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Bollywoodscher Glamour. Einer der Höhepunkte des Deutschen Filmorchesters Babelsberg war eine Konzertreise durch Indien im Jahr 2012. Es spielte die Filmmusiken von A. R. Rahman, dem bekanntesten zeitgenössischen Komponist Indiens – er schrieb etwa die Musik für „Slumdog Millionär“. Das Bild zeigt das Eröffnungskonzert im Mumbai.

© Filmorchester

100 Jahre Deutsches Filmorchester Babelsberg: „Ich halte nicht viel vom Feiern“

Das Deutsche Filmorchester Babelsberg wird in diesem Jahr 100. Dass es dazu überhaupt kommt, ist auch Intendant Klaus-Peter Beyer zu verdanken: Er gründete es 1993 neu. Ein Gespräch über Pionierarbeit, internationale Filmgrößen und Stolz.

Herr Beyer, in diesem Jahr feiert das Deutsche Filmorchester Babelsberg seinen 100. Geburtstag. Sie sind der Gründungsdirektor. Wie ist das zu verstehen?

Im Jahr 1918 wurde das Ufa-Sinfonieorchester im damaligen Neubabelsberg gegründet. Die erste Zeit war geprägt durch die musikalische Begleitung von inzwischen legendären Stummfilmen wie „Metropolis“, „Das Kabinett des Dr. Caligari oder Berlin“ und „Symphonie einer Großstadt“.

Und wie kam es dann zur Neugründung vor 25 Jahren?

Als der DDR-Rundfunk 1992 seine Arbeit beendete, war das für mich der Anlass für Musikerkollegen neue Arbeitsplätze zu suchen. Die Kollegen des Defa-Sinfonieorchesters gehörten zu den ersten, die entlassen wurden. Sie kamen zuerst in der Brandenburgischen Philharmonie Potsdam unter, wurden dann aber dort hinaus komplementiert. So standen sie wieder vor dem Aus. Schließlich kam es am 1. Januar 1993 zur Fusion zwischen dem Defa-Sinfonieorchester und dem Radio Berlin Tanzorchester. So entstand das Deutsche Filmorchester Babelsberg.

Haben Sie damals die Initiative ergriffen?

Ich war selber Rundfunkmusiker und Orchestervorstand und es war abzusehen, dass wieder einmal nur die hehre Klassik überlebt. Durch die Gewerkschaftsarbeit bekam ich damals einen anderen Blick auf den Berufsstand und wollte etwas tun für die Leute, meistens reifere Kollegen und gestandene Orchestermusiker, die früher oder später auf der Straße sitzen würden.

Wie viele waren Sie damals?

Wir haben mit etwa 40 Rundfunkkollegen angefangen, und dazu kamen dann noch etwa 40 Defa-Kollegen.

Haben Sie sich auf Abruf getroffen?

Nein, die Musiker waren von vornherein festangestellt. Das ist der große Unterschied zu vielen anderen Orchestern, gerade auch hier in Potsdam, dass unsere Musiker immer fest angestellt waren. Es war ja mein Ziel, feste Arbeitsplätze zu schaffen.

Konnten Sie das durchhalten?

Ja. Über die Jahre habe ich etwa 30 Musiker bis zur regulären Rente gebracht. Darauf bin ich auch ein bisschen stolz.

Wie sieht die Finanzierung heute aus?

Ich bin sehr dankbar für die derzeit gute Zuwendung von 1,7 Millionen von Seiten des Landes. Aber uns fehlt die zweite Hälfte, der kommunale Träger. Aus Potsdam gibt es keinen Pfennig, nur Dankesbriefe für die gute Repräsentation der Stadt. Wir haben seit 2005 auch eine Kooperation mit dem RBB und erhalten Mittel aus der Medienanstalt Berlin-Brandenburg. Der Landesanteil und die Unterstützung der Medienanstalt stellen derzeit 50 Prozent unserer Einnahmen dar. Den Rest bringen wir selbst.

Wie viele Festangestellte gehören derzeit zum Orchester?

Im Moment sind wir bei 65. Davon sind 53 Musiker, der Rest gehört zur Tontechnik, Orchesterwarte und anderes. In der Verwaltung arbeiten wir seit 25 Jahren zu viert.

Mit der Neugründung 1993 leisteten Sie Pionierarbeit. Mussten Sie zuerst ein bisschen gegen den Strom schwimmen?

Damals, als wir angefangen haben, wurden nur klassische Symphonie-Orchester gefördert. Für unsere Richtung sah man keinen Bedarf. Doch jetzt wird selbst in den Klassiksendern immer mehr Filmmusik gespielt. Wenn ich sehe, dass das, was wir vor 25 Jahren begonnen haben, inzwischen von berühmten Orchestern nachgeahmt wird, muss ich immer ein bisschen in mich hineingrinsen.

Wie hat sich die Tätigkeit des Filmorchesters in den letzten 25 Jahren geändert?

Unser Profil ist gleich geblieben. Was sich verändert hat, sind die Qualität und die Quantität. Früher haben wir fast nur Stummfilmkonzerte gemacht, heute nur noch zu 40 Prozent, dafür sind es jetzt zu 60 Prozent Konzerte mit Filmmusik. Allein in den ersten drei Monaten dieses Jahres haben wir über 30 Konzerte gegeben, davon etwa 20 mit Musik von Filmen wie „Fluch der Karibik“, „Frozen“ von Disney, „Casino Royale“, demnächst werden wir „Star Wars“ spielen – mit der expliziten Genehmigung des Komponisten John Williams, was mich sehr freut. Im August letzten Jahres haben wir in der Berliner Waldbühne vor 18 000 Menschen die Musik von Harry Potter gespielt – ein großartiges Erlebnis.

Spielen Sie auch Musik für Filme ein?

Ja, die Studioarbeit ist unser zweites Standbein. In den ersten drei Monaten diesen Jahres hatten wir rund drei Produktionen pro Monat. Das Highlight war die Einspielung der Musik zu dem Film „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“, der am Sonntag in Berlin Premiere feiert und ab Ende März in den Kinos läuft. Die Musik stammt von Ralph Wengenmayr, einem unserer Lieblingskomponisten.

Welche anderen Komponisten waren im Laufe der Jahre noch wichtig für Sie?

Über die Jahre gab es so viele Kontakte, zum Beispiel mit dem zweifachen Oscar-Preisträger Alexandre Desplat. Mit ihm haben wir vor zwei Jahren die Musik zu der Fallada-Verfilmung „Jeder stirbt für sich allein“ eingespielt. Sehr gern arbeiten wir auch mit dem Komponisten Max Richter zusammen, einem Meister der neuen Symphonik, zum Beispiel bei den Filmen „The Congress“ (2013) und Escobar (2014).

Sie haben auch mit A. R. Rahman zusammengearbeitet, dem bekanntesten indischen Filmkomponisten.

Ja, wir haben mit ihm zusammengespielt und sind mit seiner Musik durch Indien getourt. Ein sehr schönes Erlebnis, denn Filmkomposition hat in Indien einen unglaublich hohen Stellenwert – wir sind da nahezu auf Händen getragen worden. Wir haben auch die Musik für den Film „Muhammad, The Messenger of God“ (2015), eingespielt. Für mich war es eine Ehre, bei diesem gigantischen Filmprojekt dabei zu sein. Ich habe viel dabei gelernt, insbesondere über den Koran.

Das Werk ist ein monumentaler, nicht unumstrittener Propagandafilm für den Islam. Hat er bei Ihnen Wirkung erzielt?

Bei mir? (lacht) Ach, ich bin in keiner Partei, ich habe lediglich meinen eigenen Glauben. Nein, was ich damit sagen will, ist, dass diese Welt, in der wir arbeiten und leben, einen tatsächlich reicher macht. Man lernt wöchentlich neue Menschen kennen, bekommt immer wieder einen neuen Input.

Früher haben Sie im Studio des DDR-Rundfunks in der Berliner Nalepastraße geprobt, jetzt residieren Sie wieder am historischen Ort in Babelsberg.

Seit dem Jahr 2007 können wir wieder dort spielen, wo vor 100 Jahren alles begann. Rund eineinhalb Jahre brauchten wir, um das Studio wiederherzustellen. Da wir kein Geld für ein akustisches Konzept hatten, habe ich mich an alten Fotos aus den dreißiger Jahren orientiert, denn die damaligen Architekten wussten sehr gut Bescheid. Heute ist die technische Ausstattung state of the art und entspricht der Situation der berühmten Abbey Road Studios. In der Kombination mit einem Orchester gibt es diese Möglichkeiten in ganz Deutschland nur in Potsdam-Babelsberg.

Wird es denn jetzt zum Jubiläum eine große Feier geben?

Ach, ich halte nicht viel vom Feiern, ich feiere nicht mal meinen Geburtstag. Aber es ist auch eine Sache der Finanzierung. Insofern werden wir uns auf das konzentrieren, was wir sonst auch machen: vernünftige Konzerte.

Morgen spielt das Filmorchester im Familien-Filmlive-Konzert „Timm Thaler oder das verkaufte Lachen“. Ein besonderes Ereignis für Sie?

Besonders ist daran, dass wir einen Film, den wir live eingespielt haben, dem Publikum im Filmlivekonzert vorstellen dürfen. Es war unsere erste Zusammenarbeit mit Andreas Dresen, und wir freuen uns, dass er, der Komponist Johannes Repka, und die Hauptdarsteller Arved Friese und Nadja Uhl anwesend sein werden.

Die Fragen stellte Babette Kaiserkern

Für das morgige von Knut Elstermann moderierte Filmlivekonzert „Timm Thaler oder Das verkaufte Lachen“ im Nikolaisaal, Wilhelm-Staab-Str. 10-11, gibt es noch Restkarten. Beginn ist um 19 Uhr.

Zur Person:

Klaus-Peter Beyer, geboren 1961 in Halberstadt, studierte Musik an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ Berlin. Nach dem Studium arbeitete er für mehrere Orchester, unter anderen in Schwerin und für das Berliner Rundfunkorchester. Seit 1. Januar 1993 ist der der Gründungsintendant des Deutschen Filmorchesters Babelsberg, das auf seine Initiative hin damals aus einer Fusion zwischen dem Defa-Sinfonieorchester und dem Radio Berlin Tanzorchester hervorging. Heute gehören ihm 53 Musiker an. Das Orchester wird mit 1,7 Millionen von Seiten des Landes unterstützt, von Seiten der Stadt Potsdam erhält es keinerlei Förderung. 

Babette Kaiserkern

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