräche über Freiheit (V): „Seht, euer Haus soll euch wüst gelassen werden“

Was war, was ist, was bleibt: Früher malte Barbara Raetsch den Potsdamer Verfall. Jetzt ist die Stadt als Baustelle ihr Thema. Bis heute sieht sie Unterschiede zwischen Menschen aus Ost und West. Ihr selbst sei vor allem Geld viel weniger wichtig als den Wessis.

Frau Raetsch, welche Farbe hatte die DDR der 1980er-Jahre für Sie?

Graubraun. Und noch etwas Rot im Holländerviertel. Das hat nichts Ideologisches, wenn ich das sage. Sondern wenn man zum Beispiel die damals völlig morbide Gutenbergstraße betrachtet, dann war es einfach so. Was mir als Künstlerin sehr entgegen kam, weil ich mit diesem morbiden Zustand künstlerisch viel anfangen konnte. Häuser oder Fassaden waren zusammengerutscht, irgendwelche Teile herausgebrochen. Da gab es plötzlich Formen, die eigentlich gar nicht zu Häusern gehören. Im Laufe der Auseinandersetzung mit diesem kaputten Viertel um die Gutenbergstraße begann für mich die Auseinandersetzung mit der Frage: Wie konnte es überhaupt dazu kommen? Wie kann es sich eine Gesellschaft leisten, Städte mit historisch wertvollen Häusern so verfallen zu lassen? Dieser lautlose Verfall hat mich sehr beschäftigt. Es war eine ganz stille Sache. Da habe ich angefangen, auch politisch zu denken.

Ihr Bild mit dem düsteren, halb verfallenen Haus mit Baugerüst, wann ist das entstanden?

Das war 1988. Ich hatte es damals in der Kunstbezirksausstellung gezeigt, die gab es alle vier Jahre. Damals wussten wir alle nicht, dass die DDR bald erledigt sein würde.

Wie wurde es damals aufgenommen?

Es gab durchaus die Möglichkeit, so etwas auszustellen. Ich glaube, diejenigen, die so etwas hätten untersagen können, haben auch nicht gemerkt, wie brisant dieses Thema war.

Ein Fotoband von Ulrich Burchert heißt „Bunte DDR“. So eine Farbigkeit in der Erinnerung wäre Ihnen fremd?

Ja. Weil ich ohnehin immer eine bestimme Farbpalette habe. In den neueren Arbeiten habe ich Rot und Orange mit aufgenommen. Bunt habe ich auch für mich selbst und meine Bilder nur akzeptiert, als die Häuser dann nach der Wende besetzt und auch bemalt wurden. Die grellen Schriftzüge auf den vergammelten Fassaden, das fand ich wieder gut.

Häuserkampf

Die Farbe kam erst durch die Besitznahme von außen dazu?

Ja, die Häuser standen ja nach der Wende jahrelang leer, um die Eigentumsverhältnisse zu klären. Auf einem Haus stand damals: „Wir wollen mehr als unser täglich Brot“. Den Spruch habe ich auf einem meiner Bilder mit untergebracht. Das hat mich damals darauf gebracht, in der Bibel zu lesen, um nach Sprüchen zu suchen. Dort habe ich schöne Sätze gefunden, die auch in meine Bilder eingeflossen sind: „Seht, euer Haus soll euch wüst gelassen werden“. Interessant war für mich damals die Weiterentwicklung der Verfallskultur der DDR.

Barbara Raetsch, am 21. Oktober 1936 in Pirna geboren, lebt seit 1958 in Potsdam.

Damals heiratete sie den Maler Karl Raetsch – und fing an an, sich autodidaktisch mit der Malerei zu beschäftigen. 1977 wurde sie Mitglied im Verband Bildender Künstler der DDR und arbeitet seitdem freischaffend.

Ihr Werk ist auch eine Chronik Potsdams: Über 30 Jahre lang hat sie die bröckelnden Fassaden in der Potsdamer Innenstadt zu ihrem Thema gemacht, jetzt sind die Baustellen ihr Sujet.

Ist es nicht absurd, dass sich jetzt Leute, die nach Potsdam ziehen, weil es eine so schöne Stadt ist, Bilder vom Verfall Potsdams an die Wand hängen?

Ja, das ist es. Ich habe einige Bilder von dem untergegangen Land DDR zurückbehalten, die ich mal meinen Söhnen vererben möchte. Sie haben auch einen dokumentarischen Charakter. Unter denjenigen, die Bilder aus dieser Reihe gekauft haben, waren übrigens viele Westberliner. Und Sie, sind Sie...?

Ostberlinerin, ich bin in Potsdam zur Schule gegangen.

Dann haben Sie ja vielleicht auch noch ein bisschen was von unserer Mentalität, obwohl Sie natürlich zu einer anderen Generation gehören.

Kunst als Ware - das war neu

Was für eine Mentalität ist das?

Wir, zumindest meine Generation bis hin zu meinen Söhnen, sind doch schon sehr geprägt von dem Gesellschaftssystem, in dem wir so lange gelebt haben. Das bedeutet ja nicht, dass man dieses System gut gefunden hat. Meine Familie hat dem kritisch gegenübergestanden. Und trotzdem ticken wir anders als viele Wessis.

Was ist dieses Andere?

Man betrachtet vieles anders. In dieser kapitalistischen Gesellschaftsordnung geht es dermaßen um Geld, wie es bei uns überhaupt nicht vorkam. Dass Kunst als Ware betrachtet wurde, war neu für uns. Auch nach der Wende hatten wir als Künstler kaum die Chance, noch reich zu werden. Oder die Immobilien! Bestimmt war es ganz schön, in der DDR ein Haus zu besitzen. Aber oft ergab sich das einfach so, viele haben es eben geerbt. Nach der Wende brach auf westlicher Seite aber eine richtige Hysterie aus, was die Häuser im Osten betraf. Da gab es dieses Gesetz: Rückgabe vor Entschädigung. Man gab dadurch Leuten Grundstücke zurück, die sie bewusst aufgegeben hatten, als sie in den Westen gegangen waren. Diese Häuser hätte es gar nicht mehr gegeben, wenn sie nicht Leute dreißig Jahre lang bewohnt und gepflegt hätten. Das Gesetz war für viele verhängnisvoll. Man hätte die Eigentumsfrage auch durch Entschädigungen regeln können. Die Einstellung dem Eigentum gegenüber war im Osten grundverschieden.

Sie meinen, die Wertigkeit von Geld ist im Osten eine andere?

Eine völlig andere. Ich brauche auch Geld, um zu überleben, meine Wohnung zu bezahlen. Ich brauche es zum Leben, aber nicht, um es anzuhäufen. Das ergibt sich allerdings auch nicht, vielleicht auch ein Grund, warum ich so denke.

Freiheit?

Sind Sie dadurch freier?

Ich denke schon. Ich schiele nicht nach dem großen Geld oder einem bestimmten Lebensstandard.

Die Absicherung von Künstlern, die wie Sie zum Künstlerverband der DDR gehörten, war bis 1989 eine bessere als danach?

Ich war seit 1978 VBK-Mitglied. Die Kultur hatte in der DDR einen relativ hohen Stellenwert. Es gab viele Kunstwerke im öffentlichen Raum, in die hat man viel investiert. Es gab also Aufträge – und auch Ankäufe. Bei Aufträgen konnte man das Thema selbst bestimmen. Man musste nicht schleimen oder etwas im Sinne des Auftraggebers malen. Ich habe durch einen Auftrag mal ein Jahr lang umsonst in der Nähe eines Tagebaus gewohnt, jeden Monat etwas Geld bekommen und musste am Ende drei Bilder zur Verfügung stellen. Drei Tagebau-Bilder sind in den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Ohne den Auftrag hätte ich das nie gemacht.

Und Sie mussten kein bestimmtes Arbeiter- oder Kollektivbild bedienen?

Das hat keiner von mir verlangt!

Die offiziellen Aufträge fielen 1990 weg. Wie sind Sie über die Runden gekommen?

Wir hatten ein kleines Polster und die Galerie auf Hermannswerder, die wir die 1980er-Jahre hindurch ausgebaut hatten. Da hatten wir es leichter als viele Jüngere. Wir konnten eigentlich ohne Veränderungen weitermalen und ausstellen. Dadurch, dass es kurz nach der Wende fast keine Galerien gab, waren wir eine Art Vorreiter und sind auf viele Käufer getroffen, vor allem Westberliner. Später kam eine gewisse Ernüchterung, weil man uns unseren Erbpachtvertrag von Seiten der Stadtverwaltung streitig gemacht hat. Das zog sich lange hin und war rechtlich kompliziert. Das Ende vom Lied war, dass mein Sohn und ich die Galerie vor zwei Jahren aufgeben mussten. Aber kurz nach der Wende hatten sich bleibende Kontakte ergeben. Und kein Mensch hat über Politik gesprochen. Es ging wirklich nur um die Kunst. Nicht um irgendwelche politischen oder polemischen Auseinandersetzungen. Gott sei Dank. Insofern sind wir damals wunderbar von einem System ins andere gerutscht.

Potsdam als Baustelle

Ließ sich denn 1990 über Kunst reden, ohne über Politik zu reden?

Ja, das haben wir da draußen geschafft. Denn wir haben dort einfach unsere eigenen Arbeiten vorgestellt. Das hat die Kunstinteressierten, die zu uns kamen, davon überzeugt, dass sie es hier nicht mit Leuten, die auf irgendeine Art noch dem alten politischen System anhingen, zu tun hatten. Sie hatten einfach Künstler vor sich.

Wenn ich mir Ihren heutigen Blick auf Potsdam ansehe: Er hat etwas Bedrohliches, Beängstigendes. Woher kommt das?

Wahrscheinlich kann ich da gar nicht raus. Ich bin einfach nicht so gepolt, die Idylle zu suchen. Ich suche noch nach einem geeigneten Titel für die neue Reihe. Die Kräne über der Stadt haben ja auch etwas Einengendes, Bedrückendes. Früher war der Titel des Zyklus „Potsdamer Baustelle“. Aber darüber geht es ja hinaus. Vielleicht einfach „Kräne, Kreuze, Umbrüche“.

Haben Sie eigentlich keine Angst, dass Ihnen Ihr Thema verloren geht, je glatter und sanierter Potsdam wird? Das Brüchige, Abgründige verschwindet ja zusehends.

Eigentlich nicht. Ich habe mich auch verändert und kann eigentlich solche Fassadenbilder nicht mehr malen. Ich habe es noch einmal probiert, aber es hatte keine Tiefe mehr. Es interessiert mich einfach nicht mehr so. Dafür habe ich diese Großbaustelle entdeckt. Vielleicht habe ich ja nochmal das große Glück, ein anderes Thema zu finden. Es geht nicht ohne.

Das Gespräch führte Lena Schneider

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