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Kommentar zur Rassismus-Debatte. Oska Gutheil spielt mit dem Motiv des Trojanischen Pferdes. 

© Repro: Ottmar Winter

Neue Ausstellung im Kunstraum Potsdam: Geschundenes Krafttier

Mythos, Marke, Militär: Der Kunstraum Potsdam untersucht das Pferd – und die eigene Vergangenheit.

Potsdam - Das Pferd ist ein schwer beladenes Tier. Wofür musste es nicht alles herhalten! Schon vor 3500 Jahren dichtete man ihm Flügel an und schickte es auf mythische Reisen, unterwegs zwischen den Menschen und den Göttern im Olymp. Dieser Pegasos war es, der Zeus galoppierend Blitz und Donner brachte. Er wurde zum Sinnbild für Dichtkunst – und, viel später, zum Maskottchen für eine Billigairline.

Auch der deutsche Erfinder Johann Philipp Reis griff zum Pferd, als er 1861 in die Verlegenheit kam, testweise etwas möglichst Unvorhersehbares in den soeben erfundenen Fernsprecher zu sagen. Er sagte, als ersten Satz, der jemals durch eine Telefonleitung ging: „Pferde fressen keinen Gurkensalat.“ Der Kunstraum Potsdam hat sich den Satz für seine aktuelle Ausstellung geborgt.

Das titelgebende Tier haben die Kuratoren Mike Gessner und Sophia Pietryga gewissermaßen den eigenen Räumen entnommen. Der Kunstraum liegt in dem Überbleibsel eines großen Komplexes aus Reithallen und Reitplätzen, der sich im 19. Jahrhundert hier befand. Davon zeugen heute nur noch Namen („Schirrhof“, „Reithalle) – und im Kunstraum die ins Gemäuer eingelassenen Pferdetränken und Metallringe. Auch die Türen hier sind so hoch und schmal, weil einst Pferde samt Reiter durchpassen mussten.

Einige Arbeiten sind extra für diese Ausstellung entstanden

Mit „Pferde fressen keinen Gurkensalat“ nimmt der Kunstraum also erstmals Bezug auf die eigene Geschichte – ohne dem eigenen Credo als Ort für zeitgenössische Kunst untreu zu werden. Denn auch, wenn die Ausstellung historisch weit ausholt und gleich im Eingangsbereich beeindruckend ein lebensgroß gezogenes historisches Foto berittener Husaren auf der Schiffbauergasse im Matsch zeigt – im Mittelpunkt stehen hier die zeitgenössischen Auseinandersetzungen mit dem ikonografisch so beladenen Tier.

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Einige Arbeiten sind extra für diese Ausstellung entstanden. Denn: 2022 sind 30 Jahre Waschhaus zu begehen, sowie zehn Jahre Kunstraum-Leitung von Mike Gessner. Diese Schau hat also durchaus auch Bekenntnischarakter. All jene, die in der letzten Dekade hier ausgestellt haben, sind in der aktuellen Ausstellung vertreten. 

Jörg Schlinke hat einen überdimensionalen Spielzeugcowboy mit Gewehr an die Decke gehängt, Marc Brandenburg hat ein kleines Pferde-Tattoo beigesteuert, Rayk Goetze zeigt unter dem Titel „C’monBabyLightmyFire“ ein großformatiges, dunkelblaues Tier mit zwei Reiterinnen in traumtänzerischer Atmosphäre. Im Hintergrund glühende Abendstimmung. Oben im rosa Himmel steht, fast unlesbar: „Die blaue Reiterin“. Eine feministische Antwort auf die expressionistische Gruppe um Kandinsky und Franz Marc?

„C’monBabyLightmyFire“ von Rayk Goetze. Die Ausstellung läuft bis zum 12. Juni.
„C’monBabyLightmyFire“ von Rayk Goetze. Die Ausstellung läuft bis zum 12. Juni.

© Ottmar Winter

Auch Lou Hoyer deutet Kunstgeschichte in ihren vier für diese Schau geschaffenen Zeichnungen neu: „Great“ zeigt Zentauren – allerdings als Frauen in Polizeiuniformen. Oska Gutheil nimmt das Motiv des Trojanischen Pferdes auf und verbindet es mit einem Kommentar auf aktuelle Rassismus-Debatten: Unter der Verkleidung eines weißen Pferdes sind drei Paar Beine zu sehen. Durch die weiße Pferdehaut äugen, wie durch die Fenster eines U-Boots, drei Menschen nach draußen. Ihre Haut ist braun.

Herrscher ließen sich oft hoch zu Ross abbilden

Eine Dimension dieser Schau ist der Mythos, eine andere ist die unglaubliche Popularität des Tieres, die sich in mannigfaltigen Fotos und Pferde-Accessoires zeigt. Auch diesen Pferde-Schick nimmt die Schau auf: Cecile Wesolowki in ihrem ironischen Digitaldruck auf Seide etwa, Titel: „Hühühühühühühühü“. Eine dritte Facette ist männliche Kraftstrotzerei – womit der Bogen zur Schiffbauergasse wieder geschlagen wäre. Der militärische Komplex hier war riesig – und er wurde in Teilen bis in die 1990er-Jahre von sowjetischen Truppen genutzt. Da ist man gedanklich schnell bei dem Mann, der sich heute noch gern halbnackt auf Pferden abbilden lässt und der zum Inbegriff aggressiver Männlichkeit geworden ist. 

Die Ausstellung thematisiert auch die männliche Kraftstrotzerei.
Die Ausstellung thematisiert auch die männliche Kraftstrotzerei.

© Ottmar Winter

Wladimir Putin ist zwar in dieser Schau nicht zu finden – doch untersucht sie jene Kraftmeierei, derer sich Männer wie Putin immer schon bedienten. Auch dafür mussten Pferde herhalten. Jahrhunderte lang ließen sich Herrscher hoch zu Ross abbilden. Erst das gezähmte Tier zeigte so richtig die Kraft dessen, der obendrauf saß. Das lebensgroße Pferd von Hannah Sophie Dunkelberg zitiert die heroische Geste – allerdings ist ihr Pferd aus denkbar fragilem Material gemacht: Styropor. Der Titel, „Sweet Little Lies“, und eine neckische Schleife zeigen: Diese Kraft bröselt.

Von dem Potsdamer Frank Gaudlitz ist ein Foto zu sehen, das er 1992 in St. Petersburg aufgenommen hat: eine Pferdestatute, die hinter einem Bus zu ertrinken scheint. Der Fotograf Florian Merkel zeigt sich selbst, als Gegenstück männlicher Kraftmeierei: auf einem Pony. Ein weiter Platz, Abendsonne. Hinten erkennt man einen anderen Mann, und eine Leninstatue. Das Bild entstand 1995, in Charkiw. Mike Gessner zeigt die Bezeichnung auf der Rückseite des Fotos: „arkadische Szene“. Sie ist durchgestrichen.

„Pferde fressen keinen Gurkensalat“, bis 12. Juni im Kunstraum Potsdam

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