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Markus Krüger hatte kurz vor seiner Kündigung den Job gewechselt. Riskant erschien ihm das nicht.

© Doris Spiekermann-Klaas TSP

Kündigung wegen Corona: „Eigentlich weiß ich, dass ich einen guten Job gemacht habe“

Markus Krüger ist jung, gut ausgebildet und motiviert. Trotzdem wurde ihm gekündigt. Die Krise kostet immer mehr Menschen den Job.

Als Erstes, auf dem Heimweg, ruft Markus Krüger seine Frau an. Noch kann er keinen klaren Gedanken fassen, auch heute fällt es ihm schwer, das Kündigungsgespräch vollständig zu rekonstruieren. „Meine Frau war auch erst einmal sprachlos, und wollte dann wissen, wie das genau gelaufen ist“, erzählt er später. „Sie hat gesagt, wir kriegen das hin und finden was Neues.“ Am Abend hätten sie gemeinsam einen langen Spaziergang gemacht, darüber gesprochen, wie es weitergehen kann. Wie lange reicht das Geld? Wie kann er trotz der Krise einen neuen Job finden?

[Alle aktuellen Entwicklungen in Folge der Coronavirus-Pandemie finden Sie hier in unserem Newsblog. Über die Entwicklungen speziell in Berlin halten wir Sie an dieser Stelle auf dem Laufenden.]

Im April waren nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit mehr als 2,6 Millionen Deutsche arbeitslos. Das sind 308.000 Menschen mehr als im März und 415.000 mehr als vor einem Jahr. Markus Krüger ist einer von ihnen. Corona trifft die deutsche Wirtschaft stärker als die Finanzkrise und alle anderen wirtschaftlichen Krisen seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Bundesregierung plant in diesen Tagen, ein milliardenschweres Konjunkturprogramm zu verabschieden, mit der dieses Problem abgefedert werden soll.

Menschen in Probezeit oder mit befristeten Verträgen werden zuerst gekündigt

Vorschläge dafür sind unter anderem, dass Unternehmen die Verluste, die sie heute aufgrund von Corona machen, mit den Gewinnen der letzten Jahre verrechnen dürfen. Dadurch bekämen sie einen Teil der bereits gezahlten Steuern zurück und hätten mehr Spielraum, um Rechnungen zu begleichen und Beschäftigte zu halten.

Alejandra Rivas hatte Glück, dass sie trotz Corona einen neuen Job gefunden hat.
Alejandra Rivas hatte Glück, dass sie trotz Corona einen neuen Job gefunden hat.

© Privat

Als Markus Krüger entlassen wird, ist er noch in der Probezeit. Angestellte wie er werden derzeit besonders häufig gekündigt: Menschen in Probezeit oder mit einem befristeten Anstellungsvertrag. Beschäftigte mit unbefristeten Jobs könnten in den nächsten Monaten folgen, das Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung erwartet in der Spitze der Krise drei Millionen Arbeitslose. Der Höhepunkt soll in den nächsten Monaten, noch im zweiten Quartal des Jahres, erreicht werden.

Überraschende Kündigung bei Markus Krüger

Kurz bevor er die schlechte Nachricht bekommt, so erzählt er es heute, sitzt Markus Krüger an einem Tisch in der Fertigungshalle des Unternehmens an der Schweißanlage. Krüger forscht für seinen Arbeitgeber – ein Unternehmen in Berlin-Zehlendorf – an Temperatursensoren, die erst in etwa zwei Jahren auf den Markt kommen werden.

Er schweißt Leitungsdraht, ähnlich wie die Drähte in einem Handyladekabel, zusammen, als sein Vorgesetzter zu ihm in die Fertigungshalle kommt und ihn bittet, ihm zu folgen. Noch denkt sich Krüger nichts dabei. Als sie dann aber in den ersten Stock zur Personalabteilung abbiegen, weiß er, dass er jetzt seinen Job verlieren wird.

Gespräch dauerte nur 15 Minuten

15 Minuten dauert das Gespräch. „Es tut mir leid, wir möchten Sie nicht gehen lassen. Aber wir müssen diesen Schritt wegen Corona gehen“, habe der Personalleiter gesagt. Wegen Corona kann Krüger seinem Vorgesetzten und dem Personalleiter nicht die Hand geben.

Krüger, kurze dunkle Haare, dunkelblauer Pullover, graue Schirmmütze, wohnt mit seiner Frau Katharina in einer hellen 116-Quadratmeter-Wohnung in Berlin-Schöneberg und ist Prozessingenieur. Vor seinem Maschinenbau-Bachelor hat er eine Lehre als Industriemechaniker gemacht und danach eine Weiterbildung zum Industriemeister.

Nie mit Jobverlust gerechnet

Seine Frau Katharina arbeitet bei einer Stiftung. Die Wohnung mit weißen Möbeln und Holzesstisch ist perfekt aufgeräumt, während des Gesprächs bringt seine Frau Getränke, erinnert an Details der Kündigungsgeschichte und lächelt ihren Mann an, wenn die Fragen unangenehm werden. Sie sagt mehrmals: „Wir finden eine gute Lösung.“

Markus Krüger ist 35. Er war noch nie arbeitslos und hat auch nicht damit gerechnet, dass das passieren könnte. Anfang des Jahres hat er einen sicheren Arbeitsplatz bei einem mittelständischen Unternehmen in Tempelhof aufgegeben, um den neuen Job – seine Wunschstelle – anzutreten. Riskant fand er das nicht.

Es kann fast jeden treffen

Doch Corona verändert die deutsche Wirtschaft so stark, dass selbst Beschäftigte mit Musterlebensläufen und vorbildlichen Berufsbiografien von Arbeitslosigkeit und Unsicherheit betroffen sind. Egal, wie viel Beschäftigte bisher in ihre Karrieren investiert haben: Es kann fast jeden treffen.

Schwierig ist die Situation besonders für diejenigen, die keine Ansprüche auf Arbeitslosengeld oder Hartz IV hätten, weil sie zum Beispiel keine deutsche Staatsbürgerschaft haben. Wie Alejandra Rivas. Die 28-jährige Kolumbianerin ist für ihren Master in International Sales Management nach Berlin gezogen.

Nach ihrem Abschluss im Oktober hat sie angefangen, bei einem Software-Unternehmen in Prenzlauer Berg zu arbeiten, das SEO-Daten analysiert und bewertet, also dabei hilft, Webseiten für Suchmaschinen zu optimieren. Bis zum Ende ihrer Probezeit am 30. März sollte sie eine bestimmte Anzahl von Produkten verkaufen. Durch Corona hat sich die Kaufbereitschaft der Interessenten minimiert.

„Ich wusste, dass die Situation durch Corona so schwierig ist“, sagt sie. „Trotzdem habe ich mich manchmal gefragt, ob es nicht doch an mir liegt, dass ich so wenig verkaufe.“ Mit dem Geld, das sie bis zur Kündigung gespart habe, könne sie drei Monate lang ihre Miete bezahlen.

Kündigung per Videocall

„Ich bin hier auf mich allein gestellt. Meine Familie aus Kolumbien ist nicht in der Lage, mir Geld zu schicken“, sagt sie. Umso schlimmer war es deshalb, als ihr Chef ihr zu verstehen gab, dass sie die benötigten Verkäufe bis zum Ende der Probezeit nicht erreichen wird.

Rivas, dunkle Haare, große goldene Ohrringe, hat zu dieser Zeit bereits im Homeoffice gearbeitet. Deshalb, erzählt sie, sei ihr per Videocall gekündigt worden. Rivas brach vor der Kamera in Tränen aus. „Ich mochte meinen Job, meinen Chef, meine Kollegen. Ich hatte nicht das Gefühl, dass meine Zeit dort schon vorbei sein sollte.“

Sie nahm sich eine Woche Zeit, um abzuschalten. Dann fing sie an, Bewerbungen zu schreiben, 30 Stück. Sie erzählt, mehrere Personalleitungen sagten ihr, sie seien interessiert, würden aber aktuell niemanden einstellen. „Das hat mir echt Angst gemacht“, sagt sie.

Trotz Pandemieplan keine Rettung

Die Probezeit von Markus Krüger wäre Ende Juni zu Ende gewesen. Im April fragte er, so erzählt er es, vorsichtig im Unternehmen nach, ob das Virus Auswirkungen auf seine Arbeitsstelle haben könnte. Doch niemand habe ihm etwas dazu sagen können. „Bei uns im Unternehmen lief mit Corona eigentlich alles gut. Es gab schnell einen Pandemieplan, Temperaturmessungen, Platzaufteilungen im Büro und Homeoffice. Ich dachte, das wird schon irgendwie klappen“, berichtet er.

Ende April wurde gemunkelt, dass sich durch das Coronavirus die wirtschaftliche Lage so sehr verschlechtert habe, dass die Jobs der Angestellten, besonders derer in Probezeit, nicht mehr sicher seien. Er berichtet, dass sich der Vorgesetzte für ihn persönlich eingesetzt habe. Es hat nicht geholfen.

Nach der Kündigung fühlt sich Krüger kurz, „als hätte ich versagt“, sagt er. „Aber eigentlich wusste ich, dass ich gute Arbeit gemacht habe.“ Der Vorgesetzte begleitete ihn nach dem Gespräch ins Büro, er konnte seine persönlichen Sachen abholen und sich von Kollegen verabschieden. „Es ging alles so schnell, ich weiß gar nicht, ob ich alles mitgenommen habe“, sagt Krüger. Nicht einmal sein aktuelles Projekt konnte er noch übergeben.

Es werden kaum noch Leute eingestellt

In dieser ersten Krisenphase werden nicht nur befristete Verträge gekündigt, sondern auch kaum noch Leute eingestellt. Wer jetzt keinen Job hat, wird es schwer haben, bald wieder einen zu finden. Die Bundesagentur für Arbeit schreibt in ihrem Bericht, dass es im April 76.000 neue Stellenausschreibungen gab: „Im Vergleich zum Vorjahresmonat sank der bei der BA angezeigte Bedarf an Personal um 109.000 oder 59 Prozent.“ Im Gastgewerbe gingen Neuanmeldungen von Personalbedarf im Vergleich zum Vorjahr sogar um 89 Prozent zurück.

Im Vergleich mit anderen Ländern sind die Arbeitslosenzahlen in Deutschland aber noch niedrig. Allein in den USA sind seit der Zuspitzung der Coronavirus-Pandemie mehr als 30 Millionen Menschen arbeitslos geworden. Oliver Stettes, Arbeitsmarktexperte des Instituts der deutschen Wirtschaft, sagt: „Bei uns ist die Situation ähnlich. Was in den USA die Arbeitslosen sind, sind bei uns die Kurzarbeiter.“

Instrument der Kurzarbeit hat sich bewährt

Das Instrument der Kurzarbeit habe sich schon vor elf Jahren in der Finanzkrise bewährt. Der deutsche Sozialstaat fängt Beschäftigte in der Krise auf. „Aber damals, ab 2007, ging das alles langsamer. Wir sind jetzt in einer völlig neuen, viel dramatischeren Situation“, sagt Stettes. In der Finanzkrise gab es in der Spitze 1,3 Millionen Angestellte in Kurzarbeit, und die waren auf die Industrie beschränkt. Aktuell sind es zehn Millionen, jedes dritte Unternehmen hat Kurzarbeit angemeldet.

Selbst im besten Fall, glaubt Stettes, werde die deutsche Wirtschaft noch bis 2021 mit der Situation zu kämpfen haben. „Man kann mit Kurzarbeit Arbeitslosigkeit in dieser Situation vermutlich nicht komplett vermeiden“, sagt er. „Wir müssen damit rechnen, dass auch im günstigsten Fall Leute entlassen werden.“

Reserven könnten vor Ende der Krise aufgebraucht sein

Und im schlimmsten Fall? „Falls es noch einmal zu einem Shutdown kommen sollte, in dem unser Arbeitsleben stillsteht, ist fraglich, ob unsere Regierung noch einmal zehn Millionen Kurzarbeiter finanzieren kann“, sagt Stettes. Die Reserven könnten noch vor Ende der Krise aufgebraucht sein. Dann müsste der Bund aus Steuermitteln Geld zuschießen – oder der Arbeitslosenbeitrag müsste angehoben werden, was die Regierungskoalition in Krisenzeiten aber vermeiden will.

Sich arbeitslos zu melden, war das Erste, was Markus Krüger gemacht hat. Seine Frau arbeitet Vollzeit, Kinder haben sie keine. „Aber falls ich in dem Jahr keinen neuen Job finde und dadurch in Hartz IV rutsche, könnten wir uns die Wohnung nicht mehr leisten“, sagt er. Etwas enger würde es auch werden, wenn seine Frau in Kurzarbeit gehen müsste.

Erwerbslose Menschen unglücklicher als erwerbstätige Menschen

Spätestens um 9 Uhr morgens sitzen die Krügers nebeneinander am Esstisch. Sie arbeitet, er schreibt Bewerbungen. „Dabei weiß ich bei vielen Ausschreibungen gar nicht, ob die noch aktuell sind“, sagt Markus Krüger. „Manche stehen zwar noch im Internet, aber wegen Corona wird trotzdem niemand mehr eingestellt.“ Am zweiten Tag nach der Kündigung habe er fünf Bewerbungen abgeschickt, nach knapp zwei Wochen das erste Bewerbungsgespräch am Telefon gehabt. Er sei es gewohnt, täglich neun oder zehn Stunden zu arbeiten: „Ich will nicht hier zu Hause sitzen.“

Wirtschaftsexperte Stettes berichtet: „Wir wissen aus der Vergangenheit, dass erwerbslose Menschen deutlich unglücklicher sind als erwerbstätige Menschen. Viele finden ihren Selbstwert in der Arbeit, können sich dort verwirklichen, pflegen dort ihre sozialen Kontakte. Ein Arbeitsverlust ist belastend.“

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Laut Michael Tsokos, einem Rechtsmediziner der Charité, ist seit Corona die Suizidrate gestiegen. Das bezweifeln allerdings andere Experten: Isabella Heuser-Collier, die Direktorin der Psychiatrie-Klinik der Charité, hat solche Häufungen noch nicht festgestellt. Sie sagt, statistische Erhebungen dazu gebe es noch keine.

Alejandra Rivas, die kolumbianische Verkaufsmanagerin, hat Glück. Ihr ehemaliger Chef hat sie an ein Start-up-Unternehmen in Berlin-Mitte weiterempfohlen. Die Firma verkauft Software zur Optimierung von Werbekampagnen bei Google, Amazon oder Bing. Da Menschen durch die Coronakrise vermehrt online einkaufen, profitiert diese Branche – und stellt Leute ein. Auch Markus Krüger hat inzwischen einen Job angeboten bekommen, bei einem Berliner Pharmaunternehmen. Die nächste Stelle scheint ihm sicher – und die nächste Probezeit.

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