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Kultur: „... und blöd das ganze Sanssouci“ Marie Luise Kaschnitz

im „Garten vorgelesen“

Was für ein Glück, dass am Freitagabend der Wettergott Erbarmen hatte! Zum einen, weil man sonst zum wiederholten Male den wunderbaren Landschaftsgarten von Evelyn und Christian Fleming nicht zu Gesicht bekommen hätte. Und zum anderen hätte die „Entdeckung“ von Marie Luise Kaschnitz nicht unter freiem Himmel stattgefunden, was bei dieser sehr naturverbundenen Lyrikerin mehr als schade gewesen wäre. So nun ein prachtvoller Abendhimmel, ein reich blühender Garten und mehr als 150 lebens- und leseerfahrene Zuhörer, die sich schon lange vor Beginn der Lesung eingestellt und das Bornstedter Gartenkunstwerk in Augenschein genommen hatten.

Dessen parkähnliche Anmutung von der Straße nicht wahrzunehmen und deshalb umso verblüffender ist, wenn man sich erst mal auf der „Lichtung“ vor dem Wohnhaus eingefunden und die von dort ausgehenden Wege und verschwiegenen Ecken erkundet hat, die neben üppigen Rosen, japanischen Anemonen und duftendem Phlox noch so manche andere Überraschung zu bieten haben. Außergewöhnlich auch die Begegnung mit Marie Luise Kaschnitz. Einer der bedeutendsten Nachkriegsautorinnen, die zu DDR-Zeiten so gut wie nicht bekannt war und die auch heute nicht unbedingt in einer gut sortierten Buchhandlung zu finden ist. Die Berliner Literaturwissenschaftlerin Dagmar von Gersdorff hat 1992 eine fundierte Biografie über die Kaschnitz verfasst, aus der sie wesentliche Teile über die Kinder- und Jugendjahre der Dichterin mit Enthusiasmus vortrug.

So ließ sie in kurzer Zeit den geistigen und kulturellen Kosmos einer Frau, die „so alt wie das Jahrhundert“ war, vor den interessiert lauschenden Zuhörern entstehen, der von einer völlig aristokratisch geprägten Kindheit im Wilhelminischen Kaiserreich und der Jugend in der Weimarer Republik, sowie der Erfahrung beider Weltkriege bis zur Demokratie der Bundesrepublik reichte. Ihr heute zu Unrecht vergessenes dichterisches Werk, das nicht nur sprachmächtig und sensibel ist, entstand hauptsächlich in der Zeit von 1930 bis 1970. Die Büchnerpreisträgerin war eng befreundet mit Ingeborg Bachmann und Peter Huchel.

Besonders berührend waren die Passagen des Vortrages, in denen Dagmar von Gersdorff die biografischen Hintergründe beispielsweise der berühmten Erzählung „Das dicke Kind“ beleuchtete. Sehr schön auch, wenn sie die Dichterin selbst zu Wort kommen ließ, so unter anderem in einem der wenigen, ihrer einzigen Tochter Iris gewidmeten Gedichte.

Im zweiten Teil der Lesung war die Erzählung „Ein Mann, eines Tages“ zu hören. Die Schauspielerin Hanna Petkoff ließ die erneute Begegnung zweier ehemaliger Schicksalsgenossen sehr lebendig werden. Das Mädchen Leni hatte dem Soldaten Robert, als dieser gegen Kriegsende desertiert war, Unterschlupf und Trost gewährt. Zwanzig Jahre später, er ist inzwischen im Wirtschaftswunderland „angekommen“, will er nichts mehr davon wissen und verleugnet nicht nur die Begegnung sondern auch seine früheren Wünsche und Ideale. Beeindruckend, wie mit wenigen Worten und großem psychologischem Einfühlungsvermögen hier der unaufrichtige Geist der Nachkriegszeit von der Dichterin beschworen wurde.

Für die gelungene musikalische Umrahmung des Abends sorgten Hannes Immelmann, Karin Liersch und Brigitte Breitkreuz, die Stücke von Georg Philipp Telemann, Johann Joachim Quantz und Antonio Vivaldi zu Gehör brachten.

Zu Potsdam hatte Marie Luise Kaschnitz ein eher gespaltenes Verhältnis. „...und blöd das ganze Sanssouci“, so ein Zitat. Die Kaschnitz war als Tochter eines Rittmeisters und Flügeladjutanten Kaiser Wilhelms II. angehalten mit dessen einziger Tochter in Potsdam zu spielen. Da sie diese nicht mochte und überaus langweilig fand, musste ganz Sanssouci dran glauben. Astrid Priebs-Tröger

Astrid Priebs-Tröger

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